Offene Türen

Den Kern der BDI-Studie bilden fünf Klimapfade (Bild: pixelkorn | Fotolia)

Hierfür werden konkrete Realisierungskonzepte gesucht, die Effizienz und kostengünstige, marktorientierte Lösungen in den Vordergrund stellen. Die vom Bundesverband der Deutschen Industrie in Auftrag gegebene Studie „Klimapfade für Deutschland“ liefert eine fundierte Grundlage für die angekündigte Diskussion des Klimaschutzplans und der klimapolitischen Strategie der Bundesregierung.

Angesichts der von der Bundesregierung für 2018 angekündigten Debatte über den Klima-schutzplan 2050 ist der Bedarf an technologischem Know-how und praktischer Orientierung gerade jetzt besonders hoch. Der BDI hat daher zu Jahresbeginn eine Studie vorgelegt, die die Boston Consulting Group sowie die Prognos AG erarbeitet haben und in deren Entstehung eine große Anzahl von Experten aus der ganzen Breite der Industrie unmittelbar eingebunden wurden. Die Studie „Klimapfade für Deutschland“ bietet damit eine fundierte Grundlage für die angekündigte Diskussion des Klimaschutzplans und der klimapolitischen Strategie der Bundesregierung. Dabei geht es im Kern um die Frage, welche Treibhausgas-Minderungen in Deutschland unter welchen politischen, technologischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen bis 2030 bzw. 2050 erreicht werden können. Die Studie nimmt damit aus volkswirtschaftlicher Perspektive eine technisch-ökonomische Optimierung vor; sie beschreibt aber noch nicht, welche konkreten politischen Maßnahmen zu diesen optimalen Pfaden führen würden. Zur Klärung wurden zunächst drei Szenarien betrachtet: Referenzszenario, „Nationale Alleingänge“ und „Globaler Klimaschutz“.

Annahmen

Das Referenzszenario schreibt die heutigen klimapolitischen Rahmenbedingungen fest (Current Policies Scenario) und beschreibt, welche Treibhausgasreduktionen sich bereits damit bis 2050 ergeben werden. Eine zentrale Annahme, die schon im Referenzszenario verankert ist, stellt ein umfangreicher und effektiver Carbon-Leakage-Schutz dar [1]. Weitere Annahmen sind die Fest- und Fortschreibung der heute geltenden Gesetze und Verordnungen [2]. Zudem wird unterstellt, dass es eine perfekte Regulierung gibt, die Politik also die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit trifft [3]. Die BDI-Studie simuliert das deutsche Stromnetz 2050 als Kupferplatte. Zur Netzstabilität tragen über die Nutzung von Flexibilitäten, so die Annahme, alle Stromverbraucher bei. Bedeutend für die Ergebnisse sind zudem die Preisannah-men für CO2 und fossile Brennstoffe. Für das Referenzszenario und das Szenario „Nationale Alleingänge“ wurde ein CO2-Preispfad unterstellt, der langfristig zwischen den Szenarien Current Policies und New Policies des „World Energy Outlook“ (WEO) 2016 der International Energy Agency (IEA) liegt, jedoch kurz- und mittelfristig langsamer ansteigt. Dabei wurde für das Modell angenommen, dass der CO2-Preis bis zum Jahr 2050 auf 45 €/t (2030 auf 26 €/t) steigt. Der Ölpreis wird im Referenzszenario mit 115 US-$ pro Barrel in 2050 unterstellt [4]. Technologiekosten wurden von Expertengruppen abgeschätzt. Der Einsatz von Technologien zur Emissionsreduktion verläuft entlang einer Merit-Order der volkswirtschaftlichen Vermeidungskosten. 

„Nationale Alleingänge“

Im Szenario „Nationale Alleingänge“ werden die Annahmen des Referenzszenarios übernommen. Ambitionierter Klimaschutz wird lediglich in einem Kerneuropa und vereinzelt in anderen Ländern verfolgt. Zentral ist in diesem Szenario, dass ein umfassender und effektiver Carbon-Leakage-Schutz unterstellt wird. Aufgrund fehlender internationaler Klimaschutzambitionen ist dies notwendig, da ohne level-playing-field eine weitgehende Abwanderung industrieller Produktion ins Ausland mit oft geringeren Standards erfolgen wird.

„Globaler Klimaschutz“

Das Szenario „Globaler Klimaschutz“ unterstellt gleichermaßen ambitionierte Klimaschutzpolitiken aller Länder. Konkret festgemacht werden diese Ambitionen an international vergleichbaren CO2-Preisniveaus. Der CO2-Preis orientiert sich am Szenario 450 ppm des WEO. Dieser steigt auf 55 €/t CO in 2030 und auf 124 €/t in 2050 an. Der Ölpreis hingegen liegt in diesem Szenario aufgrund stagnierender bzw. rückläufiger Weltnachfrage nach fossilen Brennstoffen bei real 50 US-% pro Barrel.

Klimapfade für Deutschland

Den Kern der BDI-Studie bilden fünf Klimapfade. Der Referenzpfad führt die bisher beschlossenen Maßnahmen fort und setzt sie effektiv um. Der resultierende Pfad ermöglicht u.a. die Bestimmung der zu schließenden „Lücke“ zu einem 80 %- bzw. 95 %-Reduktionsziel für 2050 im Vergleich zu 1990. Die Pfade zu 80 % und 95 % lassen sich wiederum jeweils in nationale Alleingänge und globaler Klimaschutz aufteilen. Das Referenzszenario bildet zusammen mit dem N80, G80 sowie N95 und G95 die Klimapfade für Deutschland. Die Auswahl der einzelnen technischen Maßnahmen erfolgt dabei mit wie folgt:

  • Es werden nur technische Maßnahmen eingesetzt, die bereits heute eine ausreichende technische Reife aufweisen und deren Lernkur-ven und Kostenentwicklungen damit nach heutigem Kenntnisstand abschätzbar sind.
  • Die Maßnahmen werden mit volkswirtschaftlichen CO2-Vermeidungskosten bewertet und sektorübergreifend priorisiert. Kein Sektor bekommt ex ante vorgeschrieben wie viel er zu leisten hat.
  • Es werden explizit praktische Restriktionen sowie gesellschaftliche und politische Akzeptanzbeschränkungen berücksichtigt – z. B. geringe gesellschaftliche Akzeptanz für Fleisch-verzicht, andere Suffizienzmaßnahmen oder Carbon-Capture-and-Storage (CCS).
  • Der Weg wird auf Zielerreichung in 2050 ausgerichtet; Zwischenziele für 2030, wie im Klimaschutzplan 2050 vorgeschrieben, werden explizit nicht definiert.
  • Bestehende politische Rahmenbedingungen, die eine potenzielle Limitation für die Umsetzung technologischer Maßnahmen darstellen, werden zunächst nicht berücksichtigt.

Die resultierende Merit-Order der technischen Maßnahmen ist volkswirtschaftlich auf das Jahr 2050 optimiert. Die Optimierung berücksichtigt zudem unterschiedliche Hochlaufzeiten der Technologien und ihre Marktreife. 

Kernergebnisse der Studie: Mind The Gap!

Mit einer Fortsetzung derzeitiger Anstrengungen in Form bestehender Maßnahmen, beschlossener politischer und regulatorischer Rahmenbedingungen sowie absehbarer Technologieentwicklungen („Referenzpfad“) werden bis 2050 ca. 61 % Treibhausgas(THG)-Reduktion gegen über 1990 erreicht. Es verbleibt damit eine Lücke von 19 bis 34 Prozentpunkten zu den deutschen Klimazielen.

80 %-THG-Reduktion sind technisch möglich und können in den betrachteten Szenarien unter den getroffenen Annahmen volkswirtschaftlich verkraftbar ausgestaltet werden. Die Umsetzung würde allerdings eine deutliche Verstärkung bestehender Anstrengungen, politische Umsteuerungen und ohne globalen Klimaschutzkonsens einen wirksamen Carbon-Leakage-Schutz erfordern. Die Erreichung des 80 %-Pfades ist gleichbedeutend mit einer Halbierung der Restemissionen aus dem Referenzpfad.

95 %-THG-Reduktion wären dagegen an der Grenze absehbarer technischer Machbarkeit und heutiger gesellschaftlicher Akzeptanz. Solange international keine vergleichbaren Bedingungen vorherrschen, kann dieses nationale Ziel aus Sicht des BDI daher nicht sinnvoll verfolgt werden. Für ein 95%-Ziel müssten die Rest-emissionen des 80 %-Pfades noch einmal um 75 % gesenkt werden. Eine solche Reduktion erfordert praktisch Nullemissionen für weite Teile der deutschen Volkswirtschaft (Abb. 1). Dies würde neben einem weitgehenden Verzicht auf alle fossilen Brennstoffe u.a. einen umfassenden Import erneuerbarer Kraftstoffe (340 TWh Importe), den Einsatz aktuell unpopulärer Technologien wie Carbon-Capture-and-Storage (CCS) für industrielle Prozesse und sogar eine Reduktion des Tierbestands oder Futtermittel-zusätze, vulgo „Methanpille bedeuten – eine ökonomisch erfolgreiche Umsetzung wäre nur bei ähnlich hohen Ambitionen in den meisten anderen Ländern vorstellbar.

Die kosteneffiziente Erreichung der Klimapfade würde aus heutiger Sicht in Summe Mehrinvestitionen von 1,5 bis 2,3 Bio. € bis 2050 gegenüber einem Szenario ohne verstärkten Klimaschutz erfordern [5], davon ca. 530 Mrd. €. für eine Fortschreibung bereits bestehender Anstrengungen (im Referenzpfad). Die direkten volkswirtschaftlichen Mehrkosten lägen bei etwa 470 bis 960 Mrd. € bis 2050.

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