Für den schnellen Markthochlauf einer globalen Wasserstoffwirtschaft kann der Auf- und Ausbau der notwendigen Infrastruktur in Nordwesteuropa eine wichtige Rolle spielen (Quelle: Adobe Stock)
Wasserstoff (H2) stellt für Länder weltweit einen Schlüsselfaktor zum Erreichen ihrer Klimaziele dar, vor allem, wenn er auf Basis erneuerbarer Energien oder CO2-arm hergestellt wird. Das liegt u.a. an den breiten Einsatzmöglichkeiten des alternativen Energieträgers in der Industrie, in Raffinerien, als alternativer Antrieb, in Brennstoffzellen und als Stromspeicher. Wasserstoff dient gleichzeitig als Basis für weitere chemische Verbindungen, wie Ammoniak, Methanol, Methan und Fischer-Tropsch-Treibstoffe.
Nordwesteuropa (NWE), definiert als Deutschland und die Benelux-Staaten, spielt beim Markthochlauf von Wasserstoff in Europa eine wichtige Rolle, weil die Region bereits heute zu den weltweit größten Verbrauchern von Wasserstoff zählt. Gleichzeitig werden die vier Länder perspektivisch große H2-Mengen produzieren und importieren. Aufgrund ihrer spezifischen Lage zwischen der Nordsee und großen Verbrauchszentren in Mitteleuropa sowie der engen wirtschaftlichen und infrastrukturellen Vernetzung stellt die Region Nordwesteuropa gleichzeitig einen bedeutenden Transitraum dar. Um mittel- bis langfristig jedoch ausreichende Mengen bei den Verbrauchern zur Verfügung zu stellen, ist die Entwicklung einer entsprechenden Infrastruktur für die Produktion, den Import, die Verteilung, die Speicherung und die Nutzung eine grundlegende Voraussetzung (s. Abb. 1).
Die vier Länder Nordwesteuropas verbrauchten zusammen mit Dänemark, Frankreich, Norwegen und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland innerhalb der letzten Dekade durchschnittlich 6,3 Millionen Tonnen (Mt) Wasserstoff jährlich [1]. Das entsprach ca. 60 % des europäischen und 5 % des globalen H2-Bedarfs [2]. Bisher wird der Wasserstoff vor allem stofflich in Raffinerien und der Industrie genutzt. Die Ammoniakproduktion (1.800 Kilotonnen (kt) Wasserstoff/Jahr) und Raffinerien (1.600 kt Wasserstoff/Jahr) sind die Hauptnachfragequellen für reinen Wasserstoff. In Deutschland werden etwa 40 % des hergestellten Wasserstoffs in Raffinerien für die Entschwefelung von Treibstoffen genutzt. Andere Industriezweige, wie z. B. die Elektronikbranche und Glasherstellung, und neue Anwendungen, wie der Verkehr, spielen eine untergeordnete Rolle.
Über 7 % des globalen Umsatzes der chemisch-pharmazeutischen Industrie wird in dieser Region erwirtschaftet. In diesem Sektor bestehen außerdem enge wirtschaftliche Verflechtungen mit den Nachbarn Frankreich (2,5 % des globalen Umsatzes) und der Schweiz (2 % des globalen Umsatzes) [3]. Im Cluster Antwerpen-Rotterdam-Rhein-Ruhr sind rund 40 % der Chemieproduktion in der Europäischen Union (EU) konzentriert. Dabei wird der aktuelle Bedarf fast ausschließlich durch sog. grauen Wasserstoff gedeckt, der mittels Dampfreformierung von Erdgas oder anderer fossiler Energieträger erzeugt wird.
Bei Wasserstoff, der mit anderen Gasen, wie Erdgas oder Prozessgasen, gemischt wird, schwankte die Nachfrage zwischen 2.400 und 3.000 kt Wasserstoff/Jahr [4]. Ein kleiner Teil dieser Nachfrage stammt aus speziellen Anwendungen wie der Methanolproduktion (350 kt H2/Jahr) und der Stahlproduktion mit direkt reduziertem Eisen (direct reduced iron, DRI) (25 kt H2/Jahr). Der Rest ergibt sich aus der Nutzung von H2-haltigen Gasgemischen als Nebenprodukt, hauptsächlich aus petrochemischen Prozessen (zwischen 1.400 und 2.000 kt H2/Jahr) oder der Stahlindustrie (zwischen 550 und 700 kt Wasserstoff/Jahr).
Es ist davon auszugehen, dass der H2-Bedarf in NWE künftig stark steigen wird. Denn die Region hat einen hohen Energiebedarf und ambitionierte Klimaziele: Belgien plant, ebenso wie Luxemburg, bis 2050 klimaneutral zu werden, Deutschland bis 2045 und die Niederlande möchte bis 2050 ihre Emissionen um 95 % reduzieren. Wasserstoff wird dabei als Teil einer Klimaschutzstrategie gesehen, welche eine Aufrechterhaltung weiter Teile der industriellen Tätigkeit erlaubt. Die starke wirtschaftliche Verflechtung der Region legt eine enge Kooperation der nationalen Politiken nahe, um einen regionalen H2-Markt zu entwickeln.