Rückgang von konventioneller Kapazität

Abbildung 2 zur Vorsorgungssicherheit in Deutschland: Installierte Leistung in Kohlekraftwerken

Abb. 2 Installierte Leistung in Kohlekraftwerken (Quelle: Quelle: JRC [2])

Der zu erwartende Rückgang von konventioneller Kapazität wird – speziell für Kohlekraftwerke – in einer Studie des Joint Re-search Centre (JRC), des wissenschaftlichen Dienstes der EU, betrachtet [2]. Die Studie analysiert Daten der ENTSO-E und der Transitional National Plans. Danach ergibt sich von 2016 bis 2025 in der EU28 ein Rückgang der installierten Leistung von Kohlekraftwerken von 150 GW auf 105 GW, und ein weiterer Rückgang auf 55 GW bis 2030 (Abb. 2). Dies entspricht einer Abnahme um 63 %. Zusätzliche Abschaltungen von Kraftwerkskapazitäten in Deutschland würden diese Situation noch verschärfen. Neue Kraftwerke entstehen überwiegend auf Basis von erneuerbaren Energien und tragen damit nur in geringem Umfang zur gesicherten Leistung bei.

 

Gegenseitige Verfügbarkeit von gesicherter Leistung relativ niedrig 

 

Im Zusammenhang mit etwaigen Stromimporten Deutschlands in Engpasssituationen ist außerdem zu berücksichtigen, dass Hochlast-situationen in den Ländern Zentral- und Westeuropas oft gleichzeitig bestehen. Auch wetter-bedingte Effekte (z. B. Kältewelle, Trockenheit) treten in der Regel aufgrund ihrer Großflächigkeit zeitgleich in vielen europäischen Ländern auf. Die gegenseitige Verfügbarkeit von gesicherter Leistung aus dem Ausland ist daher relativ niedrig.

 

Hinzu kommt, dass die meisten Staaten für die nächsten Jahre mit einer wachsenden oder zumindest stabilen Höchstlast rechnen. Auch dies bindet die vorhandenen Kraftwerkskapazitäten im eigenen System.

 

Darüber hinaus konzentrieren sich rund drei Viertel der konventionellen Kraftwerkskapazitäten auf die Länder Frankreich, Italien, Niederlande und Polen. Bis 2020/21 erwarten die deutschen ÜNB in ihrer aktuellen Systemanalyse für die europäischen Nachbarstaaten insgesamt einen Rückgang der konventionellen Kapazitäten um 8,1 GW. Nur in drei Staaten steigen diese Kapazitäten an [3]. Allein in den Niederlanden wird ein Rückgang von 4 GW erwartet, überwiegend bei Gaskraftwerken. (Gemäß Systemanalyse nehmen die konventionellen Kapazitäten in Deutschland bis 2020/21 um 2,6 GW ab.)

 

ENTSO-E weist im 2017er-Bericht auch auf die Gefahr hin, dass beträchtliche Kraftwerkskapazitäten aus wirtschaftlichen oder regulatorischen Gründen in die Kaltreserve gehen könnten. Eine Wiederinbetriebnahme solcher Kraftwerke ist nur mit längerer Vorlaufzeit und keinesfalls kurzfristig möglich.

 

Für diese Analyse wurde auch versucht, mithilfe weiterer Quellen, z. B. Energieprogramme oder Ausbauprognosen, für die einzelnen Nachbarstaaten eine Einschätzung der voraussichtlichen Entwicklung der Kraftwerkparks zu treffen. Danach zeigt sich, dass in den meisten Staaten gleichzeitig zum Abbau von Leistung in Kohle- und Gaskraftwerken die erwartete Spitzenlast für die nächsten Jahre gleichbleibend ist oder sogar steigt.

 

Fazit: In Knappheitssituationen nur bedingt verlässliche Option

 

Die angekündigten oder diskutierten Planungen in den umliegenden Staaten Europas zeigen einen allgemeinen Trend des Abbaus von Kohlekapazitäten sowie von Kernenergie bei gleichzeitigem starken Zuwachs von erneuerbaren Energien. Dies entspricht, wie zu erwarten, den absehbaren Entwicklungen in Deutschland.

 

Die derzeit noch vorhandenen Überkapazitäten an gesicherter Leistung schmelzen damit in Europa mittel- bis langfristig ab. Dadurch stehen auch die Nachbarländer vor der Herausforderung, die Versorgungssicherheit bei steigenden Anteilen volatiler Kapazitäten zu gewährleisten.

 

Dies würde bedeuten, dass Deutschland sich in Knappheitssituationen künftig nur bedingt auf Lieferungen aus dem Ausland verlassen kann. Falls im Zuge der politischen Diskussion in Deutschland Kohlekraftwerke vorzeitig stillgelegt werden sollten, muss neue gesicherte Leistung, z. B. durch Gaskraftwerke, bereitgestellt werden.

 

Loss Of Load Expectation (LOLE)

 

Die Loss Of Load Expectation ist ein Indikator für das Versorgungssicherheitsniveau und gibt an, in wie vielen Stunden im Jahr die Last (Stromnachfrage) weder durch eigene Stromerzeugungskapazitäten noch durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden. Die Berechnung erfolgt mit Hilfe einer probabilistischen Modellierung, in welche die Verfügbarkeiten und Ausfallwahrscheinlichkeiten einzelner Erzeugungsanlagen, Betriebsmittel und Flexibilitätsoptionen eingehen. Einen anerkannten Wert für die Festlegung eines notwendigen Sicherheitsniveaus gibt es bislang nicht. In einigen Ländern (z. B. Frankreich, Belgien oder Niederlande) werden LOLE-Werte von ca. 3 - 4 als tolerierbar angesehen.

 

Quellen

 

[1] ENTSO-E Midterm Adequacy Forecast 2017. https://www.entsoe.eu/outlooks/midterm/

 

[2] Joint Research Centre: EU Coal Regions 2018. https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/eu-coal-regions-opportunities-and-challenges-ahead

 

[3] ÜNB-Abschlussbericht – Systemanalysen 2018. https://www.bundesnetzagentur.de

Michael Nickel

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