Europäisches Emissionshandelssystem (EU-ETS): Das wichtigste Instrument der Klimapolitik in Europa ist der Emissionshandel

Das wichtigste Instrument der Klimapolitik in Europa ist der Emissionshandel (Quelle: Adobe Stock)

Dieser Artikel diskutiert die Funktionsweise des EU-ETS, mögliche Auswirkungen geplanter Reformen, die Rolle des Preises und der Vermeidungskosten sowie Optionen für die zukünftige Ausgestaltung.

Der EU-ETS – Ökonomische Theorie zum Leben erweckt

Der EU-ETS gilt seit 2005 als wesentlicher Baustein der europäischen Klimapolitik. Anlagen der Stromerzeugung, der innereuropäischen Luftfahrt sowie der Industrie müssen für jede in einem Jahr emittierte Tonne Treibhausgas eine Emissionsberechtigung vorweisen.

Durch die pro Jahr systemweit zur Verfügung stehenden Emissionsberechtigungen ergibt sich eine Obergrenze für Treibhausgasemissionen in den regulierten Sektoren. Über die Auktion dieser Emissionszertifikate durch die Mitgliedstaaten und den Handel zwischen den Unternehmen entsteht ein CO2-Preis, der den Grenzkosten der Emissionsvermeidung entspricht. Unternehmen haben einen Anreiz, ihre Emissionen zu reduzieren, wenn ihre Vermeidungskosten unter dem Zertifikatepreis liegen. Liegen die Kosten zur Emissionsreduktion über dem aktuellen Preis für Emissionen, ist es ökonomisch günstiger, Zertifikate zu erwerben. Ein Emissionshandelssystem reizt somit zur effizienten Minderung von Treibhausgasen an.

Eine auf die Klimaziele passende Emissionsobergrenze ist dabei ausreichend, um in den betreffenden Sektoren die definierten Emissionsminderungsziele zu erreichen. Das Preisniveau im Markt für Emissionszertifikate ist dafür nicht ausschlaggebend. Im EU-ETS sinkt diese Emissionsobergrenze jährlich mit einem linearen Reduktionsfaktor (LRF). Seit 2021 beträgt dieser 2,2 %.

Seit dem Jahr 2008 ist es zulässig, nicht benötigte Zertifikate für eine spätere Nutzung aufzuheben (sog. Banking). Die Entscheidungen zur Emissionsreduktion basieren folglich nicht nur auf dem aktuellen Niveau des Zertifikatepreises, sondern zusätzlich auch auf Erwartungen über das zukünftige Angebot an Emissionszertifikaten. Über eine erwartete Angebotsverknappung in der Zukunft sollen Investitionen in Dekarbonisierung angereizt werden. Während Unternehmen Zertifikate für die Zukunft ansparen dürfen, gestatten die aktuellen Regeln des EU-ETS nicht, Zertifikate, die erst in Zukunft in den Markt gegeben werden, heute schon zu nutzen.

Auf Grund der Möglichkeit des Bankings können unvorhergesehene Konjunkturentwicklungen oder Politikmaßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene dazu führen, dass Emissionen zwischen den regulierten Sektoren oder in die Zukunft verschoben werden. Dies wird räumlicher bzw. temporaler Wasserbetteffekt genannt. Die Daten der zweiten und dritten Handelsperiode (2008-2020) zeigen, dass Unternehmen in der Vergangenheit große Mengen an Zertifikaten angespart haben. Im Jahr 2021, dem ersten Jahr der vierten Handelsperiode, belief sich dieser Wert auf 1,45 Mrd. Zertifikate, was in etwa 90 % der durchschnittlichen jährlichen Emissionen entspricht [1].

Reformen – Die Marktstabilitätsreserve verändert das Marktdesign

Als Antwort auf die große Menge an angesparten Zertifikaten hat die EU-Kommission seit dem Jahr 2019 die Marktstabilitätsreserve (MSR) in ihrer aktuellen Form als zusätzliches Instrument im EU-ETS etabliert. Solange Unternehmen mehr als 833 Mio. Zertifikate angespart haben, reduziert sich die Auktionsmenge um 24 % der angesparten Zertifikate. Diese Menge wird dann in die MSR überführt. Hält die MSR mehr Zertifikate als die Auktionsmenge des vorherigen Jahres, wird die Differenz endgültig gelöscht. Die verfügbare Zertifikatemenge wird somit nicht allein durch die Europäische Kommission bestimmt, sondern zu einem Teil auch durch das Verhalten der Marktteilnehmer: Sparen diese viele Zertifikate an, reduziert sich die Zertifikatemenge ab 2023 durch den endogenen Löschungsmechanismus der MSR.

Die Zahl der so gelöschten Zertifikate könnte insgesamt zwischen 1,2 und 13 Mrd. liegen [2]. Ob und wie hoch diese Löschung in der Realität ist, hängt nicht nur von den Absicherungsstrategien und dem Planungshorizont der Firmen ab, sondern auch von der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung [3]. Die MSR führt beispielsweise dazu, dass ein Teil der während des Corona-Lockdowns in den Jahren 2020 und 2021 eingesparten Zertifikate durch den MSR-Mechanismus auch langfristig gelöscht werden. Somit kann die MSR den angesprochenen temporalen Wasserbetteffekt reduzieren [4].

Wie soll Carbon Leakage in Zukunft vermieden werden?

Zu Beginn des EU-ETS im Jahr 2005 wurden nahezu alle Emissionsberechtigungen kostenlos an die Unternehmen ausgegeben. Dieser Anteil wurde im weiteren Zeitverlauf zugunsten von zentralen Auktionen reduziert. Eine kostenlose Zuteilung soll die Gefahr eines „Carbon Leakage“, also des Abwanderns der Unternehmen oder der Produktion in Regionen mit geringeren CO2-Preisen, reduzieren. Im Jahr 2021 wurden 57 % der Emissionsberechtigungen via Auktionen versteigert. Der Anreiz zur Emissionsreduktion bleibt unabhängig von der Art der Zuteilung bestehen.

In der aktuellen vierten Phase des EU-ETS soll die freie Zuteilung von Zertifikaten stark reduziert werden. Anstelle der freien Zuteilung sieht der Reformvorschlag im Rahmen des Fit for 55-Reformpakets die Einführung eines Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) vor. Dieser CBAM ist im Wesentlichen eine zusätzliche Abgabe auf Einfuhren in die EU, der sich in seiner Höhe an den mit der Produktion des Gutes verbundenen Treibhausgasemissionen orientiert. In die EU importierende Unternehmen müssen dann ebenfalls einen CO2-Preis entrichten. Das Ziel ist, europäische Unternehmen über eine Angleichung des CO2-Preises vor Carbon Leakage zu schützen.

In der Praxis könnte die Einführung des CBAM und der damit verbundene Wegfall der freien Zuteilung von Zertifikaten allerdings dazu führen, dass heimische Exporteure an Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten verlieren. Unternehmen, deren Kunden größtenteils außerhalb Europas beheimatet sind, könnten somit ins außereuropäische Ausland abwandern. Allerdings führt die implizite Einführung eines CO2-Preises durch den CBAM im Ausland dazu, dass im außereuropäischen Ausland der Anreiz zur Emissionsvermeidung steigt.

Fit for 55 – Passen die Reformen zu den Klimazielen?

Um das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 zu erreichen, sieht die EU vor, dass bis 2030 die gesamteuropäischen Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % gesenkt werden müssen. Ein besonders großer Beitrag zur Erreichung dieses Zwischenziels entfällt dabei auf die Sektoren Industrie, Stromerzeugung sowie auf den innereuropäischen Luftverkehr. So sollen diese EU-ETS-Sektoren ihre Emissionen bis zum Jahr 2030 um 61 % gegenüber dem Emissionsniveau des Jahres 2005 senken.

Im Rahmen des Fit for 55-Reformpakets sollen die beiden wesentlichen Determinanten der Emissionsobergrenze, der LRF und die MSR, an diese erhöhten Klimaziele angepasst werden. Das Paket Fit for 55 sieht vor, dass der LRF von 2,2 auf 4,2 % steigt. Damit sinkt die Menge der jährlich neu ausgegebenen Emissionsberechtigungen stärker als derzeit vorgesehen.

Auch die MSR soll angepasst werden. Danach dürfen pro Jahr maximal 400 Mio. Zertifikate in der MSR enthalten sein, jedes zusätzliche Zertifikat wird permanent aus dem Markt entfernt. Der Schwellenwert lag im Jahr 2020 bei etwa 667 Mio. Zertifikaten [5]. Die vorgeschlagene Reduktion dieses Schwellenwerts wird die verfügbaren Emissionsberechtigungen somit deutlich reduzieren, da durch den Löschmechanismus mehr weitere Zertifikate endgültig aus dem Markt genommen werden [6].

Es ist unklar, ob diese Maßnahmen ausreichen, das Zwischenziel für 2030 zu erreichen. Zum einen passt das Konzept eines Emissionshandels, in dem Unternehmen sich durch Banking über die Zeit hinweg optimieren können, nicht zum Ansatz jährlicher Klimaziele. Haben Unternehmen auf Grund einer stagnierenden Wirtschaft, wie beispielsweise der Wirtschaftskrise in Folge der Weltfinanzkrise ab 2008, in diesen Jahren weniger Zertifikate zur Deckung der Emissionen benötigt als zur Verfügung stehen, so können sie Zertifikate sparen und in der Zukunft mehr emittieren.

Zum anderen sorgt der MSR-Mechanismus dafür, dass das Zertifikateangebot nicht mehr nur exogen durch die Europäische Kommission bestimmt wird, sondern auch durch das Banking-Verhalten der Firmen. Es ist somit nicht gesichert, dass die Anpassungen des LRF und des Schwellenwertes in der MSR im Rahmen des Fit for 55-Pakets ausreichen, um das Klimaziel für das Jahr 2030 zu erreichen.

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