Erforderliche Änderungen des nationalen Rechtsrahmens

Obgleich der europäische Rechtsrahmen Wasserstoff als Gasart umfasst und sich der Umsetzungsauftrag der nationalen Normgeber auch auf Wasserstoff bezieht, resultiert aus dem teilweise engen Wort- laut des EnWG derzeit eine beträchtliche Rechtsunsicherheit. Diese behindert die energiewendebedingten Investitionen in eine Wasserstoffnetzinfrastruktur, weil Netzbetreiber und Investoren Rechtssicherheit benötigen. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, das unionsrechtlich intendierte, umfassende Verständnis der leitungs- gebundenen Gasversorgung in zentralen Vorgaben des EnWG nachzuzeichnen.

Schon als systematischen Gründen muss das EnWG – und kein spezielles Gesetz – als Kernregelungsinstrument der leitungsgebundenen Energieversorgung auch für konventionellen und erneuerbaren Wasserstoff die regulatorischen Leitplanken setzen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das EnWG bereits jetzt für Wasserstoff gilt, der in einer bestimmten Art und Weise produziert wurde, und insoweit jedenfalls auch auf der Verteilernetzebene ein Netzzugangsanspruch für derartige Gase besteht. Es liegt damit auf der Hand, den noch fehlen- den, wenig aufwändigen Schritt der Umsetzung des europäischen Rechts durch eine Ergänzung des EnWG zu gehen. Demgegenüber würde eine Regelung von Zugangsansprüchen, die sich auf die vom EnWG bislang noch nicht erfassten Arten von Wasserstoff beziehen, in einem gesonderten Gesetz einen Systembruch von der grundsätzlichen Konzeption der Regelung von Gasnetzzugangsansprüchen im EnWG darstellen; diese Vorgehensweise würde zudem eine komplizierte Verweisungstechnik erfordern, weil kaum vorstellbar ist, dass das EnWG seine Bedeutung für andere Gase der öffentlichen Energieversorgung völlig verlieren würde. Schließlich spricht für eine Umsetzung im bewährten Rahmen des EnWG auch die zeitliche Dimension. Denn eine Novellierung des EnWG würde kurzfristig erfolgen können und für Investoren den Startschuss für zeitnahe Investitionen in Wasserstoffnetze und die Wasserstoff-Produktions- wie Verwendungstechnik geben. Bekanntlich können solche frühen Investitionen gerade in die Netzinfrastruktur der Entwicklung eines Marktes erheblichen Auftrieb geben, wie die Geschichte der Gaswirtschaft in Deutschland eindrucksvoll zeigt [38].

Für eine zeitnahe Umsetzung im EnWG ist insbesondere die sich auf „Erdgas“ beziehende Definition „Betreiber von Fernleitungsnetzen“ in § 3 Nr. 5 EnWG dahingehend zu modifizieren, dass auf die Fernleitung von „Gas“ abgestellt wird. Diese Anpassung ist auch in den weiteren Definitionen des § 3 Nr. 9 EnWG („Betreiber von Speicher- anlagen“) und § 3 Nr. 19 („Fernleitung“) angezeigt. Die Ersetzung des Begriffs „Erdgas“ durch den Begriff „Gas“ würde zugleich den erforderlichen Gleichklang mit der Definition der Betreiber von Gasverteilernetzen gem. § 3 Nr. 7 EnWG herstellen, die ebenfalls – insoweit richtlinienkonform – auf „Gas“ abstellt. Durch diese Anpassung wird sichergestellt, dass der rechtliche Rahmen für den Transport von Wasserstoff in Fernleitungs- und Verteilernetzen nach den gleichen Grundsätzen ausgestaltet ist [39].

Darüber hinaus besteht Anpassungsbedarf hinsichtlich des in § 3 Nr. 19a EnWG definierten Begriffs „Gas“, der in seiner jetzigen Fassung nur Wasserstoff umfasst, der durch Wasserelektrolyse erzeugt worden ist, sowie synthetisch erzeugtes Methan, das durch wasserelektrolytisch erzeugten Wasserstoff hergestellt worden ist. Die normativ angelegte Technologiebindung in Bezug auf die Herstellung von Wasserstoff führt dazu, dass Wasserstoff, der beispielsweise aus der Dampfreformierung oder der Chloralkali-Elektrolyse stammt, nicht in den Anwendungsbereich des EnWG fällt [40]. Nicht nur im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2 RL 2009/73/EG, der einen nichtdiskriminierenden Netzzugang für sämtliche Gasarten vorsieht, sondern auch in Anbetracht des grenzüberschreitenden Austausches von häufig gemischten Gasen in einem vermaschten Gasfernleitungssystem kann das konkrete Herstellungsverfahren nicht maßgeblich sein für die Frage, ob Wasserstoff durch ein Gas- netz transportiert werden darf.

Angesichts des mit der Wasserstoffstrategie erklärten Ziels, Wasserstoff als weiteren leitungsgebundenen Energieträger zu etablieren und verlässliche Rahmenbedingungen für einen wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarkt in Deutschland zu schaffen, ist es zudem erforderlich, gesetzliche Regelungen für reine Wasserstoffnetze zu erlassen. Insofern ist es in einem ersten Schritt angezeigt, den Begriff des Wasserstoffnetzes im EnWG zu definieren, denn nur mit einer eigenen Begriffsdefinition können erforderliche Sonderregelungen in Bezug auf diese Netze, beispielsweise hinsichtlich der Netzanschlusspflicht, formuliert werden. Insoweit sollte bedacht werden, dass Wasserstoff in Zukunft weitgehend flächendeckend der öffentlichen Energieversorgung dienen soll, so dass ein Wasserstoffnetz letztlich dem Charakter eines Gasversorgungsnetzes entsprechen sollte, das gem. § 3 Nr. 20 EnWG der allgemeinen Energieversorgung dient. In Konsequenz dessen sind geringfügige Änderungen der Gasnetzzugangsverordnung erforderlich, damit die Vorgaben zum Netzzugang rechtssicher auch auf Wasserstoffnetze Anwendung finden und eine separate Bilanzierung dieser Netze ermöglicht wird. Letzteres ist insbesondere vor dem Hintergrund bedeutend, dass Netzbetreiber vor allem zu Beginn des Betriebs von Wasserstoffnetzen wohl noch keine energetische Bilanzierung über die Gasarten hinweg vornehmen können werden [41].

Für eine zeitnahe Verfügbarkeit einer geeigneten Wasserstoffnetzinfrastruktur ist schließlich entscheidend, dass hierfür die bestehenden Gasnetze umgestellt werden. Vielfach wird damit der Bau neuer Wasserstoffleitungen obsolet. Um die Umstellung bestehender Leitungen ohne nennenswerten Aufwand vollziehen zu können, ist die Aufnahme einer Auslegungsregel für beschränkt persönliche Dienstbarkeiten und sonstige Leitungsrechte im EnWG angezeigt. Denn die privatrechtlichen Rechte zum Betrieb von Leitungen ergeben sich häufig aus beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten i.S.d. § 1090 BGB, die Wasserstoffleitungen als solche nicht explizit benennen und daher dahingehend auslegungsbedürftig sind. Eine solche Auslegungsregelung könnte in Zweifelsfällen zur Anwendung gelangen und so nebenbei auch den planungsrechtlichen Prozess beschleunigen.

Fazit

Die besondere Bedeutung von Wasserstoff für die Energieversorgung der Zukunft wird nicht nur durch die EE-Richtlinie 2018/2001 betont. Auch die Gasbinnenmarktrichtlinie 2009/73/ EG stellt Wasserstoff unter den Voraussetzungen einer technisch möglichen und sicheren Integration in das bestehende Gasversorgungssystem dem etablierten Energieträger Erdgas gleich. Da im Ergebnis der technischen Entwicklung der letzten Jahre die beiden letztgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, besteht im geltenden EnWG ein Umsetzungsdefizit. Demgemäß ist der Gesetzgeber gehalten, zentrale Vorschriften des EnWG richtlinienkonform im Hinblick auf die leitungsgebundene Versorgung mit Wasserstoff anzupassen.

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