Berechnungen der Gesamtemissionen der Stromerzeugung
Bei der Berechnung der Gesamtemissionen in [3] bleiben Downstream-Emissionen unberücksichtigt. Die Vorkettenemissionen für LNG und Steinkohle werden der UBA-Studie [4] entnommen. Die dort verwendeten sehr optimistischen Werte markieren die untere Grenze. Die CO2-Emissionsfaktoren zur Berechnung der Emissionen der Stromerzeugung stammen von UBA und Agora Energiewende. Daraus werden die Gesamtemissionen bezogen auf den Heizwert für GWP-100 und GWP-20 berechnet und die Ergebnisse der UBA-Studie [4] ergänzt. Die so ermittelten Gesamtemissionen von LNG und Kohle nähern sich bei Verwendung des GWP-20 deutlich an. LNG aus den USA liegt dann fast auf dem Niveau von Steinkohle aus Kolumbien oder Südafrika und nicht deutlich unter den Gesamtemissionen der mitteldeutschen Braunkohle.
Zur Berechnung der Netto-Gesamtemissionen der Stromerzeugung (unter Berücksichtigung von SO2) werden Wirkungsgrade bei der Stromerzeugung benötigt, die statistisch jedoch nicht nach offenen Gasturbinen und den teureren Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerken (GuD) differenziert vorliegen. Für eine historische Betrachtung können Statistiken für „Gaskraftwerke“ verwendet werden. Geht es jedoch um die Frage, welche Kraftwerke künftig die Schwankungen der erneuerbaren Energieträger ausgleichen sollen, ist ein Vergleich von neuen offenen Gasturbinen mit den modernsten Kohlekraftwerken im Bestand notwendig. Bei den vier „besonderen netztechnischen Betriebsmitteln“ handelt es sich um offene Gasturbinen. Auch im Rahmen der angekündigten Kraftwerksstrategie der Bundesregierung dürften billigere offene Gasturbinen eingesetzt werden, die einen niedrigeren Wirkungsgrad als GuD aufweisen. Zum Vergleich werden nachfolgend auch Rechenergebnisse für neue GuD angegeben.
Für den Wirkungsgrad einer offenen Gasturbine/GuD (H2-Ready) werden 38,6 %/59,2 % angesetzt (Siemens SGT-800). Der Wirkungsgrad des Steinkohlekraftwerks/Braunkohlekraftwerks von 46 %/43 % orientiert sich an den letzten Kraftwerkszugängen.
Als kurzfristiger Ersatz für russisches Gas ist US-LNG am Markt verfügbar. Perspektivisch kann in Deutschland auch LNG aus Katar eine Rolle spielen. Deshalb wird hier ein besonderes Augenmerk auf diese beiden Provenienzen gelegt. Für das US-LNG werden Bottom-Up- [4] und Top-Down-Schätzungen [6] für die Erdgasvorkette verglichen. Jedoch wird von Howarth [6] nur die CH4-Emissionsrate der Gasproduktion in den USA von 2,6 % verwendet und ansonsten mit den Angaben bei UBA [4] zu den Vorkettenemissionen kombiniert, sodass Abweichungen in den Daten ausschließlich auf die unterschiedlichen CH4-Emissionsraten zurückzuführen sind.
Schließlich werden Varianten zu den Transportemissionen betrachtet. Gemäß Howarth [8] sind dies ein LNG-Zweitaktmotor und ein Dampfturbinenantrieb. Im Hinblick auf Risiken bei der Passage des Golfs von Aden wird die Fahrt durch den Suez-Kanal und via Kap der Guten Hoffnung unterschieden.
Als Alternative zum Bau neuer Gasturbinen und Einsatz von LNG aus den USA oder Katar wurde der Einsatz von Steinkohle aus einem kolumbianischen Tagebau oder mitteldeutscher Braunkohle berechnet. In Abb. 1 und 2 wird nach Verwendung einer GuD (hellblau) oder einer offenen Gasturbine (dunkelblau) und Korrektur um den kühlenden Effekt von SO2 auf die Atmosphäre (grau) unterschieden.
Selbst mit GWP-100 (Abb. 1) liegen die Netto-Gesamtemissionen der kolumbianischen Kohle bei drei Varianten unter den Gesamtemissionen von LNG aus den USA und Katar bei Einsatz in einer Gasturbine, die der mitteldeutschen Braunkohle bei zwei Varianten.
Mit GWP-20 (Abb. 2) liegt das Steinkohlekraftwerk unter den Emissionen einer GuD, die LNG aus den USA mit 2,6 % Methanverlustrate (Variante LNG-Motor) oder LNG aus Katar (Variante Turbinendampfer) verbrennt. Mitteldeutsche Braunkohle erreicht nun Parität mit einer Gasturbine, die LNG aus Katar einsetzt, und unterschreitet die Emissionen einer GuD, die LNG aus den USA oder Katar in der Variante Turbinendampfer einsetzt.
Mit wachsendem Anteil erneuerbarer Energieträger wird der Teillastbetrieb konventioneller Kraftwerke von heute 50 % der Nennleistung auf unter 35 % zurückgehen [3]. Zwar können kleine Gasturbinen zu einem Verbundkraftwerk zusammengeschaltet werden, wie das von RWE betriebene netztechnische Betriebsmittel in Biblis (11 x 33 MW), doch haben die drei anderen Betreiber netztechnischer Betriebsmittel EnBW, LEAG und Uniper Gasturbinen mit jeweils gut 300 MW Leistung errichtet. Das Teillastproblem ist somit real. Die Wirkungsgraddifferenzen zwischen Voll- und Teillast betragen bei flexibilisierten Braun- bzw. Steinkohlekraftwerken 3 bzw. 1 %-Punkte, bei GuD 6 %-Punkte und bei Gasturbinen 7,5 %-Punkte [3].
Unter Teillast (ohne Abb.) verschieben sich die Relationen der Emissionen von Kohle- und Gaskraftwerken auch mit GWP-100 deutlich zum Vorteil der Kohle. Bei 20-jähriger Betrachtung sind die Netto-Gesamtemissionen von Steinkohle dann fast auf dem Niveau einer GuD, die LNG aus den USA gemäß Daten von UBA [4] einsetzt.
Fazit/Schlussfolgerungen
Die deutsche Wasserstoffstrategie sieht vor, dass rund zwei Drittel der neu bereitzustellenden Kraftwerksleistung aus H2-Ready-Gasturbinen bestehen soll. Dagegen spricht, dass der Neubau offener Gasturbinen wie hier erläutert klimapolitisch nicht belastbar begründet ist. Die Lifecycle-Treibhausgas-Emissionen von LNG aus USA oder Katar liegen bei Einsatz in einer offenen Gasturbine über denen der Kohle. Im Teillastbetrieb vergrößert sich der Unterschied noch.
Es gilt, nach Alternativen zu suchen. Da die Braunkohleförderung ausläuft, wird vor allem die Nutzung von Importsteinkohle in Kraftwerken als Alternative für den LNG-Einsatz in neuen Gasturbinen zur Verfügung stehen. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft benötigt anfänglich keine H2-Ready-Kraftwerke, die noch nicht an das Wasserstoffnetz angeschlossen werden können, sondern Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerke und Wasserstoff-Hybrid-Kraftwerke.
Zudem muss zur Absicherung der fluktuierenden Einspeisung erneuerbarer Energieträger auch der Entwicklung alternativer technologischer Entwicklungen wie Großspeichern Raum gegeben werden. Bis diese zur Verfügung stehen, können Steinkohlekraftwerke die Absicherung der fluktuierenden Einspeisung von erneuerbaren Energieträgern übernehmen [9]. Schließlich kann Ammoniak als günstiger H2-Träger im Kohlekraftwerk mitverbrannt werden [10].
Quellen
[1] Intergovernmental Panel on Climate Change: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the IPCC. Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA.
[2] Intergovernmental Panel on Climate Change: Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the IPCC. Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA.
[3] Wodopia, F.-J.: Lifecycle Emissions from Gas and Coal Do Not Support a Coal-to-Gas Shift (December 23, 2023). Available at SSRN: dx.doi.org/10.2139/ssrn.4674204.
[4] Baumann, M. & Schuller, O.: Emissionsfaktoren der Stromerzeugung - Betrachtung der Vorkettenemissionen von Erdgas und Steinkohle, Abschlussbericht im Auftrag des Umweltbundesamt (UBA), Climate Change 61/2021.
[5] Alvarez, R. A., Zavala-Araiza, D., Lyon, D. R., Allen, D. T., Barkley, Z. R., Brandt, A. R., Davis, K. J., Herndon, S. C., Jacob, D. J., Karion, A., Kort, E. A., Lamb, B. K., Lauvaux, T., Maasakkers, J. D., Marchese, A. J., Omara, M., Pacala, S. W., Peischl, J. Robinson, A. L., Shepson, P. B., Sweeney, C., Townsend-Small, A., Wofsy, S. C. & Hamburg, S. P.: Assessment of methane emissions from the U.S. oil and gas supply chain. In: Science 361, S. 186-188 (2018).
[6] Howarth, R. W.: Methane Emissions from the Production and Use of Natural Gas. In: em The Magazine for Environmental Managers. Air and Waste Management Association (A&WMA), December 2022.
[7] Gordon, D., Reuland, F., Jacob, D. J., Worden, J., Shindell, D., und Dyson, M.: Evaluating net life-cycle greenhouse gas emissions intensities from gas and coal at varying methane leakage rates. In: Environ. Res. Lett. 18 (2023), 084008, doi.org/10.1088/1748-9326/ace3db.
[8] Howarth, R. W.: The Greenhouse Gas Footprint of Liquefied Natural Gas (LNG) Exported from the United States. Zur Veröffentlichung am 24. Oktober 2023 in einer begutachteten Zeitschrift eingereichtes Manuskript.
[9] Wodopia, F.-J.: Steinkohlekraftwerke können Erneuerbare unterstützen. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 70. Jg. (2020) Heft 1/2, S. 37-39.
[10] IEA: The Role of Low-Carbon Fuels in the Clean Energy Transitions of the Power Sector, 2022.
Der Artikel beruht auf der Literaturstudie in [3]