
Abb. EEX-Erdgaspreise Marktgebiet NCG: Day Ahead und Frontjahr (Bildquelle: eid)
Es ist außerdem in Betracht zu ziehen, dass die Nachfrage nach Erdgas wahrscheinlich in ganz Europa steigen wird. Ob der zunehmende Bedarf auch zukünftig zuverlässig ohne Versorgungslücken gedeckt werden kann, ist fragwürdig. Zumal die Gasinfrastruktur schon heute an ihre Grenzen stößt!
Die Kälteperiode im Februar und März dieses Jahres hat den Gasbedarf in ganz Europa vervielfacht. In Deutschland hat er sich an einzelnen Tagen verdreifacht – von normalerweise etwa 1.000 GWh auf mehr als 3.000 GWh. Das europäische Liefersystem geriet „unter Stress“. Die Gasspeicherfüllstände sind alarmierend niedrig. Bei unseren Nachbarn Frankreich und Belgien waren die Speicher Ende Februar/Anfang März nur noch zu etwa 10 % gefüllt. Auch in Deutschland hat sich die Reserve auf etwa 55 TWh und damit auf den 5-Jahres-Tiefststand reduziert. Anfang März lagen die Füllstände der Kavernen- und Porenspeicher in Deutschland durchschnittlich bei 22 %. Zudem nimmt mit sinkendem Füllstand die Ausspeicherleistung der Speicher ab. Und zu diesem Zeitpunkt sind weitere Kältewellen nicht ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund eines eher milden bis normalen Temperatur-niveaus in den Monaten November bis Januar ist die drastische Reduzierung der Speicher-Reserven besorgniserregend.
In Großbritannien mussten Industriebetriebe ihren Gasverbrauch aufgrund der Knappheit zeitweilig drosseln – obwohl es im Kraftwerks-sektor zu keiner erhöhten Gasnachfrage kam, da Kernenergie und Kohlekraftwerke den Bedarf deckten. Die gesteuerte Abschaltung von Verbrauchern ist auch in Deutschland im Rahmen unterbrechbarer Lieferverträge eine vorgesehene Maßnahme, wenn die Versorgung anders nicht gewährleistet werden kann – derzeit wegen der guten konjunkturellen Auslastung vor allem des produzierenden Gewerbes für viele Unternehmen unerwünscht.
Das Gassystem ist global vernetzt und bringt die einzelnen Verbraucherländer in komplexe Abhängigkeiten – untereinander und zu den Förderregionen. Lieferengpässe an einer Stelle des Systems bewirken unmittelbar auch Knappheit an anderen Orten. Die Kältewelle hat deutlich gezeigt, dass die fast vollständige Abhängigkeit Deutschlands von wenigen Förderländern wie Russland trotz insgesamt erheblicher Speicher-potenziale ein Risiko bleibt.
Versorgungssicherheit muss über die gesamte Lieferkette gedacht werden. Geopolitische Risiken müssen dabei einkalkuliert werden – aktuell und erneut der Konflikt über Transitverträge zwischen Russland und der Ukraine. Da Russland seine Exportmengen trotz Knappheitssituation nicht erhöht hat, kann angenommen werden, dass die Lieferungen schon an der Kapazitätsgrenze liegen. Aber auch in anderen Lieferländern kann es zu Problemen bei Lieferung oder Produktion kommen, wie die Exporte aus den Niederlanden zeigen [1].
Die Gaspreise haben sich auf Grund der Knappheit im kurzfristigen Handel vervielfacht – im nordwestlichen Europa von normalerweise etwa 20 €/MWh auf zeitweilig mehr als 100 €/MWh (TTF Gaspool Day Ahead). Wäre Deutschland in der Kältephase auf die Gaskraftwerke angewiesen gewesen, hätten sich die hohen Gaspreise im kurzfristigen Handel wahrscheinlich in deutlich erhöhten Strompreisen niedergeschlagen.
Gas- und Stromsystem hängen eng zusammen. Die Auswirkungen solcher Kälteperioden sind nicht nur auf dem Gasmarkt zu spüren, unter ungünstigen Bedingungen schlagen sich Liefer-engpässe und steigende Erdgaspreise auch in geringerer Versorgungssicherheit und höheren Kosten für die Stromverbraucher nieder. Dass dies in diesem Winter nicht der Fall war, lag daran, dass in Kontinentaleuropa sowie Großbritannien Kohle- und Kernkraftwerke gut verfügbar waren. Zugleich wurde in Deutschland viel Strom aus Windenergie eingespeist, zeitweilig mehr als 30 GW. Dies ist ungewöhnlich, weil starker Wind in Kälteperioden mit hohem Luftdruck eher die Ausnahme ist.
Die aktuelle Knappheitssituation im Gassektor zeigt, wie wichtig ein breiter Energiemix zur Vermeidung von Versorgungs- und Preisrisiken ist. Die heute noch vorhandene Diversifikation bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, Kohle, Kernenergie und Gas dämpft Abhängigkeiten und schützt vor Engpässen bei kritischen Versorgungslagen.
Anmerkung
[1] Siehe auch M. Karasz et al.: Das Risiko einer L-Gas Versorgungskrise in Deutschland – Grund zur Beunruhigung? in Energiewirtschaftliche Tagesfragen 68. Jg. (2018) Heft 3, S. 31 ff.