Bewertung der drei Modelle der Klimaneutralität

Klimaschutz: Abb. 1 Bewertung der Klimamodelle

Abb. 1 Bewertung der Klimamodelle (Quelle: ZIRIUS)

Klimaschutz: Abb. 2 Selbst berichtetes Umweltverhalten im Klimasurvey 2021

Abb. 2 Selbst berichtetes Umweltverhalten im Klimasurvey 2021 (Quelle: ZIRIUS)

Generell ist es so, dass für den menschengemachten Klimawandel Emissionen von Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Stickstoffoxide (NOx) sowie weiterer Gase mit Treibhauspotential ursächlich sind. Die unterschiedliche Wirksamkeit für den Klimawandel wird durch Umrechnung in sog. CO2-Äquivalente berücksichtigt. Unter Treibhausgasneutralität wird gemäß dem Pariser Klimaabkommen verstanden, dass nicht mehr CO2-Äquivalente freigesetzt als im gleichen Zeitraum in der Natur wieder gebunden werden.

Im Klimasurvey 2021 wurden drei mögliche Modelle der Klimaneutralität mit jeweils spezifischen (exemplarischen) Vor- und Nachteilen vorgestellt. Diese wurden durch das Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE) der Universität Stuttgart entwickelt [19]:

  • Bei der virtuellen Klimaneutralität können die Emissionen an CO2-Äquivalenten in einem Gebiet durch Finanzierung von Kompensationsmaßnahmen (z. B. durch Emissionsminderungsprojekte in anderen Teilen der Welt, Zertifikatslösungen) kompensiert werden. Diese Methode wäre relativ kostengünstig und es wären keine Verhaltensanpassungen bei den Befragten notwendig. Dem steht die geringste Wirksamkeit für den Klimaschutz bei uns gegenüber. Außerdem wird der Klimaschutz zum Teil in anderen Regionen Europas und der Welt geleistet.
  • Im Modell der bilanziellen Klimaneutralität gleichen sich die Emissionen an CO2-Äquivalenten über das Jahr gesehen aufgrund von Energieimporten und -exporten aus (direkte Treibhausgasemissionen aus dem Energiebedarf der Universität). Dieser Ansatz ist kostengünstiger als die reelle Klimaneutralität (siehe unten) und hat eine größere Wirksamkeit für Klimaschutz bei uns im Vergleich zur virtuellen Klimaneutralität. Auf der anderen Seite ist er kostenintensiver als die virtuelle Klimaneutralität und hat eine geringere Wirksamkeit für den Klimaschutz bei uns als die reelle Klimaneutralität. Er steht demnach zwischen den beiden anderen Ansätzen.
  • Bei der reellen Klimaneutralität sind die Emissionen an CO2-Äquivalenten aus den Aktivitäten der Universität sowie der Vorketten zu jeder Zeit im Jahr gleich null. Diese Form des Klimaschutzes hat die größte Wirksamkeit bei uns und wird vor Ort geleistet. Allerdings ist sie relativ kostenintensiv und erfordert die größten Verhaltensanpassungen.

Ein Großteil der Befragten würde eine Universität bevorzugen, bei der die Emissionen an CO2-Äquivalenten, die den Aktivitäten der Universität zuzurechnen sind einschließlich der Emissionen, die in den Vorketten durch die Aktivitäten der Universität verursacht werden, gleich null sind. 83 % der Befragten bewerten dieses reelle Modell als eher oder sehr positiv. Ebenfalls viel Zustimmung (72 %) erhält das bilanzielle Modell, nach dem zunächst nur die direkten Treibhausgasemissionen aus dem Energiebedarf der Universität auf null gestellt werden. Hingegen können lediglich 30 % der Befragten dem virtuellen Modell etwas abgewinnen, nach dem die Emissionen am Campus durch die Finanzierung von Kompensationsmaßnahmen ausgeglichen werden (siehe Abb. 1).

Stellt man die Teilnehmer vor die Wahl, welcher der drei Ansätze ihrer Meinung nach an der Universität Stuttgart für die Zielerreichung zu Grunde gelegt werden sollte, ist die Antwort entsprechend eindeutig: 59 % sprechen sich für die selbst hart erarbeitete und durchgehende Klimaneutralität aus, 35 % für das Modell der direkten Emissionen und lediglich 6 % für die Variante mit Kompensationen.

Selbstberichtetes Umweltverhalten für den Klimaschutz

Diese Präferenz für einen konsequenten Klimaschutz vor Ort zeigt sich in der Umfrage auch im selbst berichteten Handeln bzw. der Handlungsbereitschaft (siehe Abb. 2). Die Teilnehmenden wurden hierbei gefragt, welche Maßnahmen zum Klimaschutz in den Bereichen Ernährung, Gebäude und Mobilität sie in ihrem Umfeld als Studierende oder Mitarbeitende der Universität Stuttgart (z. B. im Homeoffice, Seminarraum, Büro) bereits ergriffen haben. Die klare Mehrheit nutzt nach eigenen Angaben bereits vermehrt den ÖPNV, fährt mehr Rad, geht häufiger zu Fuß, verzichtet mindestens einmal in der Woche auf den eigenen Pkw, passt sein Lüftungsverhalten an, achtet auf eine sparsame Beleuchtung und zieht lieber einen Pullover an, statt mehr zu heizen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass das tatsächliche vom selbst berichteten Verhalten z.B. aufgrund von Erinnerungsfehlern oder sozialer Erwünschtheit zu einem gewissen Grad abweichen kann.

Im Themenbereich „Gebäude“ berichtet hingegen lediglich jeder Fünfte von der Durchführung baulicher Maßnahmen wie beispielsweise Wärmedämmung oder Fensterisolierung. 42 % der Befragten sehen das Potenzial in diesem Bereich jedoch als sehr groß an. Daraus kann geschlossen werden, dass bei vielen die notwendigen Voraussetzungen für ein Umsetzen der baulichen Maßnahmen (z. B. Eigenheim, Eigentumswohnung bzw. Möglichkeiten am Arbeitsplatz) nicht gegeben sind. Ein ähnlicher Befund zeigt sich bei der Nutzung eines automatischen Sonnenschutzes von Räumen, automatisierter bzw. maschineller Lüftung oder zentraler Heizungssteuerung. 17 % tun dies bereits, 37 % würden es gerne tun und für 37 % trifft dies nicht zu, weil sie vermutlich nicht über installierte, automatisierte Systeme verfügen. Dieser letzte Befund ist für das Reallabor CampUS hoch i von besonderer Relevanz, da der Energieverbrauch im Gebäudebereich, mögliche Reduktionen durch automatisierte Steuerungssysteme sowie die Mensch-Technik-Interaktion im Fokus der Betrachtung stehen.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Kurz vor dem Ukrainekrieg mit seinen Folgen für die Energieversorgung (und somit davon unbeeinflusst) führten Wissenschaftler an der Universität Stuttgart eine quantitative, nicht repräsentative Befragung zu Wahrnehmung und Bewertung von unterschiedlichen Klimamodellen durch. Bei der Beschreibung der Vor- und Nachteile wurde bei der reellen und virtuellen Klimaneutralität auch ausdrücklich auf mögliche Verhaltensänderungen hingewiesen, um so den notwendigen Trade-Off zwischen kollektiver Wirksamkeit einerseits und individuellen Einschränkungen andererseits sichtbar zu machen.

Insgesamt kann aus der Befragung auf ein relativ hohes Interesse am Thema Klimaneutralität bei den teilnehmenden Studiernden und Mitarbeitenden geschlossen werden. Es zeigt sich eine klare Präferenz für einen weitreichenden Klimaschutz, der auch individuelle Verhaltensänderungen einschließt. Außerdem wird – gemessen am selbstberichteten Verhalten der befragten Personen – eine hohe Bereitschaft für ein Engagement im Klimaschutz beobachtet. Hierbei sind jedoch zwei Einschränkungen zu machen. Zum einen können diese Ergebnisse (wie so oft) Ausdruck einer gewissen sozialen Erwünschtheit sein, sprich: Man möchte sich selbst in einem guten Licht darstellen. Zum anderen mag sich hier der universitäre Hintergrund der Befragten bemerkbar machen. Immerhin ist aus anderen Studien bekannt, dass der formale Bildungsgrad einen Einfluss auf z. B. das Umweltbewusstsein hat [20]. Deshalb sollte man den Kontext der Erhebung beachten.

Innerhalb dieses Kontextes zeigt sich, dass die Befragten die Effektivität des Klimaschutzes ungeachtet der erforderlichen Verhaltensänderungen präferieren. Dies ist im Hinblick auf die in bisherigen Studien festgestellte Differenz zwischen der tendenziellen Zustimmung zu kollektiven Aktionen im Rahmen des Klimaschutzes bzw. der Energiewende und der teilweisen Ablehnung von individuellen Beiträgen ebenso überraschend wie positiv: „Diese Ergebnisse sind äußerst ermutigend. Für unser Vorhaben der Förderung des Klimaschutzes an der Universität Stuttgart sind das hervorragende Voraussetzungen. Wir werden diese Wünsche der Befragten nun in unseren nächsten Forschungsschritten aufnehmen“, resümiert ZIRIUS-Direktorin Cordula Kropp.

Angesichts dieser Ergebnisse stellt sich aber auch die Frage, wie realistisch der Wunsch nach einem konsequenten und selbst praktizierten Klimaschutz ist. Hier ist der Projektleiter von CampUS hoch i, Kai Hufendiek vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart, eher skeptisch: „Technisch-physikalisch gesehen ist schon eine vollständige klimaneutrale Energieversorgung des Campus vor Ort kaum möglich. Dafür reichen die Flächen und das Potenzial an erneuerbaren Energien nicht aus.“ Dies zeigt sich auch deutlich in der Energiebilanz und der damit verbundenen Emissionsbilanz der Universität Stuttgart. Ein Teil der Emissionsreduktion kann zwar durch Maßnahmen vor Ort wie beispielsweise Energieeinsparung durch Sanierung von Gebäuden, Abwärmenutzung, Verhaltensänderungen oder auch die Nutzung erneuerbarer Energien vor Ort erreicht werden. Ein weitaus größerer Teil der Energie wird jedoch auch bei einer klimaneutralen Energiebereitstellung auf den Campus „importiert“ werden müssen. Hier ist dann aber relevant, welche Energieträger eingesetzt und wie diese bereitgestellt werden.

Ein Grund, weshalb Wunsch und Wirklichkeit noch nicht zusammenpassen, könnte auch darin liegen, dass den meisten Befragten nicht klar ist, wie hoch die der Universität Stuttgart zuzurechnenden Treibhausgasemissionen sind und wo die größten Quellen dafür liegen. Kai Hufendiek hat deshalb ein klares Plädoyer: „Wir sollten das Reallabor nutzen, um genau dieses Spannungsfeld aufzuzeigen und vor allem für den Gebäudebereich Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, denn derzeit werden mit 70 % mit Abstand die meisten Treibhausgasemissionen der Universität durch den Wärme-, Kälte- und Strombedarf am Campus Vaihingen verursacht. Ich bin mir sicher, dass an einer Hochschule wie der Universität Stuttgart, die sich Innovationen auf die Fahnen geschrieben hat, noch eine Menge guter Ideen gefunden werden können.“

Anmerkungen/Literatur

[1] Agora Energiewende: Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2021, Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2022. Berlin, 2022. URL: https://www.agora-energiewende.de/ [Zugriff am 13. September 2022].

[2] BMWi/BMU (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie / Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit): Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung. 28. Berlin, 2010. URL: https://www.bmwk.de/Redaktion [Zugriff am 13. September 2022].

[3] IASS (Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung): Soziales Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende 2019, Potsdam, 2020, DOI: https://doi.org/10.2312/iass.2020.010.

[4] Eine Google-Suche mit den beiden Stichworten „Effizienz“ und „Energiewende“ brachte über 2,3 Mio. Treffer. „Suffizienz“ und „Energiewende“ erbrachte hingegen lediglich 37.500 Resultate. Die Suche wurde am 01. Dezember 2022 durchgeführt.

[5] Huber, J.: Nachhaltige Entwicklung durch Suffizienz, Effizienz und Konsistenz. In: Fritz, P.; Huber, J.; Levi, H. W. (Hg.): Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive, eine Publikation der Karl Heinz Beckurts-Stiftung, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1995, ISBN: 9783804713932, S. 31-46.

[6] Linz, M.: Weder Mangel noch Übermaß, Wuppertal Papers Nr. 145, 2004.

[7] Renn, O.: Das Risikoparadox. Warum wir uns vor dem Falschen fürchten, Originalausgabe, S. Fischer Verlag GmbH: Frankfurt am Main, 2014, ISBN 978-3-596-19811-5.

[8] Ruddat, M.; Renn, O.: Wie die Energiewende in Baden-Württemberg gelingen kann. In: „et“ 2012, Heft 11, S. 59-62.

[9] FA Wind (Fachagentur Wind an Land): Umfrage zur Akzeptanz der Windenergie an Land, Herbst 2021, FA Wind, Berlin, 2021. URL: https://www.fachagentur-windenergie.de  [Zugriff am 14. September 2022].

[10] Poortinga, W.; Fisher, S.; Böhm, G.; Steg, L.; Lorraine, W.; Ogunbode, Ch.: Einstellungen zum Thema Klimawandel und Energie in Europa: Ergebnisse der 8. Welle des European Social Survey, ESS Topline Results Series, Ausgabe 9, London, 2018, URL: www.europeansocialsurvey.org [Zugriff am 23. September 2022].

[11] Steentjes, K.; Pidgeon, N.; Poortinga, W.; Corner, A.; Arnold, A.; Böhm, G.; Mays, C.; Poumadère, M.; Ruddat, M.; Scheer, D.; Sonnberger, M.; Tvinnereim, E.: European Perceptions of Climate Change: Topline findings of a survey conducted in four European countries in 2016, Cardiff University, Cardiff, 2017, URL: https://orca.cardiff.ac.uk/id/eprint/98660/7/EPCC.pdf [Zugriff am 5. August 2022].

[12] Liebe, U.; Dobers, G. M.: Decomposing public support for energy policy: What drives acceptance of and intentions to protest against renewable energy expansion in Germany? In: Energy Research & Social Science, 47, 2019, S. 247-260, DOI: https://doi.org/10.1016/j.erss.2018.09.004.

[13] Ruddat, M.; Sonnberger, M.: Wie die Bürgerinnen und Bürger ihre Rolle bei der Energiewende sehen. In: „et” 2015, Heft 1/2, S. 121-125.

[14] Sonnberger, M. / Ruddat, M.: Local and socio-political acceptance of wind farms in Germany. In: Technology in Society, 51, 2017, S. 56-65, DOI: https://doi.org/10.1016/j.techsoc.2017.07.005.

[15] Frondel, M.; Kükenthal, V. Ch.; Larysch, T.; Osberghaus, D.: Wahrnehmung des Klimawandels in Deutschland: Eine Längsschnittbefragung privater Haushalte. In: Zeitschrift für Energiewirtschaft, 45, 2021, S. 119-131, DOI: https://doi.org/10.1007/s12398-021-00303-2.

[16] Das Reallabor CampUS hoch i wird durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert. Nähere Informationen finden sich auf der Projekthomepage unter https://www.project.uni-stuttgart.de/campus-hoch-i/

[17] Sahner, H.: Schließende Statistik, 7. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 2008, http://dx.doi.org/10.1007/978-3-322-95695-8.

[18] Vehovar, V.; Manfreda, K. L.: Overview: Online Surveys, in: Fielding, N.G. / Lee, R.M. und Blank, G. (Hrsg.): The SAGE Handbook of Online Research Methods, Second Edition, London, 2016, ISBN: 9781473918788, S. 143-166.

[19] Drück, H.; Bestenlehner, D.; Lott, S.; Juschka, W.; Hafner, B.; Dott, R.: Solare Konzepte für klimaneutrale Gebäude. In: Das Solarthermie-Jahrbuch 2021, S. 118-124.

[20] UBA (Hrsg.) 2021: 25 Jahre Umweltbewusstseinsforschung im Umweltressort, langfristige Entwicklungen und aktuelle Ergebnisse, Desslau-Roßlau, ISSN 2363-829X.

Michael Ruddat, Birgit Mack und Karolin Tampe-Mai, ZIRIUS – Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung, Universität Stuttgart, michael.ruddat@zirius.uni-stuttgart.de

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