Coronakrise und Klimaschutz – Zwei Thesen, viele Antworten

Abb. 2 These „Rücknahme Klimaschutzmaßnamen“: Politische Relevanz (n=196), Skala: 1 (nicht relevant) bis 10 (sehr relevant)

Abb. 2 These „Rücknahme Klimaschutzmaßnamen“: Politische Relevanz (n=196), Skala: 1 (nicht relevant) bis 10 (sehr relevant) (Quelle:ITAS)

Abb. 3 These „Wirtschaftshilfe Klimaschutz“: Eintrittswahrscheinlichkeit (n=147)

Abb. 3 These „Wirtschaftshilfe Klimaschutz“: Eintrittswahrscheinlichkeit (n=147) (Quelle:ITAS)

Im Folgenden stellen wir ausgewählte Ergebnisse der Umfrage für zwei Thesen mit Bezug zum Klimaschutz vor.

Die Corona-bedingte Rezession wird zu einer Rücknahme ökologischer und klimaschützender Maßnahmen führen, um die Wirtschaft zu fördern. Klimaziele werden nach 2020 weit verfehlt werden. (These 3)

Nahezu zwei Drittel der Antwortenden (61 %) schätzen es als eher wahrscheinlich (39 %) oder sogar sehr wahrscheinlich (22 %) ein, dass die Corona-bedingte Rezession zu einer Rücknahme ökologischer und klimaschützender Maßnahmen führt, um die Wirtschaft zu fördern und dass die Klimaziele nach 2020 weit verfehlt werden (siehe Abb. 1).

Begründet wird diese Bewertung vor allem damit, dass der primäre politische Fokus auf ökonomischem Wachstum, Begrenzung der Arbeitslosigkeit sowie Bewältigung von Wirtschaftskrisen liege. Zudem wird betont: „Das Argument des Vorrangs wirtschaftlicher Entwicklung vor ökologischen Zielen gewinnt in Rezessionen immer an Bedeutung“. So werden laut den befragten Experten vorrangig Modelle und Programme der wirtschaftlichen Förderung und Unterstützung gewählt, die vor allem das Überleben der großen Konzerne (als große Arbeitgeber) im Modus „business as usual“ gewährleisten sollen. Außerdem sei die Klimakrise „durch Corona in den Hintergrund gerückt, da die Coronakrise eine greifbarere und akutere Bedrohung“ darstelle.

Die politische Relevanz dieser These wird dementsprechend als sehr hoch eingeschätzt. Der Mittelwert der Antworten (auf einer Skala von 1 bis 10) von über 8,2 ist ein klares Signal an die Politik, hier gestaltend einzugreifen (siehe Abb. 2). Tatsächlich wird den beiden Thesen zum Klimaschutz unter allen 21 Thesen die höchste politische Relevanz zugesprochen.

So weisen die Befragten in ihren fiktiven Empfehlungen an die Bundeskanzlerin auch darauf hin, dass über die Coronapandemie andere Krisen nicht vergessen werden dürften. Der Klimaschutz müsse als zentrales Ziel weiter gestärkt, die klimapolitischen Ziele dürften nicht außer Acht gelassen werden. Einer Aussage nach sei das Klima sogar wichtiger als die Pandemie. Man müsse den Klimawandel jetzt konsequent ernstnehmen und die Klimawandelbewältigung als oberste Handlungsmaxime ansehen. Es bräuchte, so einige der Befragten, daher „echte[n] Klimaschutz“ und eine „ganzheitliche zeitnahe Energiewende“. Die Pandemie sei eine Chance für einen wirklichen Umbau. Beispielweise habe die Coronakrise gezeigt, wie umfassend das Leben der Menschen geändert werden könne, also wären auch größere Veränderungen durch Klimaschutz möglich. Es sei wichtig, allgemein mehr in vorsorgendes Handeln und Denken zu investieren, um auf Katastrophen vorbereitet zu sein.

Etwas mehr als ein Drittel der Antwortenden (39 %) sehen die in der These beschriebenen Entwicklungen als eher unwahrscheinlich (35 %) oder unwahrscheinlich (4 %) an. Diese Einschätzung wird vordergründig mit der Veränderung des Bewusstseins für Klimaschutzthemen in der Gesellschaft, der zunehmenden Spürbarkeit von Auswirkungen des Klimawandels sowie mit bereits stattfindenden Verhaltensänderungen begründet. Beispielsweise sehen die Experten eine wachsende „Flugscham“, größeres Interesse an heimatnahem Reisen sowie ganz allgemein eine steigende Sensibilität für das eigene, individuelle Handeln. Ergänzt wird dies mit der Einschätzung, dass die derzeit getroffenen Maßnahmen mit Blick auf den Klima- und Umweltschutz als ausgewogen erscheinen. Auch habe die Coronakrise zu einer Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber (gesellschaftlich mitbedingten) „Naturkatastrophen“ geführt, die unser Leben und Wirtschaften unmittelbar und gravierend verändern können. Nicht zuletzt sind die Befragten auch der Meinung, dass die Coronakrise das Vertrauen in die Wissenschaft eher verstärkt habe.

Einige Länder werden ihre Nach-Corona-Wirtschaftshilfen gezielt auf Klimaschutzmaßnahmen konzentrieren, andere weniger. Mittelfristig werden diejenigen Länder und Unternehmen wirtschaftlich Erfolg haben, die auf Klimaschutz setzen. (These 14)

Eine sehr hohe Zahl der befragten Personen (78 %) hält diese These für sehr (30 %) bzw. eher (48 %) wahrscheinlich (siehe Abb. 3). Nach Ansicht der Teilnehmenden sei dies eine „Frage der Logik“. Klimaschutz werde ein weltweites Langfristthema bleiben. So wird auch die politische Relevanz dieses Themas als enorm hoch eingeschätzt.  Der Mittelwert(!) der Antworten liegt mit 8,2 (auf einer Skala von 1 bis 10) so hoch wie bei keiner anderen der 21 Thesen, und ein Drittel der Antwortenden vergeben der politischen Relevanz dieses Themas gar eine glatte „10“ (siehe Abb. 4). Einhelliger kann eine Antwort kaum ausfallen.

Die Auswirkungen des Klimawandels würden sich künftig auch verstärkt wirtschaftlich niederschlagen. Der Bedarf an Maßnahmen für Klimaschutz werde jedes Jahr drängender. Damit bleibe der Transformationsdruck auch auf die Wirtschaft erhalten. Eine frühe Anpassung und Transformation bringe entsprechende Entwicklungs- und Marktvorteile mit sich. Diese würden sich wiederum positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen und der Staaten auswirken – aber auch auf die Lebensqualität von Gesellschaft sowie der Mitarbeiterschaft. Klimaschutz sei ein „klassischer Wirtschaftsfaktor“.

Die damit verbundenen Investitionen würden einen wirtschaftlichen Erfolg nach sich ziehen. Demzufolge gelte: „[W]er früh dabei ist, sichert sich einen Platz an der Spitze der Entwicklung“. Laut den Antwortenden könnten Länder nur durch Klimaschutzmaßnahmen die Zukunft meistern und durch Vorsorge die Folgen des Klimawandels eindämmen und zukunftsfähig bleiben. Die Frage, ob mittelfristige Wirtschaftshilfen eingesetzt werden oder nicht, hänge u.a. davon ab, wie stark nationale Ökonomien von der Krise betroffen seien und wieviel Solidarität (z.B. im europäischen Raum) vorhanden sei. Übergreifend sei nach Ansicht der Teilnehmenden jedoch zu bedenken, dass der wirtschaftliche Erfolg von viel mehr Variablen abhänge, als nur der Orientierung am Klimaschutz. Wichtig wäre es zudem nach Ansicht vieler Befragten, den Klimaschutz „auf die Basis ‚Abkehr vom Wachstum‘ zu stellen“. So appellieren einige der Zukunftsforschenden, dass der ordnungspolitische Klimaschutz vom wirtschaftlichen Erfolg entkoppelt werden müsse.

Zu bemerken ist des Weiteren, dass die Befragten in ihren Kommentaren zu dieser Klimaschutzthese die Begriffe „Resilienz“, „Effizienz“ und „Nachhaltigkeit“ besonders hervorheben. Investitionen in „Effizienz- und Resilienzmaßnahmen“ seien langfristig entscheidend, da auf diese Weise Länder und Unternehmen einen technologischen Vorsprung erhalten würden, den sie später auch exportieren könnten. Durch die Coronakrise sei das Thema Klimaschutz „nur“ weiter forciert worden; es hätten sich Angriffspunkte für einen Systemwechsel ergeben.

Darüber hinaus kritisieren die Befragten in ihren Kommentaren beispielsweise, dass es möglicherweise zu wenig Länder geben wird, die konsequent auf Klimaschutz setzten. Maßnahmen von einzelnen Ländern seien ungenügend. In Zukunft werde es internationale Sanktionen geben (müssen). Auch werde es schwerer sein, gegen den Willen der Wissenschaft und der Bevölkerung zu handeln, weil die Bevölkerung immer mehr „zur Besinnung“ und zur politischen Mündigkeit kommen würde.

Lediglich 22 % der Teilnehmenden halten den Eintritt der in der These beschriebenen Entwicklungen für eher unwahrscheinlich (15 %) bzw. unwahrscheinlich (7 %). Zunächst führt diese Antwortgruppe an, dass die Folgen des Klimawandels eben nicht vom wirtschaftlichen Erfolg alleine abhängen und auch keine nationalen Grenzen kennen würden, sondern der wirtschaftliche Erfolg mit vielerlei anderen Faktoren wie z.B. natürlichen Gegebenheiten oder von der Industriestruktur verknüpft sei.

Einige Antwortende sind der Ansicht, die These könne für einzelne Länder, wie z.B. Deutschland stimmen, bei denen es aufgrund der besonders günstigen gesamtwirtschaftlichen Bedingungen (Wirtschafts- und Innovationskraft, Technologie-Unternehmen etc.) einen solchen Schub geben werde. Die Ausgangslage und die Betroffenheit der Länder seien jedoch global sehr unterschiedlich. Daneben argumentieren einige der Befragten, dass die Klimakrise unabhängig von Ländern und politischen Grenzen zu Umbrüchen führen werde. Beanstandet wird dabei, dass nicht einmal Deutschland sich gezielt auf Klimaschutz konzentriere, sondern lediglich „ein paar wenige steuernde Maßnahmen in dieser Richtung ergreif[e]“. Das künftige politische Handeln sei dementsprechend besonders entscheidend. Interessant ist, dass auch bei Bewertungen der These als „unwahrscheinlich“ oder „eher unwahrscheinlich“ Wirtschaftswachstum als oberstes Ziel in Frage gestellt wird. Die Konsummuster und das Verhalten (bzw. die Marktnachfrage) zu ändern, stelle aber eine große Herausforderung dar. Daher seien gemeinschaftliche Anstrengungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen erforderlich.

Mit Blick auf die Daten der zweiten Umfragerunde, die etwa ein Jahr nach der ersten erfolgte, zeigt die vorläufige Auswertung der ersten im Beitrag diskutierten These „Rücknahme Klimaschutzmaßnahmen“ (These 3) eine Verschiebung bei der Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit. So sind nach einem weiteren Jahr Coronakrise die Teilnehmenden im Sommer 2021 deutlich eher der Ansicht, dass die in der These beschriebene Entwicklung nicht eintreten wird und Klimaschutz sich als durchaus robust erweist. Gründe für diese Verschiebung der Einschätzung könnten eventuell in Konjunkturprogrammen der EU für klimaschonende Modernisierung der Produktion und Sanierungsprogramme für energiesparendes Wohnen liegen, die mittlerweile öffentlich debattiert wurden, oder aber im parteienübergreifenden Bekenntnis zum Klimaschutz des zur Zeit der zweiten Umfrage beginnenden Bundestagswahlkampfs.

2 / 3

Ähnliche Beiträge