Seite 2 des Interviews mit Prof. Dr. Karen Pittel

Pittel: Im Prinzip ist das richtig, aber ein schlagendes politisches Gegenargument ist immer die Gefahr, Wähler zu verlieren. So gibt es bei Aktivitäten in diesem Bereich die Befürchtung, dass höhere CO2-Preise für Brennstoffe zu Energie-Armut führen. Einer solchen Wirkung muss natürlich mit entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen begegnet werden.

et: Sollte man nicht zuerst die Abgabenwelt im Energiesektor vernünftig ordnen und insbesondere die Belastungen für Strom, der zukünftig verstärkt in anderen Sektoren eingesetzt sowie vermehrt gespeichert werden soll, senken. 

Pittel: Unbedingt! Und dieses Thema muss bald angegangen werden. Es sollte in jedem Fall ein Gesamtpaket geschnürt und nicht nur an Einzel-lösungen gearbeitet werden. Allgemeine CO2-Prei-se und eine Reform des Wirrwarrs an bestehenden Abgaben und Steuern in anderen, mit der CO2-Problematik verbundenen, Bereichen wären dringend erforderlich. Bei Aufkommensneutralität könnten so nicht nur Verzerrungen vermindert, sondern auch Haushalte und Wirtschaft entlastet werden.

et: Es gibt auch Stimmen, die für eine Verlagerung der Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien den Bundeshaushalt sind. 

Pittel: Es ist sinnvoll darüber nachzudenken, wie man die Ausbaukosten der Erneuerbaren alternativ umlegt, sie sollten aber durchaus – direkt oder indirekt – in Wirtschaft und Gesellschaft spürbar sein. Eine Möglichkeit wäre etwa die Verwendung von Einnahmen aus CO2-Preisen zur Finanzierung des EEG: der Strompreis würde entlastet, erneuerbare Energien würden gefördert. Die Finanzierung mittels EEG ist aber nur eine Komponente; so schätzt der Bund der Deutschen Industrie in einer entsprechenden Studie, dass in den Sektoren Transport und Wärme jeweils Investitionen in der Größenordnung von 10 bis 20 Mrd. € jährlich notwendig sein werden, um die Klimaziele zu erreichen.

et: Was bedeutet es für die Wirtschaft, wenn ein CO2-Mindestpreis implementiert werden würde? 

Pittel: Für Unternehmen wäre auf diese Weise leichter abzuschätzen, welche Kosten in der Zukunft entstehen, man hätte dann einen konkreten Mindestpreis, mit dem kalkuliert werden kann. Ob und inwieweit sich Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen EU-Ländern ergeben, hängt natürlich davon an, ob der Preis EU-weit eingeführt würde. Aber auch wenn sich nur die großen EU-Volkswirtschaften – etwa Deutschland, Frankreich und Spanien – zusammentun, würden Wettbewerbsnachteile schon erheblich vermindert. Gegenüber Ländern außerhalb der EU könnten sog. Grenzsteuer-Ausgleichsmaßnahmen, also ein entsprechender Aufschlag bei Importen, eingeführt werden. Aber selbst bei Kompatibilität mit den Regelungen der Welthandelsorganisation (WTO) sind solche Maßnahmen aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen auf Seiten der Handelspartner kaum zu erwarten.

et: In der BDI-Klimapfade-Studie wird u. a. auch der Einsatz von Carbon-Capture and Usage (CCU) als Instrument zur CO2-Reduktion angesprochen. Wie schätzen Sie das ein? 

Pittel: Im Prinzip ist Kohlendioxidabscheidung in Deutschland sinnvoll und auch machbar. Zwar gibt es starken Widerstand gegen die unterirdische Einlagerung, gleichwohl ist es zweckmäßig, CO2 aus Kohle- oder Gaskraftwerken mehrfach zu nutzen und so eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Allerdings ist die Wirtschaftlichkeit eines Einsatzes von CCU in großem Maßstab noch lange nicht erreicht.

et: Bei den Klimazielen strebt die EU eine 30 % – CO2-Reduktion an, Deutschland hingegen 55 % bis 2030 gegenüber 2005. Wie sollte mit dieser Diskrepanz umgegangen werden?

Pittel: Häufig wird argumentiert, dass Deutschland eine Vorreiter-Rolle einnehmen muss. Das Argument ist nachvollziehbar, wenn wir von anderen verstärkte Anstrengungen im Klimaschutz fordern. Wenig überzeugend ist dies allerdings, wenn wir unsere eigenen Ziele regelmäßig verpassen. Entsprechend sollten wir uns realistische Ziele setzen und konkrete Maßnahmen zu deren Erreichung erarbeiten! Das gilt besonders auch für den Kohleausstieg. Eine komplette Abschaltung der Kohlekraftwerke nach Fahrplan bis 2030 halte ich für unsinnig. Ein gezwungenermaßen überhasteter, kompletter Umstieg auf Gas würde die Kosten der Energiewende drastisch erhöhen. Ein marktgetriebener Ausstieg aus der Kohle, getrieben durch CO2-Preise, ist der weitaus bessere Weg.

Wichtig ist dabei insbesondere, dass CO2-Preise das Verhältnis zwischen Energieträgern wie Kohle und Gas einerseits und erneuerbaren Energien andererseits korrigieren, ohne die Energiepreise künstlich zu drücken und die Anreize für Energieeinsparungen zu zerstören. Genau das passiert aber durch Subventionen.

et: Im Koalitionsvertrag ist eine sog. Struktur-wandel-Kommission („Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“) angekündigt, der (nicht nur) über die Zukunft der Kohle beraten soll. Wovon sollte sich dieses Gremium leiten lassen?

Pittel: Dass wir langfristig aus der Kohle aussteigen müssen, ist unbestritten. Dass dies in Regionen, die über Jahrzehnte vom Kohleabbau geprägt wurden, Zukunftsängste hervorruft, ist ebenso nachvollziehbar. Schon mit Blick auf die Notwendigkeit einer breiten Unterstützung der Klima- und Energiepolitik in den kommenden Jahrzehnten muss hier vorsichtig vorgegangen werden. Den betroffenen Regionen muss eine Zukunftsperspektive gegeben werden. Welche Herausforderungen auf uns zukommen, ist allerdings noch lange nicht absehbar. Wer weiß, ob sich der Ausstieg nicht kostengünstiger gestalten lässt, als befürchtet. Man darf gespannt sein, was die Strukturwandel-Kommission erarbeiten wird. Das Jahr 2019 steht als terminliches Ziel im Raum. Es gilt vor allem, nichts übers Knie zu brechen. Es müssen Lasten bei den Energiepreisen verschoben und es muss eine ständige Überprüfung der Wirksamkeit der Instrumente sowie eine faire Kostenverteilung geben.

et: Frau Prof. Pittel, vielen Dank für das Interview. 

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„et“-Redaktion
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