Rechtliche Rahmenbedingungen

Unionsrecht

Den übergreifenden Regelungsrahmen für die Gaswirtschaft legt weiter- hin die sog. Gasbinnenmarktrichtlinie 2009/73/EG als Bestandteil des Dritten Energiepakets vom Juli 2009 fest. Die Richtlinie enthält gem. Art. 1 Abs. 1 „gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas“. Die mit dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften für Erdgas, einschließlich verflüssigtem Erdgas (LNG), gelten gem. Art. 1 Abs. 2 RL 2009/73/ EG in nichtdiskriminierender Weise auch für Biogas und Gas aus Biomasse sowie andere Gasarten, soweit es technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit möglich ist, diese Gase in das Erdgasnetz einzuspeisen und durch dieses Netz zu transportieren. Die Richtlinie gilt damit nicht allein für Erdgas, sondern unter den benannten Voraussetzungen auch für Biogas und sonstige Gasarten. Sie erfasst insoweit auch Wasserstoff.

Diese Interpretation wird durch einen Blick auf die Erwägungsgrün- de der RL 2009/73/EG bekräftigt. Nach Erwägungsgrund Nr. 41 sollen die „Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der erforderlichen Qualitätsanforderungen sicherstellen, dass Biogas, Gas aus Biomasse und andere Gasarten einen nichtdiskriminierenden Zugang zum Gasnetz erhalten, vorausgesetzt, dieser Zugang ist dauerhaft mit den einschlägigen technischen Vorschriften und Sicherheitsnormen vereinbar“. Unter diesen Voraussetzungen zielen die europäischen Vorgaben darauf ab, einen nichtdiskriminierenden Zugang zu den Gasnetzen i.S. eines umfassenden third party access auch für Erzeuger und Verbraucher von anderen Gasarten zu gewährleisten. Soweit sich die RL 2009/73/EG etwa in Zusammenhang mit den Begriffsbestimmungen des Art. 2 allein auf „Erdgas“ bezieht, ist dies mithin nicht i.S. eines Ausschlusses sonstiger Gasarten zu verstehen [21]. Denn

Art. 1 Abs. 2 RL 2009/73/EG ordnet gerade eine analoge Anwendung der Vorschriften für die Gasversorgung auf sonstige Gasarten an. Dessen ungeachtet determinieren Begriffsbestimmungen nicht den Anwendungsbereich einer Richtlinie, sondern gelten ganz im Gegenteil in dessen Rahmen.

Spezifische Regelungen, die sich auf Wasserstoff als gasförmigen Energieträger beziehen, beinhaltet die neugefasste Erneuerbare- Energien-Richtlinie 2018/2001 als Bestandteil des sog. EU-Winterpakets „Saubere Energie für alle Europäer“ [22]. Diese Richtlinie trat am 24.12.2018 in Kraft und ist gem. Art. 36 Abs. 1 S. 1 bis zum 30.6.2021 umzusetzen. Art. 19 RL 2018/2001 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Ausstellung von Herkunfts- nachweisen für Energie aus erneuerbaren Quellen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien zu erlassen [23]. Gem. Art. 19 Abs. 7 lit. b RL 2018/2001 müssen die Herkunfts- nachweise angeben, ob sie Elektrizität oder „Gas, einschließlich Wasserstoff“, oder Wärme bzw. Kälte betreffen [24]. Wie Erwägungsgrund Nr. 58 RL 2018/2001 verdeutlicht, zielt die geschilderte Regelung darauf ab, die vormals nur für Elektrizität aus erneuerbaren Quellen ausstellbaren Herkunftsnachweise auch auf Gas aus erneuerbaren Quellen zu erstrecken (sog. EE-Gas) [25]. Hierzu gehört insbesondere Wasserstoff. Zugleich sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, Herkunftsnachweise auch auf Energie aus nicht erneuerbaren Quellen auszudehnen. Die Neuregelungen der RL 2018/2001 zielen damit darauf ab, eine einheitliche Nachweisführung für die Herkunft von EE-Gas gegenüber den Endkunden zu ermöglichen und einen intensiveren länderübergreifenden Handel mit solchem Gas zu erleichtern.

Zur Verwirklichung dieser Ziele will der europäische Normgeber mit der RL 2018/2001 die bis dato bestehenden Rechtsunsicherheiten in Bezug auf EE-Gas beheben [26]. So sieht Art. 20 Abs. 1 RL 2018/2001 im Hinblick auf den Netzzugang und Netzbetrieb vor, dass die Mitgliedstaaten soweit erforderlich die Notwendigkeit prüfen müssen, die bestehende Gasnetzinfrastruktur auszuweiten, um die Einspeisung von Gas aus erneuerbaren Quellen zu erleichtern. Gem. Art. 19 Abs. 7 lit. b RL 2018/2001 ist als erneuerbares Gas auch Wasserstoff zu klassifizieren, sofern dieser aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird.

Die vorstehenden Regelungen sprechen dafür, dass Fernleitungsnetzbetreiber neben Erdgas auch sonstige Gasarten, insbesondere aus erneuerbaren Quellen hergestellten Wasserstoff, transportieren können und müssen, sofern sie die einschlägigen Vorgaben der RL 2009/73/EG einhalten. Der durch Art. 20 RL 2018/2001 erteilte Prüfungsauftrag an die Mitgliedstaaten umfasst sowohl die Errichtung neuer Leitungen zum Transport nichtfossiler Gasarten wie Wasserstoff, als auch die – weniger aufwändige – Umstellung bestehender Leitungen, die aufgrund des Rückgangs fossiler Energien nicht mehr für den Transport konventioneller Gase benötigt werden.

Nationales Recht

Art. 2 Nr. 4 RL 2009/73/EG, der den Begriff der Fernleitungsnetzbetreiber definiert, wurde im deutschen Recht durch § 3 Nr. 5 EnWG umgesetzt [27]. Wesentliches Tatbestandsmerkmal der Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 5 EnWG ist die „Fernleitung von Erdgas“ [28]. Wasserstoff wird von der Vorschrift damit nicht erwähnt, auch nicht solcher aus erneuerbaren Quellen, obwohl RL 2018/2001 dies explizit anregt. Auch Art. 1 Abs. 2 RL 2009/73/EG ermöglicht wie gesehen eine analoge Anwendung der Vorschriften bezüglich Erdgas auf Gas aus sonstigen Quellen. Hierunter ist nach aktuellem Forschungsstand insbesondere Wasserstoff zu subsumieren.

Trotz des im Vergleich zu Art. 2 Nr. 4 RL 2009/73/EG engeren Wortlauts kann aus § 3 Nr. 5 EnWG nicht pauschal geschlussfolgert werden, dass sich die Aufgaben von Fernleitungsnetzbetreibern al- lein auf Erdgas beziehen. Dies zeigt insbesondere die klarstellende Definition des Begriffes „Gas“ in § 3 Nr. 19a EnWG [29]. Hiernach unterfallen dem Gasbegriff neben Erdgas auch Biogas, Flüssiggas, sofern es für die leitungsgebundene Energieversorgung verwendet wird, ferner Wasserstoff, der durch Wasserelektrolyse erzeugt worden ist, sowie synthetisch erzeugtes Methan, das durch wasserelektrolytisch erzeugten Wasserstoff und anschließende Methanisierung hergestellt worden ist. Als Gas ist gem. § 3 Nr. 19a EnWG mithin jeder Energieträger anzusehen, der unabhängig von spezifischen Beschaffenheits- oder Herkunftsmerkmalen gasförmig und geeignet ist, in der Energieversorgung durch Verbrennung Verwendung zu finden [30]. Zur Energieversorgung zählt gem. § 3 Nr. 4 und 6 EnWG auch der (Gas-)Netzbetrieb. Ergänzend erstreckt § 3 Nr. 10c EnWG den Begriff „Biogas“ auf Wasserstoff, welcher durch Wasserelektrolyse erzeugt worden ist, sofern der zur Elektrolyse eingesetzte Strom weit überwiegend aus erneuerbaren Energie- quellen stammt [31]. Der Gesetzgeber wollte durch diese Vorschrift eine Anwendung der in den Netzzugangs- und Netzentgeltverordnungen enthaltenen Privilegierungen ermöglichen [32]. Folglich gelten etwa die Regelungen der GasNZV für Biogas auch für elektrolytisch, weit überwiegend durch EE-Strom erzeugten Wasserstoff [33]. Gem. § 31 GasNZV zielen die Regelungen des 6. Abschnitts der Verordnung ohne quantitative Einschränkungen darauf ab, die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz zu ermöglichen [34]. Zu diesem Zweck statuiert § 33 Abs. 1 GasNZV als lex specialis zu

§ 17 EnWG einen Anspruch auf vorrangigen Netzanschluss [35]. Eine Zusammenschau des § 3 Nr. 5 EnWG mit den geschilderten Vorgaben spricht dafür, dass der deutsche Gesetzgeber keine ab- weichende Legaldefinition der Fernleitungsnetzbetreiber und somit keine Einschränkung auf den Transport von Erdgas beabsichtigte [36]. Jedenfalls sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der deutsche Gesetzgeber mit § 3 Nr. 5 EnWG hinter den in Art. 1 Abs. 2 RL 2009/73/EG enthaltenen Vorgaben zurückbleiben wollte.

Erachtet man demgegenüber, wie die Bundesnetzagentur, die Begriffsbestimmung des § 3 Nr. 5 EnWG als eine restriktive Beschreibung der Aufgaben von Fernleitungsnetzbetreibern, die den Transport anderer Gasarten als Erdgas ausschließt, wäre in diesem Fall von einem Umsetzungsdefizit des deutschen Rechts auszugehen. Gem. Art. 1 Abs. 2 RL 2009/73/EG gilt der europäische Rechtsrahmen nicht nur für Erdgas, sondern auch für sonstige Gasarten wie Wasserstoff, soweit es technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit möglich ist, diese Gase in das Erdgasnetz einzuspeisen und durch dieses Netz zu transportieren. Auch Art. 20 Abs. 1 RL 2018/2001 fordert die nationalen Normgeber im Interesse einer erfolgreichen europäischen Energiewende auf, zu prüfen, ob die Gasnetze für den grenzüberschreitenden Transport von Wasserstoff ausgebaut werden müssen. Selbst wenn der deutsche Gesetzgeber mit § 3 Nr. 5 EnWG eine dem Stand der Technik des Jahres 2005 entsprechende einheitliche Regelung schaffen wollte, wonach die Fernleitungsnetzbetreiber zunächst nur Erdgas transportieren sollten, wäre diese Rechtslage spätestens mit dem Inkrafttreten der RL 2018/2001 überholt. Da sich heute hinreichende technische Möglichkeiten für den Transport von Wasserstoff über die Fernleitungsnetze bieten und keine Sicherheitsaspekte entgegenstehen, ist § 3 Nr. 5 EnWG jedenfalls richtlinienkonform im Lichte von Art. 1 Abs. 2 RL 2009/73/EG und zugleich wertungsharmonisierend mit § 3 Nr. 10c und 19a EnWG dahingehend auszulegen [37], dass er außer Erdgas auch Biogas, mithin auch Wasserstoff, umfasst.

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