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Dr. Carsten Rolle, Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin (Foto: BDI)

„et“: Herr Rolle, warum legt der BDI eine eigene Studie zum Klimaschutzplan der Bundesregierung vor? 

Rolle: Die Energiewende ist vor allem ein gigantisches Investitionsprojekt, für das die Industrie die erforderlichen Technologien bereitstellen wird. Wer, wenn nicht die Industrie selbst, könnte daher besser die technische und ökonomische Machbarkeit klimapolitischer Ziele abschätzen? Daher habe ich sehr dafür geworben, dass wir als Spitzenverband dieses Praxiswissen aus der Breite und Tiefe unserer Industrieunternehmen zusammenziehen, um eine fundierte Grundlage für die anstehenden klimapolitischen Diskussionen zu schaffen.

Vor zwei Jahren wurden im Klimaschutzplan der Bundesregierung detaillierte Sektorziele für das Jahr 2030 vorgegeben, ohne die Folgewirkungen genauer zu beleuchten und zu diskutieren. Dies soll nun nachgeholt werden – auch die Bundesregierung will entsprechende Studien bald vorlegen. Zudem wurde zum Teil dezidiert gesagt, mit bzw. ohne welche Technologien die einzelnen Sektoren wie viel Treibhausgase einsparen sollen. Solche Detailvorgaben erschweren und verteuern den Klimaschutz unnötig. Und sie passen immer weniger in eine integrierte Energiewende, in der die Sektorengrenzen zunehmend verschwimmen.

„et“: Wie sind Sie bei der Erstellung der Studie vorgegangen? 

Rolle: Wir haben zunächst die aktuellen Rahmenbedingungen bottom-up untersucht, mit einem ermutigenden Ergebnis: Würden wir auf Basis der aktuellen politischen Vorgaben so weitermachen wie bisher, würden wir 2050 bereits 61 % der Treibhausgasemissionen einsparen. Diesen 61 % haben wir den Zielkorridor aus dem Klimaschutzplan 2050 – 80 bis 95 % THG-Reduktion – gegenübergestellt und so das Gap, die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, analysiert.

Methodisch wurden alle Annahmen zu Effizienzfortschritten und Kostenentwicklungen mit fast 200 Experten in rund 40 Workshops diskutiert und plausibilisiert. Zudem wurde viel Wert auf die Wechselwirkungen im Energiesystem gelegt, um zu konsistenten Ergebnissen zu kommen. Dieser durchaus aufwändige und anstrengende Prozess unterscheidet unsere Studie wohl von vielen anderen Simulationen, die nur am Schreibtisch entstehen.

„et“: Das Motto zur Auftaktveranstaltung Ihrer Studie war „Mind the Gap“. Was ist damit gemeint? 

Rolle: „Mind the Gap“ passt in verschiedener Hinsicht gut zu unseren Ergebnissen. Zum einen gibt es eine große Wirtschaftlichkeitslücke zwischen den Investitionen, die mit Bezug auf die nationalen Klimaziele volkswirtschafllich notwendig wären und denen, die sich für den einzelnen Investor – ob Häuslebauer, Autokäufer oder Unternehmer – rechnen. Anders gesagt: Ohne zusätzliche Förderung und entsprechende Anreize werden sich die notwendigen Mehrinvestitionen in Billionenhöhe nicht einstellen. Wir beobachten aktuell eine Kluft zwischen der Intensität, mit der sehr detaillierte Klimaschutzziele für einzelne Jahre und Sektoren politisch diskutiert wird, und der mangelnden Konsequenz, dann auch entsprechende Instrumente zu implementieren. Wenn wir beispielsweise jetzt ein weiteres Mal die Chance verstreichen lassen, wirksame steuerliche Anreize zur Gebäudeeffizienzsteigerung zu vereinbaren, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn auch im nächsten Anlauf Klimaziele nicht erreicht werden.

„et“: Wie war das Echo auf die Studie bisher und was steht nun für Sie als nächstes an? 

Rolle: Ich bin von der Resonanz, die die Studie in so vielen klimapolitischen Diskussionen der letzten Monate gefunden hat, positiv überrascht. Es wird anerkannt, dass wir uns sehr ernsthaft mit der Machbarkeit der Klimaziele auseinandergesetzt haben und bemüht sind, ökologische Ziele und wirtschaftliche Machbarkeit zusammenzubringen. Mittlerweile erhalten wir nicht nur in Deutschland, sondern auch aus dem Ausland viele Anfragen zu unserer Studie und unseren Schlussfolgerungen, weil in dieser Tiefe der Umbau eines Energiesystems offenbar noch nicht oft untersucht worden ist.

Daher hoffe ich, dass wir auf der Grundlage der vielen neuen Ergebnisse in den kommenden Monaten tatsächlich nochmal eingehender über den Klimaschutzplan der Bundesregierung und eine anspruchsvolle, aber realistische und stimmige Klimaschutzstrategie sprechen werden.

„et“: Herr Dr. Rolle, vielen Dank für das Interview.

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„et“-Redaktion

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