Bei der Abfallverbrennung (im Bild eine Anlage links hinten) ist der Kohlenstoffkreislauf zwar zur Hälfte „geschlossen“, dennoch verbleibt im Kontext der Klimaneutralität mit der anderen Hälfte weiterhin hoher Handlungsbedarf

Bei der Abfallverbrennung (im Bild eine Anlage links hinten) ist der Kohlenstoffkreislauf zwar zur Hälfte „geschlossen“, dennoch verbleibt im Kontext der Klimaneutralität mit der anderen Hälfte weiterhin hoher Handlungsbedarf (Quelle: MVV Energie AG)

Mammutaufgabe Klimaneutralität

Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes 2021 hat sich die Bundesrepublik das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden, also alle noch entstehenden Treibhausgas-Emissionen zu kompensieren und so die „Netto Null“ zu erreichen [1]. Ab 2050 soll dann sogar eine Überkompensation, also bilanziell negative Emissionen erzielt werden, eine Strategie, die auch in EU-Szenarien eine zunehmend wichtige Rolle spielt [2]. Dieses ambitionierte Ziel kann nur erreicht werden, wenn über alle Sektoren konsequent an der Dekarbonisierung und parallel an Lösungen zur Entnahme und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre gearbeitet wird.

Für die Energieerzeugung und -umwandlung bedeutet das vor allem eine Abkehr von fossilen Energieträgern (flankiert durch entsprechende Effizienzsteigerungen); für die Industrie und insbesondere die Umwandlung von Grundstoffen ist eine Umstellung von fossilen Feedstocks erforderlich. Zudem müssen prozessbedingte Emissionen durch die Umstellung auf andere Herstellungsprozesse adressiert werden.

Es gibt aber noch einen Bereich, der derzeit in Deutschland immerhin 10 Mio. t CO2. produziert und in der klimapolitischen Debatte bislang noch wenig repräsentiert ist: die Abfallwirtschaft mit der Entsorgung von Müll [3]. In thermischen Abfallbehandlungsanlagen (TAB) werden in Deutschland jährlich rund 20 Mio. t Abfall verbrannt, davon rund 12 Mio. t Restabfälle aus Haushalten und 4 Mio. t Gewerbeabfälle. Als Nebenprodukt werden in der TAB Strom und auch Wärme erzeugt, welche in das Strom- bzw. oftmals auch in ein Wärmenetz fließen.

Durch den Verbrennungsprozess werden im Mittel etwa 1,1 Tonnen CO2 je Tonne durchschnittlichem Restmüll emittiert. Die Hälfte davon gilt typischerweise als biogenen Ursprungs, so dass nur 0,5 t CO2/t Abfall bilanziell erfasst werden. Der Kohlenstoffkreislauf ist damit zwar zur Hälfte „geschlossen“, trotzdem verbleibt im Kontext der Klimaneutralität mit der anderen Hälfte weiterhin hoher Handlungsbedarf.

Unvermeidbare Emissionen

Obwohl Strom und Wärme aus dem Prozess ausgekoppelt und zur Verfügung gestellt werden, ist die Kernaufgabe der TAB nicht die Bereitstellung von Energie, sondern die Entsorgung des Abfalls. In dieser Folge werden die entstehenden CO2-Emissionen derzeit als "unvermeidbar" eingestuft, was nach einer Definition von [4] zutrifft, wenn

  • sie prozessbedingt anfallen, also ihre Entstehung trotz Optimierung des Produktionsverfahrens oder des Produktes nicht vermieden werden kann oder
  • keine alternativen Prozesse und keine alternativen Produkte oder Ressourcen für denselben Anwendungsfall verfügbar (bzw. deren Potenziale begrenzt) sind.

Diese Definition ist für industrielle Prozesse aufgestellt worden und nicht 1:1 auf die Entsorgung von Abfall übertragbar. Es ist allerdings unstrittig, dass die Emissionen einer TAB nicht dadurch gemindert werden können, dass ein alternativer Prozess oder ein anderer Feedstock für die Verbrennung gewählt wird, da dies der Kernaufgabe der TAB widerspricht. Für den Umgang mit diesen unvermeidbaren Emissionen werden derzeit verschiedene Ansätze diskutiert (siehe auch Abb.):

  • CCS: Carbon Capture and Storage bezeichnet die Abscheidung von CO2 aus [industriellen] Punktquellen und dessen dauerhafte Einspeicherung in geologischen Lagerstätten. Anwendungsbeispiele sind etwa TAB, Zementwerke, chemische Prozesse etc.
  • CCU: Carbon Capture and Usage unterscheidet sich nicht in der Abscheidung von CCS, sondern nur im nachgelagerten Umgang mit dem abgetrennten CO2. Dieses wird nicht durch geologische Einlagerung, sondern durch Nutzbarmachung als Rohstoff in Produkten wie z.B. chemischen Grundstoffen gespeichert.
  • CCUS wird als Begriff verwendet, wenn bei Abscheidung noch nicht abschließend geklärt ist, ob das CO2 eingelagert oder als Rohstoff genutzt werden soll. Beides ist für die TAB potentiell relevant.
  • BECCS/BECCUS: Bioenergy with CCS/CCUS zielt darauf ab, biogenes CO2 abzuscheiden und einzulagern, um damit der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen und negative Emissionen zu erreichen. Dieses Konzept ist potentiell sehr relevant für die TAB, da typischerweise etwa die Hälfte des verwerteten Abfalls biogenen Ursprungs ist.

Gesellschaftliche Dimension – Aufgabe Abfallvermeidung

Die Menge an Abfall, die entsorgt werden muss und damit für die Entstehung von Emissionen sorgt, ist ein Abbild des gesellschaftlichen Umgangs mit Konsum und Konsumgütern. Technisch besteht die derzeit einzige Lösung in der Abscheidung und Speicherung von CO2 (oder Weiter-Verwertung, siehe unten) – bei dieser Betrachtung darf aber der Hebel der Abfallvermeidung nicht außer Acht gelassen werden.

Mit der der Reduktion der Abfallmenge wird auch die Aufgabe der Abfallentsorgung reduziert und so auf die dabei entstehenden „unvermeidbaren“ Emissionen eingewirkt. Bevor im Folgenden auf die Implikation einer CO2-Abscheidung eingegangen und vor allem der Frage nachgegangen wird, was für den Auf- bzw. Ausbau einer solchen Technologie notwendig ist, wird daher noch ein Schlaglicht auf die Aufgabe des Recyclings und der Abfallvermeidung geworfen. Dabei kann dieser Forschungsbereich, der im Kontext der Kreislaufwirtschaft, „Circular Economy (CE)“ steht, im Rahmen dieses Artikels nur kurz eingeführt werden.

Relevante Entwicklungen, die potentiell zu einer Verminderung des Abfallaufkommens für die TAB führen werden, sind veränderte Produktions- und Konsummuster, ökonomische Anreize über intelligente Systeme der Herstellerverantwortung, ein auf Recyclingfähigkeit angepasstes Produktdesign, eine Verbesserung von mechanischem sowie die Neueinführung von chemischem Recycling für Plastik, eine bessere Sammlung und Abtrennung, die gezielte Umwandlung des Bio-Abfalls sowie der weitere Einsatz von abfallstämmigen Ersatzbrennstoffen in der Zementindustrie.

Prominente Studien wie [5, 6] kommen – verkürzt gesprochen – zu dem Schluss, dass eine ZeroWaste-Gesellschaft (wie Initiativen z.B. in Kiel, aber auch München [7] und Berlin-Spandau [8]) auf jeden Fall anzustreben ist und Vorteile in Richtung Nachhaltigkeit bietet – auch auf der gesellschaftlichen / sozialen Ebene, durch z.B. einen bewussteren Umgang mit Konsum, was zu mehr Gesundheit führt etc. – dass aber das „ZeroWaste“ eher mit „keine Verschwendung“ als „null Abfall“ zu übersetzen ist.

Sprich: eine Reduktion des derzeitigen Abfallaufkommens um die Hälfte, wie es die EU Kommission bis 2030 vorsieht [10], wäre für Deutschland schon eine ganz erhebliche Verbesserung, die aber grundlegende und langwierige Veränderungsprozesse erfordern wird. Diese Halbierung ist als Ziel für die EU durchaus sinnvoll, für Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedern aber weit weniger realistisch – die Ausgangslage ist sehr anders, z.B. aufgrund des Deponieverbots, der Aufstellung bezüglich Recycling etc. In der Konsequenz bleibt, was im vorigen Absatz schon angeklungen ist: in einem Betrachtungszeitraum bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts und darüber hinaus werden Emissionen aus der thermischen Abfallbehandlung entstehen, die als „unvermeidbar“ betrachtet und entsprechend gehandhabt werden müssen.

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