Foto Prof. Dr. Karen Pittel

Prof. Dr. Karen Pittel, Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und erschöpfbare Ressourcen und Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Foto: ifo)

Was der Koalitionsvertrag diesbezüglich verspricht und was nicht, wie man bei der Sektorenkopplung weiterkommt, und was als tragbares Fundament des gesamten Transformationsprozesses dienen kann, darüber sprach „et“ mit der Ökonomin Karen Pittel. Nicht zuletzt wurde das Thema Kohleaus-stieg erörtert.  

„et“: Trotz steigendem Ökostromanteil auf mittlerweile ein Drittel sind die CO2-Emissionen in den letzten Jahren kaum gesunken. Eine politische Neuorientierung ist auch deshalb dringend erforderlich. Ist der Koalitionsvertrag ein guter erster Schritt dazu?

Pittel: Im Koalitionsvertrag sind zwar eine Reihe von Einzelzielen im Energie- und Klimabereich festgelegt. Diese stehen allerdings größtenteils in der Tradition bisheriger Politiken – eine ziemlich unbefriedigende Situation. Eine politische Neuorientierung sehe ich nicht. Dass man sich den Realitäten stellt und eingesteht, das Emissionsziel für 2020 zu verfehlen, ist vernünftig, wäre doch der Versuch, sie dennoch zu erreichen mit extremen Mehrkosten verbunden.

Die Aufgabe des 2020er-Ziels muss aber unbedingt bedeuten, dass die Anstrengungen, das 2030er-Ziel zu erreichen, ganz erheblich verstärkt werden. Ohne eine grundlegende Neuorientierung der Politik wird dies nicht zu schaffen sein. Fest steht, dass ein schnellerer Ausbau regenerativer Energien ebenso erforderlich sein wird wie erhebliche Einsparungen an Energie in allen Bereichen.

Zusätzlich sind aber auch Maßnahmen erforderlich, um den Einsatz von grünem Strom auch im Wärme- und Verkehrssektor zu erhöhen, also Voraussetzungen für eine stärkere Kopplung der Sektoren zu schaffen. Ein geeignetes Mittel dafür wäre ein allgemeiner CO2-Preis bzw. eine CO2-Abgabe. Dieser ist nicht Inhalt des Koalitions-vertrages, aber wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass eine breite Front, von der Industrie über die Wissenschaft bis hin zu den NGOs, für eine CO2-Abgabe ist.

„et“: Das größte Sorgenkind ist wohl der Verkehr, dort steigen die CO2-Emissionen immer noch.     

Pittel: Wir müssen sowohl im Wärme- als auch im Transportbereich die Initiative ergreifen. Im Verkehrssektor sind die Emissionen seit 1990 um gerade einmal 3 % gesunken. Hier braucht es dringend Anreize für Dekarbonisierung. Gleiches gilt im Wärmebereich: Solange es nur relativ geringe Abgaben, z. B. auf leichtes Heizöl und Erdgas, gibt, gleichzeitig aber hohe Abgaben auf Strom, wird kein Anreiz geschaffen, von fossilen Energieträgern auf erneuerbare umzusteigen oder in energieeffiziente Technologie zu investieren.

„et“: Die Politik scheint im Pkw-Verkehr alles auf eine Karte zu setzen, nämlich die Elektro-mobilität, mit sehr ehrgeizigen Ausbauzielen. Es geht allerdings nur sehr schleppend voran.

Pittel: So schlecht war die Entwicklung in letzter Zeit nicht. Die jüngsten Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes zeigen, dass Elektro- und Hybridfahrzeuge relativ stark zugelegt haben. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Ob dies von Prämien getrieben ist oder nicht, vermag ich nicht zu beantworten. Meine Vermutung geht eher dahin, dass auf Nutzerseite wie bei jeder neuen Technologie auch Vorbehalte – im konkreten Fall etwa hinsichtlich der Reichweite – bestehen. Je breiter E-Mobility eingesetzt wird, desto schneller wird sich die Technologie auch durchsetzen. Ich bin optimistisch, dass sich in den nächsten Jahren eine positive Entwicklung zeigen wird, gerade auch vor dem Hintergrund des „Dieselskandals“ und der Angst der Autofahrer vor Fahrverboten.

„et“: Was halten Sie davon, synthetische Kraftstoffe aus Erneuerbare-Energien-Strom im Verkehr einzusetzen? 

Pittel: Das ist im Prinzip vernünftig, bedeutet aber auch deutlich höhere Kosten. Es wird sicherlich eine Weile dauern, bis solche Konzepte wirtschaftlich umsetzungsfähig sind. Daher werden sie wohl auch relativ spät zur Dekarbonisierung beitragen.

„et“: Wäre es nicht ein vielversprechender Weg, Wärme und Verkehr unter das Emissionshandelsregime (ETS) zu stellen?

Pittel: Aus ökonomischer Sicht wäre dies der beste Weg: Ausdehnen des ETS auf die gesamte Wirtschaft und Einführen eines Upstream-Systems weiter oben in der Wertschöpfungskette, etwa bei den Importeuren und Händlern fossiler Brennstoffe. In einem solchen System hat CO2 über alle Sektoren und Einsatzbereiche den gleichen Preis. Heute wird beispielsweise Erdöl zum Autofahren anders besteuert als Erdöl, das zum Heizen eingesetzt wird. Dass das aus Sicht des Klimaschutzes keinen Sinn macht, dürfte klar sein. 

„et“: Zuerst wird man wohl den Emissionshandel auf Vordermann bringen müssen. Obwohl der ETS sein Mengenziel gar nicht verfehlen kann, liegt die Erfüllung von Preis- und Lenkungszielen (trotz jüngst deutlich anziehender CO2-Preise) in weiter Ferne zu liegen. Wäre ein CO2-Mindestpreis die bessere Lösung?

Pittel: Der Etablierung eines einheitlichen CO2-Mindestpreises auf EU-Ebene steht entgegen, dass derartige steuerähnliche Maßnahmen nur einstimmig beschlossen werden können, was aus heutiger Sicht absolut unrealistisch ist. Gegen einen nationalen Mindestpreis sprach bisher, dass erzielte Emissionsminderungen – wie z.B. in Großbritannien – nicht durch die Herausnahme von ETS-Zertifikaten kompensiert wurden und die eingesparten Emissionen woanders getätigt wurden. Dies ist insofern nur ein „Weiß“- bzw. „Grün-Waschen“, ohne zur Erreichung globaler Klimaziele beizutragen. Ein echter Klimaeffekt lässt sich nur erreichen, wenn der Verminderung nationaler Emissionen eine Verminderung der Zertifikatemenge folgt. So könnte Deutschland beim Kohleausstieg Zertifikate in entsprechender Menge aufkaufen und stilllegen. Die Reform des ETS zur nächsten Handelsperiode trägt dieser Überlegung aber auch Rechnung: Bei einem fortgesetzten Überangebot an Zertifikaten, beispiel- weise wegen des Kohleausstiegs, werden Zertifikate in Zukunft gelöscht. 

„et“: In Deutschland könnte sich die Regierung zur Erreichung von Klimaschutzzielen stärker den nicht ETS-Bereichen – wie dem Verkehr oder dem Gebäudesektor – zuwenden. Wäre das nicht lohnenswerter?

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