Das Preisniveau bestimmt, welche Sektoren Emissionen reduzieren

Europäisches Emissionshandelssystem (EU-ETS): Abb. 1 Verlauf des Preises für Emissionszertifikate

Abb. 1 Verlauf des Preises für Emissionszertifikate Quelle: [7]

Europaeisches Emissionshandelssystem (EU-ETS): Abb. 2 Aktuelle Merit-Order in Deutschland

Abb. 2 Aktuelle Merit-Order in Deutschland Quelle: [9]

Während die konkrete Ausgestaltung der genannten Reformen derzeit zwischen den Europäischen Institutionen verhandelt wird, kann davon ausgegangen werden, dass es in Zukunft zu einer spürbaren Einschränkung des Angebots von Emissionsberechtigungen kommen wird. Der CO2-Preis, den beispielsweise Kraftwerke bezahlen müssen, ist in Erwartung dieser Verknappung bereits gestiegen und könnte im Zuge einer Verabschiedung der Reformen weiter steigen.

In den letzten beiden Jahren hat sich der CO2-Preis etwa verdreifacht. Im Zuge der Corona-Pandemie sind die Konjunkturerwartungen und damit die Nachfrage nach Emissionszertifikaten europaweit gesunken. Zu Beginn des Jahres 2021 lag der Preis für diese Zertifikate bei etwa 33 € pro t CO2. Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung im Verlauf des Jahres 2021 sowie als Konsequenz auf die Reformbemühungen der Europäischen Kommission ist die Nachfrage nach Emissionszertifikaten wieder angestiegen. Der Höchstpreis über den in Abb. 1 dargestellten Zeitraum lag bei 98 € pro t CO2. Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 hat zu einem vorübergehenden Rückgang des Preises geführt; vermutlich aufgrund von Unsicherheit über die zukünftige konjunkturelle Entwicklung. Zusätzliche Nachfrage aus dem Stromsektor durch vermehrte Kohle- und Ölverstromung hat zu einem Wiederanstieg des CO2-Preises geführt. Dieser Preis ist dabei Ausdruck der derzeitigen und zukünftig erwarteten Knappheit am Markt für Emissionszertifikate.

Der Mechanismus des EU-ETS reizt immer zu langfristigen Investitionen in treibhausgasärmere Technologien an, da die langfristige Treibhausgasminderung im EU-ETS nicht durch den Preis, sondern nur durch die Menge bestimmt wird. Die kurzfristige Wirkung des EU-ETS wird jedoch auch durch den Preis getrieben. So ist die Wirkung des Zertfikatepreises im Stromsektor, dem größten Emittenten im EU-ETS, aktuell begrenzt: führte der Zertifikatepreis ab 2019 in Deutschland dazu, dass Gaskraftwerke häufig günstiger waren als Kohlekraftwerke, sind heute Gaskraftwerke in der Regel die preissetzende Technologie. Abb. 2 zeigt die aktuelle Merit-Order im deutschen Strommarkt [8, 9].

Auf Grund des starken Anstiegs der Erdgaspreise in den vergangenen Monaten kann auch der vergleichsweise hohe CO2-Preis nicht dafür sorgen, dass das emissionsärmere Erdgas anstelle von Steinkohle zur Verstromung eingesetzt wird. Der kurzfristige Effekt eines höheren Zertifikatepreises auf die Treibhausgasintensität des deutschen Strommixes ist aktuell somit gering. Bei den aktuellen Rohstoffpreisen wäre ein Zertifikatepreis von etwa 1.215 € pro t CO2 im EU-ETS notwendig, um weniger Steinkohle im deutschen Strommarkt einzusetzen [10].

Dieser Effekt sowie die geringere Verfügbarkeit von Atomkraftwerken in Frankreich und niedrigere Stromlieferungen der norwegischen Wasserkraft erhöhen die CO2-Emissionen in der kurzen Frist und somit auch die Nachfrage nach Emissionszertifikaten aus dem Stromsektor. Die steigenden Zertifikatepreise sorgen für einen Rückgang der Nachfrage aus den anderen Sektoren.

Während der CO2-Preis somit für das Erreichen der Emissionsziele im EU-ETS irrelevant ist, hat das Preisniveau einen Einfluss darauf, in welchen Sektoren zuerst Emissionen vermieden werden. Es ist somit für das Preisniveau auch entscheidend, welche Sektoren durch den EU-ETS reguliert werden.

So soll im Zuge des Fit for 55-Reformpakets ein zusätzliches Handelssystem (EU-ETS2) für Verkehr und Gebäude etabliert werden, um die Klimaziele in diesen Sektoren zu erreichen. Die Funktionsweise des neuen Emissionshandelssystems soll grundsätzlich mit dem EU-ETS vergleichbar sein, jedoch sollen keine Zertifikate kostenfrei ausgegeben werden. In den betreffenden Sektoren ist das Risiko für signifikantes Carbon Leakage deutlich geringer als im Industriesektor [11].

Für den Preis im EU-ETS ist relevant, ob ein Handel von Zertifikaten zwischen diesen beiden Systemen zugelassen wird. Die Sektoren des EU-ETS2 weisen grundsätzlich höhere CO2-Vermeidungskosten auf als die Stromerzeugung und die Industrie im EU-ETS. Daher wäre bereits bei der Ankündigung einer Kopplung der beiden Systeme ein Anstieg des Zertifikatepreises im EU-ETS sowie eine Verringerung des CO2-Preises im EU-ETS2 zu erwarten, sodass langfristig die beiden Preise identisch wären. Der Anreiz zur Dekarbonisierung würde sich auf Grund der geringeren Vermeidungskoten vermehrt auf die Stromerzeugung und die Industrie verlagern [12].

Als Antwort auf diese Verteilungsfragen wird derzeit die Einführung eines Preiskorridors diskutiert [13]. Ein Mindest- sowie ein Höchstpreis für Zertifikate kann für eine gleichmäßigere Belastung der Sektoren sorgen und somit den genannten Verteilungsfragen entgegenwirken. Darüber hinaus kann eine solche Maßnahme die Preisvolatilität reduzieren und die Planungssicherheit der Unternehmen erhöhen. Dies könnte weitere Investitionen in die Dekarbonisierung stimulieren.

Quellen

[1] Europäische Kommission (2022): Mitteilung der Kommission (2022/C 195/02), Veröffentlichung der Gesamtmenge der 2021 im Umlauf befindlichen Zertifikate für die Zwecke der Marktstabilitätsreserve im Rahmen des mit der Richtlinie 2003/87/EG geschaffenen EU-Emissionshandelssystems sowie der Menge der im Zeitraum 2013-2020 nicht zugeteilten Zertifikate. Amtsblatt der Europäischen Union.

[2] Osorio, S.; Tietjen, O.; Pahle, M.; Pietzcker, R.; Edenhofer, O. (2021): Reviewing the Market Stability Reserve in light of more ambitious EU ETS emission targets. Energy Policy 158, 112530.

[3] Bocklet, J.; Hintermayer, M. (2020): How does the EU ETS Reform Impact Allowance Prices? The Role of Myopia, Hedging Requirements and the Hotelling Rule. EWI Working Paper, No. 20/01.

[4] Bocklet, J, (2021): The Reformed EU ETS in Times of Economic Crises: The Case of the Covid-19 Pandemic. EWI Working Paper, No 20/10.

[5] Diese Berechnung beinhaltet keine Anlagen aus Großbritannien.

[6] Wildgrube, T. (2022): Fit for 55? An assessment of the effectiveness of the EU COM's reform proposal for the EU ETS, EWI Working Paper, No 22/04.

[7] Ember (2022): EU Carbon Price Tracker. URL: https://ember-climate.org/data/data-tools/carbon-price-viewer/

[8] Die aktuelle Merit-Order wurde mit dem EWI Merit-Order Tool 2022 geschätzt [9]. Die unterstellten Brennstoffpreise sind 46 €/MWhth für Steinkohle sowie 265 €/MWhth bei Erdgas. Der CO2-Preis liegt derzeit bei 90 € pro t CO2.

[9] EWI (2022): EWI Merit-Order Tool 2022. URL: https://www.ewi.uni-koeln.de/de/publikationen/ewi-merit-order-tool-2022/

[10] Der unterstellte Wirkungsgrad für ein durchschnittliches Steinkohlekraftwerk beträgt 38 %, für ein Gaskraftwerk 42 %. Die Emissionsfaktoren betragen 0,34 t CO2/MWhth bei Steinkohle und 0,2 t CO2/MWhth bei Erdgas. Die Berechnung basiert auf den aktuell installierten Erzeugungskapazitäten in Deutschland.

[11] Obwohl sich sowohl die Europäische Kommission, das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat derzeit für eine Einführung eines solchen Instruments aussprechen, kann dies aufgrund vielfältiger Verteilungsfragen momentan nicht als sicher angesehen werden.

[12] Zunehmende Sektorenkopplung wie der Hochlauf der Elektromobilität oder das Installieren von Haushaltswärmepumpen kann Emissionen von den Sektoren Verkehr und Gebäude in den Stromsektor verlagern. Aufgrund der festgelegten Maximalmenge an Emissionen aus diesem Sektor trägt dies langfristig zur Emissionsreduktion bei.

[13] Im nationalen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude nach dem BEHG ist ein solcher Preiskorridor für das Jahr 2026 vorgesehen.

Dr. J. Bocklet und Dr. P. Schnaars, Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (EWI), johanna.bocklet@ewi.uni-koeln.de

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