Fehlerhafte europäische Rahmensetzung

et: Ihren Ausführungen zufolge kann die Kohle maßgeblich zu einem weniger ruppigen Übergang der europäischen Stromerzeugung beitragen. Wie ist es um die Rahmenbedingungen dafür bestellt? 

Cieslik: EURACOAL ist der Auffassung, dass die Bandbreiten im neuen LCP BREF (Merkblatt zu den besten verfügbaren Techniken für Großfeuerungsanlagen) nicht alle dem Stand der Technik entsprechen. Betroffen sind beispielsweise die Werte für Stickstoffoxide (NOx) bei bestehenden Braunkohlekraftwerken und Quecksilber bei bestehenden Braun- und Steinkohlekraftwerken. Dies führt für viele Kohlekraftwerke in Europa zu aus unserer Sicht ungerechtfertigten Nachrüstungen bzw. zu vielen behördlichen Verfahren zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen mit ungewissem Ausgang und damit zu Unsicherheiten. Beim NOx beispielsweise müsste der obere Bandbreitenwert für bestehende Braunkohlekraftwerke > 300 MWth statt 175 mg/Nm³ aus technisch-ökonomischer Sicht richtigerweise 190 mg/Nm³ betragen. Das ist eine sehr hohe Abweichung. Dies ist übrigens auch die Auffassung der deutschen Bundesregierung.

Bei Quecksilber gab es bei der Ableitung der Bandbreiten ebenfalls erhebliche Fehler. Die Kommission hat nicht zwischen Staub- und Wirbelschichtfeuerungen differenziert, obwohl beide Techniken über unterschiedliche Rauchgasreinigungstechniken verfügen. Zudem wurden Anlagen aus den USA in der Betrachtung herangezogen, die noch gar nicht im Betrieb sind. Die zweifelsfrei bestehenden Messunsicherheiten –  bei den im Sevilla-Prozess untersuchten Anlagen in Höhe von etwa 2 µg/m³ – wurden nicht berücksichtigt. Allein dieses methodische Defizit verfälscht die Ergebnisse erheblich. Zusätzlich wurden nicht belastbare Einzelmessergebnisse einbezogen, obwohl nur durch kontinuierliche Messungen verlässliche Aussagen über Jahresmittelwerte getroffen werden können.

Um diese fehlerhaften Beschlüsse durchzudrücken, hat die Kommission bei der formellen Beschlussfassung dann auch noch gegen zwingende Verfahrensvorschriften für den Komitologieausschuss verstoßen. Sie hat dort – entgegen ihrer eigenen Geschäftsordnung! – mit Tischvorlagen gearbeitet und so den Mitgliedstaaten keine effektive Möglichkeit zur Prüfung der kurzfristig geänderten Beschlussvorlage eingeräumt. Zudem hat sie mündliche Statements der Mitgliedstaaten vor der Abstimmung ausdrücklich nicht zugelassen. Deshalb hat EURACOAL vor dem Europäischen Gericht Klage gegen das neue LCP BREF eingereicht.

Folgen für Deutschland

et: Zur deutschen Stromerzeugung tragen Braun- und Steinkohle immer noch zu fast 40 % bei. Inwiefern könnte es durch die genannten problematischen Festsetzungen hierzulande zu Turbulenzen kommen?  

Cieslik: Die EURACOAL-Klage hat keine aufschiebende Wirkung. Daher müssen wir zunächst davon ausgehen, dass die neuen technischen Anforderungen aus dem LCP BREF grundsätzlich bis August 2018 in nationales Recht umgesetzt werden und dann bis August 2021 einzuhalten sind. Schon der obere Rand der Bandbreiten ist aus unserer Sicht bei den Stickstoffoxid- und Quecksilberemissionen nicht mit der besten verfügbaren Technik zu erreichen. Die Unternehmen arbeiten natürlich mit Nachdruck an Minderungstechnologien, mit denen die Emissionen weiter reduziert werden können. Trotz der dazu veranlassten Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung haben wir große Bedenken, ob in den bestehenden Kraftwerken die obersten Ränder der Bandbreiten mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erreichbar sein werden. Hier muss aber jeder Kraftwerksblock einzeln geprüft werden.

„EURACOAL ist der Auffassung, dass die Bandbreiten im neuen LCP BREF (Merkblatt zu den besten verfügbaren Techniken für Großfeuerungsanlagen) nicht alle dem Stand der Technik entsprechen. Betroffen sind beispielsweise die Werte für Stickstoffoxide (NOx) bei bestehenden Braunkohlekraftwerken und Quecksilber bei bestehenden Braun- und Steinkohlekraftwerken. Dies führt für viele Kohlekraftwerke in Europa zu aus unserer Sicht ungerechtfertigten Nachrüstungen bzw. zu vielen behördlichen Verfahren zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen mit ungewissem Ausgang und damit zu Unsicherheit“.
Dr. Wolfgang Cieslik, Präsident EURACOAL – The European Association for Coal and Lignite, Brüssel
 

et: Was erwarten Sie von der deutschen Politik in dieser Sache?

Cieslik: Konkrete Überlegungen dazu, welche nationalen Grenzwerte die deutsche Politik anstrebt, sind uns noch nicht bekannt. Wir setzen aber darauf, dass sie bei der dafür notwendigen Änderung der 13. BImSchV und der Abwasserverordnung sowohl die technische Machbarkeit als auch die wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit im Auge behält. Der Maßstab hierfür ist bereits in der europäischen Richtlinie für die Industrieemissionen (IED) definiert: Es geht um den Umwelt- nutzen im Verhältnis zu den zusätzlichen Kosten. Wir gehen natürlich auch davon aus, dass die Versorgungssicherheit angemessen berücksichtigt wird. Die Anforderungen sollten sich daher am Wert der oberen Bandbreite orientieren. 

et: Herr Dr. Cieslik, vielen Dank für das Interview.

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„et“-Redaktion
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