Von der gesellschaftlichen zur technischen Aufgabe

Abb. Schematische Darstellung der Emissionsströme bei fossilen Brennstoffen mit/ohne CCS, erneuerbaren Energien, Bio-Energie und Bio-Energie mit CCUS

Abb. Schematische Darstellung der Emissionsströme bei fossilen Brennstoffen mit/ohne CCS, erneuerbaren Energien, Bio-Energie und Bio-Energie mit CCUS (Quelle: Wuppertal Institut)

Dabei muss die Betrachtung von Transformationspfaden hin zu einer dekarbonisierten Welt immer dynamisch erfolgen. Zum einen entwickelt sich das Zielbild immer weiter, indem etwa das Energiesystem, aber auch industrielle Prozesse immer stärker treibhausgasneutral werden, zum anderen werden auch die Technologien und die dafür benötigen Infrastrukturen für ein Handling von CO2 immer weiter fortgeschritten. In diesem Kontext wird sich auch das Aufkommen, vor allem aber auch die Zusammensetzung des produzierten und zu entsorgenden Mülls verändern, was die TAB vor die Herausforderung stellt, sich diesen Änderungen anzupassen. Anlagenparks unterliegen fortlaufend Konsolidierungsprozessen bzw. müssen fortlaufend beweisen, dass sie den notwendigen technischen Anforderungen entsprechen – oder aber anderen, effizienter arbeitenden Anlagen Platz machen. Das wird auch in Zukunft weiterhin für den Anlagenpark der TAB gelten, wobei die techno-ökonomische Performance der zu installierenden CO2- Abscheidung zu beachten sein wird.

Bei zukünftig dreistelligen CO2-Preisen könnte CCUS an TAB trotz hoher Investitionskosten wirtschaftlich betreibbar sein, insbesondere, wenn sich ein Markt für negative Emissionen entwickelt. Im Folgenden werden daher einige technoökonomische und ökologische Aspekte der CO2-Abscheidetechnik an TAB-Anlagen vorgestellt und diskutiert.

Erste Schritte zur Umsetzung werden bereits gegangen

Während in anderen industriellen Sektoren (z. B. Zementindustrie) bereits im großen Umfang über CO2-Abscheidung diskutiert wird, nimmt die Thematik in der Abfallwirtschaft erst langsam Fahrt auf. Dabei existieren aktuell bereits sieben CCUS-Projekte an TAB-Anlagen (sechs in Europa, eins in Japan), zudem sind in Deutschland zwei Projekte [11] in Planung bzw. Umsetzung [12]. Die chemische Absorption mit Lösungen auf Aminbasis (Aminwäsche) stellt dabei die naheliegende Abscheidungstechnologie im Zusammenhang mit TAB-Anlagen dar - von den bestehenden sieben Projekten setzen sechs auf die Aminwäsche. Einige damit verbundene technische und ökonomische Effekte werden hier kurz andiskutiert.

Durch die Aminwäsche wird ein zusätzlicher Energieverbraucher in den TAB-Prozess eingebunden, so dass sich bei Betrachtung der gesamten Anlage der Eigenenergiebedarf der TAB deutlich erhöht. Dies kann als „Wirkungsgradverschlechterung“ interpretiert werden, welche je nach Alter und Effizienz der Anlage erheblich sein kann. Der Mehrbedarf an thermischer Energie resultiert hierbei hauptsächlich aus der Regeneration der Amine zur erneuten Verwendung und der Freisetzung des gebundenen CO2. Der Wärmebedarf liegt üblicherweise bei 4 GJtherm. pro t abgeschiedenem CO2, neu entwickelte effizientere Lösungsmittel senken den Bedarf auf etwa 2,3 bis 2,6 GJtherm. pro abgeschiedener t CO2 [12].

Die Nutzung einer CO2-Abscheideanlage mit Aminwäsche stellt deutlich höhere Anforderungen an die Reinheit des Rauchgases der TAB-Anlage als die bisherigen Umweltauflagen [12]. So können durch Verunreinigungen im Rauchgas (z.B. mit SOx und NOx) Amine leicht abgebaut werden – diese stehen dem Abscheideprozess nicht mehr zur Verfügung, sodass eine strengere Vorbehandlung des Rauchgases erforderlich ist. Die Etablierung einer Reinigungskette mit solch hohem Standard erfordert Neuinvestitionen und während des Betriebs einen höheren Bedarf an Energie und Reaktionsmitteln – z. B. mehr Kalkstein für die nasse Rauchgasentschwefelung.

Für die Eingliederung der Aminwäsche in eine bestehende Anlage sollte weiterhin bedacht werden, dass genügend Fläche für die räumliche Integration zur Verfügung stehen muss und die Inbetriebnahme mit einer Betriebsunterbrechung von zwei bis drei Monaten einhergeht [12].

Neben der konventionellen Aminwäsche befinden sich mit Solid Sorbent und Hot Potassium Carbonate zwei weitere aussichtsreiche Verfahren zur CO2-Abscheidung in der Entwicklung. Erstgenanntes nutzt feste hochporöse Sorptionsmittel zur CO2-Aufnahme anstatt wässriger Aminlösung und wird derzeit in Pilotprojekten getestet [13]. Ein wesentlicher Vorteil liegt in deutlich reduzierten Energiebedarfen zur Regeneration der Amine [14]. Letztgenanntes wird bereits als Pilotprojekt [15] eingesetzt und zeichnet sich durch eine einfache Nachrüstbarkeit aus, zudem sind keine teuren und oft patentierten Amine erforderlich [16]. Auch das aus der Energiewirtschaft bekannte Oxyfuel-Verfahren gilt für TAB als aussichtsreich, da sich potentiell sehr hohe Abscheideraten erzielen lassen und keine Amine benötigt werden.

Zentrale Voraussetzung: Aufbau einer CO2-Infrastruktur

Neben der CO2-Abscheidungstechnologie selbst wird für eine erfolgreiche Umsetzung von CCUS an TAB-Anlagen eine Einbindung in eine adäquate CO2-Infrastruktur benötigt. Diese wird nicht eigenständig für TAB entwickelt werden, vielmehr geht es um die Verzahnung mit einer für große prozessbedingte Emissionsquellen benötigten CO2-Infrastruktur, wie etwa der Zement- und Chemieindustrie. Für die dann zu betrachtende Größenordnung wird in der Regel ein Pipelinesystem benötigt [17], mit deren Realisierung in Anbetracht von langen Planungs-, Genehmigung- und Umsetzungsdauern zeitnah begonnen werden sollte – das Bottleneck ist aus anderen großmaßstäblichen Infrastrukturprojekten in Deutschland bekannt.

Die allgemeine Transportaufgabe besteht darin, je nach Anwendung für das CO2 die abgeschiedenen Mengen zu einer dauerhaften Lagerstätte zu bringen. Diese wird nach heutigem Kenntnisstand etwa in der Nordsee liegen; entsprechende Speicherkapazitäten werden von den Niederlanden oder in Skandinavien bereits angeboten. Im Fall von CCU wird CO2 als Rohstoff zu einem Abnehmer bzw. Weiterverarbeiter transportiert. Die chemische Industrie kann dabei sowohl als Quelle als auch als Senke auftreten, beide Seiten werden von der Verbindung über eine Transportpipeline ebenfalls profitieren. Dagegen ist ohne die Verfügbarkeit einer CO2-Infrastruktur weder eine Speicherung noch eine Nutzung im großen Maßstab denkbar.

Fehlender regulatorischer Rückhalt und marktwirtschaftlicher Anreiz

Obwohl die Notwendigkeit von CO2-Abscheidetechnologien für die Erreichung der Klimaziele im Allgemeinen erkannt wurde und die politische Diskussion zumindest auf europäischer Ebene in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen hat, ist das regulatorische Umfeld in vielerlei Hinsicht nach wie vor unklar. Zwar bietet der EU-Emissionshandel (EU-ETS) bereits erste generelle Marktanreize für CCS, da abgeschiedene und dauerhaft eingelagerte Emissionen von der Verpflichtung zur Abgabe von Zertifikaten befreit sind – allerdings sind TAB noch nicht im ETS verankert, so dass hier derzeit nur begrenzt Einfluss genommen werden kann.

Auch besteht für Staaten inzwischen die rechtliche Möglichkeit, CO2 über Landesgrenzen hinweg zu transportieren und offshore im Meer einzulagern. Was bislang durch die sogenannte Londoner Konvention verboten war, ist seit 2019 durch die provisorische Anwendung einer Ergänzungsklausel möglich, wozu sich bis dato jedoch lediglich Norwegen und die Niederlande, nicht aber Deutschland bekannt haben [18]. Da eine Einspeicherung von CO2 auf deutschem Boden durch nationale Gesetzgebungen ebenfalls untersagt wird, ist CCS für deutsche Unternehmen derzeit faktisch unmöglich.

Für den Umgang mit CCU-Anwendungen und/oder negativen Emissionen ist das regulatorische Umfeld noch weitaus unschärfer. Dabei stellt gerade dieses eine wesentliche Voraussetzung für die Etablierung der entsprechenden Technologien dar, wie zahlreiche Positionspapiere der letzten Jahre betonen, u.a. [19-24]. So herrscht in Deutschland beispielsweise Unsicherheit, inwieweit die Errichtung von CCU-Anlagen überhaupt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegen. Das entsprechende Gesetz (BImSchG) umfasst derzeit ausschließlich CCS, obwohl es sich um dieselbe Abscheidetechnik handelt [25].

Ferner ist unklar, inwiefern und unter welchen Bedingungen sich negative Emissionen in Form von Entfernungsgutschriften im EU-ETS anrechnen lassen. Ein entsprechendes Zertifizierungssystem stellt jedoch eine Grundlage für die Etablierung von Geschäftsmodellen und generell eines Binnenmarkts für den Handel mit negativen Emissionen dar. Die europäische Kommission hat daher bereits angekündigt, zum Ende dieses Jahres einen entsprechenden Rechtsrahmen zu präsentieren [26], eine Klärung sämtlicher Fragen wird jedoch nicht erwartet [25].

Zwar sind TAB derzeit nicht Teil des EU-ETS und sollen auch im Rahmen des „Fit for 55 Pakets“ erst einmal nicht von dessen Ausweitung betroffen sein, eine Aufnahme in den europäischen Emissionshandel wird aber bereits vom EU-Parlament gefordert und ist vermutlich nur eine Frage der Zeit [27]. Zudem wären TAB indirekt von der Regulierung betroffen, wenn aus der CO2-Abscheidung ein Geschäftsmodell entstehen soll – beispielsweise indem sie Kohlenstoff für CCU-Anwendungen an die chemische Industrie liefern oder die Anrechenbarkeit ihrer negativen Emissionen an Kunden weiterverkaufen möchten. Auch im Rahmen der Unternehmensberichterstattung ist bislang völlig unklar, wie zukünftig mit negativen Emissionen umzugehen ist und inwieweit diese gegen positive Emissionen aufgerechnet werden dürfen. Bislang gibt es dazu keine offiziellen Positionen, für nächstes Jahr ist aber eine neue Richtlinie zum Umgang mit CO2-Entnahmen für den Bilanzierungsstandard GHG Protocol angekündigt [28].

Handlungsbedarf – Wer ist gefordert?

Vonseiten der europäischen, nationalen und regionalen Politik ist eine schnelle Klärung des regulatorischen Umfelds gefordert, damit Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit für die benötigten Technologien erhalten. Hierzu gehören die rechtlichen Anforderungen an die Abscheidung, den Transport und die Nutzung von abgeschiedenem CO2 sowie den Umgang mit negativen Emissionen durch TAB mit hohen Biomasseanteilen. Ganz praktisch muss die Infrastruktur dann auch zeitnah bereitgestellt werden.

Auch wenn es diese Optionen zum Umgang mit den „unvermeidbaren“ Emissionen aus der Abfallbehandlung gibt, darf die gesellschaftliche Komponente um die Reduktion von Abfall nicht vergessen werden: je weniger Abfall entsteht, umso geringer ist der Bedarf an CCUS.

Quellen und Anmerkungen

[1] Bundesregierung (2021): Klimaschutzgesetz 2021 – Generationenvertrag Für Das Klima. bundesregierung.de, accessed December 22, 2021.
[2] European Commission (2018): A Clean Planet for All – A European Strategic Long-Term Vision for a Prosperous, Modern, Competitive and Climate Neutral Economy. eur-lex.europa.eu, accessed March 9, 2020.
[3] Hoffmeister, Jochen, Bärbel Birnstengel, Arno Häusler, and Martin Faulstich (2020): Perspektiven der thermischen Abfallbehandlung – Roadmap 2040 -. Prognos AG und TU Dortmund. itad.de
[4] IN4climate.NRW, Christoph, ed. (2021): CO2 in einer klimaneutralen Grundstoffindustrie: Infrastrukturanforderungen für NRW. Ein Diskussionspapier der Arbeitsgruppe Kohlendioxidwirtschaft. energy4climate.nrw, accessed April 13, 2022.
[5] Koop, Carina, Henning Wilts, Sabine Nanning, et al. (2020): Zero Waste-Konzepte. Gemeinsam Abfälle Vermeiden und Ressourcen schonen. Kiel auf dem Weg zur Zero.Waste.City. Wuppertal / Berlin: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie; Stakeholder Reporting; Büro für Umweltwissenschaften. kiel.de.
[6] Flamme, Simone, Jörg Hanewinkel, Peter Quicker, and Kathrin Weber (2018): Energieerzeugung Aus Abfällen Stand Und Potenziale in Deutschland Bis 2030. Texte, 51/2018. Dessau: Umweltbundesamt; BMU.
[7] https://wupperinst.org/p/wi/p/s/pd/1865
[8] https://wupperinst.org/p/wi/p/s/pd/1889
[9] Diese Halbierung ist als Ziel für die EU durchaus sinnvoll: für Deutschland aufgrund der anderen Ausgangslage im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedern aber weit weniger realistisch.
[10] European Commission (2020):  Circular Economy Action Plan. ec.europa.eu, accessed April 13, 2022.
[11] In Zella-Mehlis und Salzbergen.
[12] IEAGHG (2020): CCS on Waste to Energy. club-co2.fr, accessed March 22, 2022.
[13] Z.B. im Projekt „Vienna Green CO2" am Biomassekraftwerk Simmering in Wien.
[14] Littel, Rob (2017): ViennaGreenCO2 Neues Verfahren für die CO2-Abscheidung aus Abgasen. energy-innovation-austria.at, accessed March 23, 2022.
[15] Am mit Biomasse befeuerten Heizkraftwerk Värtan (Stockholm, Schweden).
[16] Levihn, Fabian, Linus Linde, Kare Gustafsson, and Erik Dahlen (2019): Introducing BECCS through HPC to the Research Agenda: The Case of Combined Heat and Power in Stockholm. Energy Reports 5 1381-1389. elsevier.com, accessed March 22, 2022.
[17] Zeiss, Christoph, Georg Holtz, Ansgar Taubitz, and Dario Zander (2021): CO2-Entstehung Der Industrie in Einem Klimaneutralen NRW Impuls Für Eine Infrastrukturgestaltung. in4climate.nrw.
[18] Benrath, Daniel (2021): RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN EINER KOHLENDIOXIDWIRTSCHAFT. IN4climate.NRW GmbH. in4climate.nrw.
[19] IEA (2011): Combining Bioenergy with CCS. iea.org.
[20] SWP, ed. (2020): Unconventional Mitigation. swp-berlin.org, accessed April 12, 2022.
[21] Ecologic, ed. (2020): EU Framework for CO2 Removals – Targets and Commitments. ecologic.eu.
[22] IfW Kiel, Mathias, ed. (2021): Integrating Carbon Dioxide Removal Into European Emissions Trading. Frontiers in Climate 3: 690023.
[23] Climate Analytics, ed. (2021): Governing Large-Scale Carbon Dioxide Removal: Are We Ready? – An Update.
[24] BDI, ed. (2021): Carbon Capture, Utilisation and Storage (CCUS). Anforderungen Der Deutschen Industrie an Die Nutzung von Kohlenstoff Im Kreislauf.
[25] Becker Büttner Held (2022): Rechtliche Rahmenbedingungen für Carbon Capture and Storage (CCS) in Deutschland.
[26] EU Kommission (2021): Proposals to Remove, Recycle and Sustainably Store Carbon. Text. European Commission – European Commission. europa.eu, accessed April 12, 2022.
[27] Schulz, Florence (2022): Parlamentarier wollen Müllverbrennung in ETS aufnehmen. Tagesspiegel Background Energie & Klima. Verlag Der Tagesspiegel GmbH. tagesspiegel.de, accessed April 12, 2022.
[28] GHG Protocol (2021): Update on Greenhouse Gas Protocol Carbon Removals and Land Sector Initiative | Greenhouse Gas Protocol. ghgprotocol.org, accessed April 12, 2022.

K. Arnold, A. Scholz, A. Taubitz und H. Wilts, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal, karin.arnold@wupperinst.org

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