Gründe für eine eingeschränkte Wirksamkeit von Renewables Pull

Abb. 3 Schematische Darstellung von Renewables Pull durch Produktionskostenänderungen bei einseitiger Verschärfung der Klimaschutzpolitik in Land B mit Einführung eines Grenzausgleichsmechanismus

Abb. 3 Schematische Darstellung von Renewables Pull durch Produktionskostenänderungen bei einseitiger Verschärfung der Klimaschutzpolitik in Land B mit Einführung eines Grenzausgleichsmechanismus

Wichtig ist zu beachten, dass Renewables Pull nur dann wirksam werden kann, wenn die Energiekosten einen entscheidenden Standortfaktor darstellen. Dies dürfte am ehesten für die energieintensive Grundstoffindustrie gelten. Allerdings sind auch in der Grundstoffindustrie weitere Standortfaktoren mit ausschlaggebend für Standortentscheidungen. Bei diesen weiteren Standortfaktoren weisen jedoch gerade Länder mit günstigen Bedingungen für erneuerbare Energien oft Nachteile auf. So fehlen dort beispielsweise häufig ausgeprägte industrielle Strukturen (und somit Unternehmen, die in räumlicher Nähe Vorprodukte liefern und Endprodukte abnehmen könnten), verlässliche politische und rechtliche Rahmenbedingungen (was u. a. zu höheren Kapitalkosten und mangelnder Planungssicherheit führt), eine stabile Energieversorgung oder ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte. Renewables Pull dürfte in diesen Fällen also nicht wirksam werden, solange die Vorteile bei den Preisen und der Verfügbarkeit grüner Energieträger diese Nachteile nicht kompensieren können und es bei diesen Standortfaktoren nicht zu entscheidenden Verbesserungen kommt.

Ebenfalls ist zu beachten, dass Renewables Pull nicht unbedingt zu einer Verlagerung ganzer Industriebranchen führt, sondern ggf. auch nur von Teilen der Wertschöpfungsketten, z. B. solcher, die einen hohen Energiebedarf aufweisen. Nachgelagerte Wertschöpfungsstufen, die von der Nähe zu den Kunden und deren spezifischen Produktvorstellungen profitieren, dürften dagegen eher im Ursprungsland verbleiben.

Um im Fall von Land A Renewables Pull entgegenzuwirken, sind verschiedene industriepolitische Maßnahmen denkbar:

  • Energiekosten können z. B. durch Senkung von Energiesteuern und -abgaben, den Ausbau der Energieinfrastruktur und einen möglichst kostengünstigen Kraftwerkspark – der nicht zuletzt das Erneuerbare-Energien-Potenzial optimal nutzt – gesenkt werden.
  • Gleichzeitig können Länder prüfen, ob und wie über die Energiekosten hinausgehende weitere wichtige Standortfaktoren verbessert werden können.
  • Land A kann zudem zur Minderung der Gefahren von Renewables-Pull-Effekten auch eine Maximierung der Recyclingraten von Grundstoffen anstreben. Denn die Sekundärproduktion von Grundstoffen in der Regel deutlich weniger energieaufwändig als die Primärproduktion. Folglich sinkt in der Sekundärproduktion (ceteris paribus) auch die Bedeutung der Energiekosten für Standortentscheidungen.

Ähnlichkeiten und Unterschiede zu Carbon Leakage

Renewables Pull und Carbon Leakage sind unterschiedliche Phänomene. Zwei wichtige Gemeinsamkeiten sind jedoch, dass beide durch eine verschärfte Klimaschutzpolitik ausgelöst bzw. verstärkt werden können und beide zur Verlagerung industrieller Produktion führen. Ein grundsätzlicher Unterschied besteht hingegen in der Tatsache, dass Carbon Leakage aus klimapolitischer Sicht ein unerwünschtes Phänomen darstellt, da es effektiven Klimaschutzbemühungen einzelner Länder bzw. Regionen entgegenwirken kann, während Renewables Pull klimapolitisch durchaus erwünscht sein kann, da es dazu beiträgt, Emissionsminderungen in der Industrie auf kostengünstige Weise zu realisieren.

Grundsätzlich wird die Gefahr von Renewables Pull für Industriestandorte mit suboptimalen Bedingungen für die Erzeugung oder den Import grüner Energieträger größer, je ambitionierter die Klimaschutzpolitik ausfällt – und zwar egal, ob dies einseitig in einem oder mehreren Ländern oder flächendeckend geschieht. Das Carbon-Leakage-Phänomen könnte hingegen längerfristig wieder an Bedeutung verlieren, sofern die derzeit zwischen Ländern bzw. Weltregionen bestehenden Unterschiede im Klimaschutz-Ambitionsniveau im Zeitverlauf abgebaut werden. Dagegen bleiben die Differenzen bei naturräumlichen und klimatischen Bedingungen dauerhaft bestehen.

Relevante Forschungsfragen

Weitere Forschung sollte die gegenwärtige und zukünftige Relevanz von Renewables Pull untersuchen und diejenigen industriellen Branchen bzw. Wertschöpfungsstufen identifizieren, die in besonderem Maße von Renewables Pull betroffen sein könnten. In diesem Zusammenhang könnte auch näher untersucht werden, inwiefern einzelne aktuelle unternehmerische Entscheidungen bereits auf ein gegenwärtiges Wirken von Renewables Pull hindeuten. So prüft beispielsweise die Salzgitter AG mit Partnern derzeit den Aufbau einer Eisenerz-Direktreduktionsanlage mit vorgeschalteter Wasserstoff-Elektrolyse am Tiefwasserhafen Wilhelmshaven, wo zukünftig ein relativ günstiger Bezug von grünem Wasserstoff erwartet wird [2]. Der so gewonnene Eisenschwamm könnte dann per Bahntransport zum integrierten Hüttenwerk in Salzgitter geliefert werden.

Im Zuge der Umstellung der Primärstahlerzeugung auf Wasserstoff könnte also aus ökonomischen Gründen ein Teil der Wertschöpfungskette vom Binnenstandort Salzgitter an deinen Küstenstandort verlagert werden. Auch könnte die im Februar 2021 bekanntgegebene Entscheidung der BMW Group, „ab sofort“ solarstrombasiertes Aluminium von einem Hersteller aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zu beziehen, ein Hinweis auf einen (nachfrageinduzierten) Renewables-Pull-Effekt sein [3].
Neben der Erforschung der Relevanz von Renewables Pull wäre auch ein besseres Verständnis der Strategien und Maßnahmen wünschenswert, die seitens der Politik ergriffen werden könnten, um eine mögliche Abwanderung industrieller Produktion infolge von Renewables Pull zu vermeiden bzw. zu minimieren oder aber deren negativen Folgen abzufedern.

Anmerkungen

[I] Für eine nähere Erläuterung der anderen beiden genannten möglichen Auslöser (Kostensenkungen erneuerbarer Energien sowie explizite Nachfrage nach „grünen“ Grundstoffen) sei auf [1] verwiesen.
[II] Diese Annahme wird in dem Modell lediglich zur einfacheren Veranschaulichung getroffen. Renewables Pull kann sich grundsätzlich auch bei Vorhandensein relevanter Transportkosten ergeben, wenn auch in dem Fall tendenziell in geringerem Umfang bzw. erst bei höherer Erneuerbaren-Kostendifferenz zwischen den Ländern.
[III] Ein CBA verfolgt das Ziel, potenzielle internationale Wettbewerbsnachteile heimischer Unternehmen infolge einer strikteren Klimaschutzpolitik auszugleichen. Dies kann dadurch erfolgen, dass Importe aus Ländern bzw. Regionen, in denen Unternehmen keine oder geringere CO2-Kosten tragen, entsprechend ihrer CO2-intensität verteuert werden und für Exporte dorthin die CO2-Kosten (bzw. Teile davon) erstattet werden.
[IV] Carbon Leakage bezeichnet eine Verlagerung industrieller Produktion von einem Land mit relativ strikter Klimaschutzpolitik und einhergehenden hohen CO2-Kosten in ein anderes Land mit niedrigeren CO2-Kosten.

Literatur

[1] SCI4climate.NRW (2021): Konzeptualisierung des möglichen Renewables-Pull-Phänomens – Definition, Wirkmechanismen und Abgrenzung zu Carbon Leakage, Wuppertal.
[2] Salzgitter AG (2020): Projektorganisation für Machbarkeitsstudie „Eisenerz-Direktreduktion in Wilhelmshaven“ ist etabliert, Pressemitteilung vom 15.09.2020.
[3] BMW Group (2021): Mit der Kraft der Wüstensonne: BMW Group bezieht mit Solarenergie her-gestelltes Aluminium, Pressemitteilung vom 02.02.2021.

Dr. S. Samadi, Senior Researcher, Prof. Dr. S. Lechtenböhmer, Leiter der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme, Dr. P. Viebahn, Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien, Wuppertal Institut, Wuppertal; A. Fischer, Economist für Energie und Klimapolitik, Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln

Hinweis:
Dieser Artikel sowie die darauf beruhenden Erkenntnisse wurden im Rahmen des vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Forschungsprojekts „SCI4climate.NRW“ erarbeitet. Der vorliegende Artikel stellt eine gekürzte Fassung einer Projektveröffentlichung [1] dar.

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