Marktversagen und Regulierungsrisiko – Schwachpunkte des theoretisch optimalen Energy-Only-Marktes

Abb. Schematische Darstellung der Projektmethodik

Abb. Schematische Darstellung der Projektmethodik (Quelle: www.traderes.eu)

Der etablierten ökonomischen Theorie folgend, sollte der Energy-Only-Markt jedoch auch in einem vollständig erneuerbaren Energiesystem in der Lage sein, die richtigen Anreize sowohl für erneuerbare als auch sichere Kapazitäten zu setzen [8]. Schließlich ist es neben dem Handel an den Spotmärkten für alle Marktakteure möglich und gängige Praxis, auf Basis erwarteter Spotpreise langfristige Verträge abzuschließen, die sowohl Preisrisiken als auch physische Ausfallrisiken absichern können. Entscheidend für die Anreizwirkung des Energy-Only-Markts ist aber zunächst die Vollendung des Zielmodells des europäischen Strombinnenmarktes: während der heute regulatorisch bereits erfolgreich gekoppelte Day-Ahead-Markts vor allem aufgrund von Netzengpässen noch unter seinen Möglichkeiten bleibt, mangelt es den nationalen Intraday- und Regelenergiemärkten noch an der notwendigen Harmonisierung, um einen liquiden grenzüberschreitenden Stromhandel zu ermöglichen. Zum anderen müssen die Preissignale des Strommarktes die tatsächliche Zahlungsbereitschaft der Verbraucher widerspiegeln und unverzerrt an die Erzeuger weitergegeben werden. Die Existenz von Zahlungsströmen außerhalb des Großhandels wie die o.g. Kapazitätsmechanismen sowie teilweise auch die Förderungen von erneuerbaren Energien verzerren jedoch erzeugungsseitig die Preissignale [7]. Auch verbrauchsseitig gibt es Hemmnisse, die Zahlungsbereitschaft für Versorgungssicherheit auszudrücken. So haben Stromvertriebe derzeit kaum Anreize, Abschaltverträge mit ihren Kunden, insbesondere aus Industrie und Gewerbe, auszuhandeln, da die Abschaltung der Endkunden im Falle eines Leistungsbilanzdefizits diskriminierungsfrei durch den Übertragungsnetzbetreiber ausgeführt wird, ohne die Verursacher des Defizits zu betrachten [9].

Zudem können nationale Preisober- und Untergrenzen, wie bspw. bis vor kurzem im iberischen Strommarkt implementiert, verhindern, den Systembedarf in Form von hohen Knappheitspreisen am Markt auszudrücken. Exemplarisch lässt sich dies aktuell an Diskussionen rund um Eingriffe in den Großhandel aufgrund der durch Gas-, CO2- und Kohlepreise getriebenen hohen Strompreise beobachten. Greifen Regulierer beim Auftreten extrem hoher Preise direkt in den Großhandel ein und begrenzen die Gewinne von Erzeugern, fehlen diesen die Zusatzrenten möglicherweise in Niedrigpreisjahren, um Finanzierungsausfälle auszugleichen. So werden Eingriffe in den Energy-Only-Markt zur „self-fulfilling prophecy“: schon die Möglichkeit der Verzerrung der Preissignale durch potenzielle regulatorische Eingriffe macht die Prognose zukünftiger Zahlungsströme, die für die langfristigen Investitionen in der Energiewirtschaft jedoch notwendig sind, zusätzlich zu Wetter- und anderen Risiken schwerer oder ggf. gar nicht mehr handhabbar.

Letztlich stellt sowohl die Einführung von strategischen Reserven oder staatlichen Kapazitätsauktionen als auch die Förderung von Erneuerbaren die Entscheidung dar, Marktrisiken zu sozialisieren und über Netzentgelte, Steuergelder oder Umlagen zu finanzieren und den Ausbau der neuen Energieinfrastruktur zentraler zu organisieren. Die Kosten dieser deutlich planbareren Versorgungssicherheit sind je nach Ausgestaltung der Förderinstrumente Verluste von dezentralen Informationsvorteilen der Marktteilnehmer, die zu Effizienzverlusten führen werden.

Horzion2020-Projekt TradeRES erforscht Strommarktdesigns für erneuerbare Energiesysteme

Um zu bewerten, welche Ausgestaltung des Stromgroßhandels geeignet ist, die Transformation zu einem 100 % erneuerbaren europäischen Energiesystem zu finanzieren und ob dieser durch Kapazitätsmechanismen oder Erneuerbaren-Förderung ergänzt werden muss, ist es essenziell, die beschriebenen Marktrisken und -dynamiken unter verschiedenen Rahmenbedingungen hinreichend genau zu modellieren und zu analysieren.

Das Forschungsprojekt TradeRES, welches im Frühjahr 2020 gestartet ist und im Rahmen des Horizon 2020 Programms der EU-Kommission gefördert wird, hat sich dies zur Aufgabe gemacht. TradeRES verfolgt dabei den einzigartigen Ansatz, die Fähigkeiten von sechs verschiedenen durchführenden europäischen Forschungsinstitutionen mit erprobtne Energiesystemmodellen zu kombinieren. Es handelt sich dabei sowohl um agenten-basierte, d.h. eher verhaltensökonomisch orientierte Modelle als auch um klassische Kostenoptimierungsmodelle, die jeweils für unterschiedliche nationale Märkte sowie ganz Europa kalibriert sind (siehe Abb.).

Auf diese Weise soll es gelingen, das zukünftige klimaneutrale Energiesystem Europas und dessen Marktdynamik unter verschiedenen Designoptionen, die ebenfalls im Rahmen des Projekts entwickelt wird, bestmöglich zu modellieren. Neben dem klassischen Großhandelsmarkt für Strom werden dabei auch die Rolle von Sektorenkopplung, Demand Response und lokalen Märkten modelliert und untersucht werden.

Damit wird das Projekt, das bis Anfang 2024 an seinen Ergebnissen arbeiten wird, einen wissenschaftlichen Beitrag zur Diskussion rund um notwendige Anpassungen des europäischen Strommarktdesigns vor dem Hintergrund der Herausforderung der Dekarbonisierung leisten. Der Bereich Energiewirtschaft der EnBW AG ist aktiver Teil des Projektkonsortiums.

Quellen

[1] European Commission: 2020 report on the State of the Energy Union pursuant to Regulation (EU) 2018/1999 on Governance of the Energy Union and Climate Action, KOM(2020), Brüssel.
[2] Ram, M., et al.: Global Energy System based on 100% Renewable Energy – Energy Transition in Europe Across Power, Heat, Transport and Desalination Sectors., Study by LUT University and Energy Watch Group 2018 Lappeenranta, Berlin.
[3] Council of European Energy Regulators: Status Review of Renewable Support Schemes in Europe for 2016 and 2017, CEER(2017), Brüssel.
[4] Newbery, D., et al: Market design for a high-renewables European electricity system, Renewable and Sustainable Energy Reviews 91 (2018), 695-707.
[5] Hirth, L.: The market value of variable renewables: The effect of solar wind power variability on their relative price, Energy Economics 38 (2013): 218-236.
[6] Fabra, N.; Llobet, G.: Auctions with Unknown Capacities: Understanding Competition among Renewables, Centre for Economic Policy Research (2019).
[7] Schittekatte, T. und Meeus, L.: Capacity Remuneration Mechanisms in the EU: today, tomorrow, and a look further ahead, Robert Schuman Centre for Advanced Studies Working Paper 71/2021.  [8] Schweppe, F., et al.: Spot pricing of electricity, Springer Science & Business Media (2013).
[9] Cremer, C.: Versorgungssicherheit durch Verpflichtung der Lieferanten, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 64 (2014), Heft 9.  

S. Johanndeiter, Doktorandin Energiewirtschaft und Langfristprämissen, A. Lust, Manager Energiewirtschaft und Langfristprämissen, C. Cremer, Konzernexperte Energiewirtschaft und Langfristprämissen, EnBW AG, Karlsruhe, s.johanndeiter@enbw.com

 

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