Abb 1 Stilllegungspfad für die Braunkohlenkraftwerke in Deutschland 2020-2038

Abb 1 Stilllegungspfad für die Braunkohlenkraftwerke in Deutschland 2020-2038 (Quelle: BMWK)

Die Kriterien dafür sind im Gesetz zur vorzeitigen Beendigung der Kohleverstromung festgelegt. Doch die Corona-Pandemie sowie die Auswirkungen des Ukraine-Krieges setzen neue Rahmenbedingungen für den Erhalt von Versorgungssicherheit und auskömmliche Energiepreise. Die hohe Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland stellt ein deutlich unterschätztes gesamtwirtschaftliches Risiko für das Industrieland Deutschland dar. Weitere Fehleinschätzungen oder neue Risiken müssen vermieden werden.

Gesetzlicher Rahmen

Das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz – KVBG) vom 08.08.2020 bestimmt ein Zielniveau sowie Zieldaten für den nationalen Kohleausstieg (§ 4): Bis zum 31.12.2022 sollen die Stromerzeugungskapazitäten auf der Grundlage von Stein- und Braunkohle in Deutschland auf insgesamt 30 GW und bis zum 01.04.2030 auf 17 GW sinken sowie spätestens bis zum 31.12.2038 vollständig abgebaut sein. Zum Zieldatum 2022 setzt sich das Zielniveau von 30 GW aus 15 GW Nettonennleistung Steinkohle und 15 GW verbleibender Nettonennleistung Braunkohle zusammen. Zum Zieldatum 2030 ist das Zielniveau von 17 GW aufgeteilt auf 8 GW Steinkohle und 9 GW Braunkohle.

Für die Abschaltung der Steinkohlekraftwerke im Inland sieht das Gesetz zwei Verfahren vor: Zunächst die freiwillige Abschaltung gegen den in sieben Ausschreibungsrunden ermittelten Steinkohlezuschlag und ab dem Zieldatum 2027 bis zum Zieldatum 2038 ordnungsrechtliche Anordnungen, die sog. gesetzliche Reduzierung. Bisher wurden in fünf Ausschreibungsrunden insgesamt rund 8.600 MW Stromerzeugungskapazität auf der Basis von Steinkohle stillgelegt [1].

Die Verstromung von Braunkohle erfolgt zumeist an Kraftwerksstandorten in Nähe der Braunkohletagebaue. Im KVBG sind die insgesamt 30 stillzulegenden Kraftwerksblöcke benannt [2]. Einige Anlagen werden vor der endgültigen Stilllegung vorübergehend in die zeitlich gestreckte Stilllegung überführt. Die Einzelheiten – insbesondere die der Entschädigung für die vorzeitige Stilllegung – sind in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt [3] und unterliegen der beihilferechtlichen Prüfung durch die EU-Kommission [4] (siehe Abb. 1).

In den Jahren 2026, 2029 und 2032 kann nach den geltenden Bestimmungen des KVBG (§ 56) geprüft werden, ob der Stilllegungszeitpunkt für Braunkohleanlagen nach dem Jahr 2030 jeweils bis zu drei Jahre vorgezogen und damit das Abschlussdatum für die Verstromung von Braunkohle in Deutschland bereits 2035 erreicht werden kann. Obwohl eine diesbezügliche Prüfung erst für das Jahr 2026 gesetzlich vorgeschrieben ist, haben die Anhebung der nationalen Klimaziele, die Erhöhung der Quote erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030 sowie Formulierungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine Debatte über ein Vorziehen des Kohleausstiegs auf das Jahr 2030 ausgelöst, die eine möglichst frühe Diskussion über die Risiken eines solchen Vorgehens mit Blick auf die gesetzlich festgeschriebenen Prüfpunkte sowie insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen und preislichen Entwicklungen auf dem Energiemarkt sinnvoll erscheinen lassen.

Zudem wird im Jahr 2026 überprüft, ob die zum 31.12.2029 geplante Überführung eines Blocks des Kraftwerks Niederaußem in die zeitlich gestreckte Stilllegung bis Ende 2033 energiewirtschaftlich erforderlich ist. Kann die energiewirtschaftliche Erforderlichkeit nicht festgestellt werden, legt der Anlagenbetreiber die betreffende Braunkohleanlage spätestens bis zum 31.12.2029 endgültig still. Kraftwerksblöcke, die in die zeitlich gestreckte Stilllegung überführt werden, dürfen nicht am Strommarkt teilnehmen, sondern stehen ausschließlich für Anforderungen der Übertragungsnetzbetreiber zur Verfügung. Die Handhabung der zeitlich gestreckten Stilllegung von Braunkohleanlagen ist damit ein wichtigstes Instrument für den sicheren Betrieb der Netze, wenn andere regelbare Leistung am Strommarkt nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht. Für die zeitlich getreckte Stilllegung sind außerdem zwei Blöcke des Kraftwerks Jänschwalde vorgesehen.

Das KVBG regelt die planmäßige Stilllegung aller Kohleanlagen bis 2038 und eröffnet unter genau bestimmten Vorgaben eine vorgezogene Stilllegung der verbliebenen Braunkohleanlagen bis Ende 2035. Andererseits verpflichtet das KVBG die Bundesregierung, jeweils zum 15. August der Jahre 2022, 2026, 2029 und 2032 „auf wissenschaftlicher Grundlage einschließlich festgelegter Kriterien und dazugehöriger Indikatoren“ die Auswirkungen der Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung zu prüfen (§ 54 Regelmäßige Überprüfungen der Maßnahme). Prüfpunkte sind Auswirkungen der Stilllegungen auf die

  • Versorgungssicherheit;
  • Anzahl und die installierte Leistung der von Kohle auf Gas umgerüsteten Anlagen;
  • Aufrechterhaltung der Wärmeversorgung;
  • Strompreise;
  • Erreichung der Klimaschutzziele;
  • Rohstoffe, insbesondere Gips, die im Zuge der Kohleverstromung gewonnen werden;
  • Sozialverträglichkeit der Maßnahmen.

Die Bundesregierung prüft zudem, ob für jüngere Steinkohleanlagen eine Anpassung des gesetzlichen Rahmens erforderlich ist. Dafür werden die jeweils aktuelle Wettbewerbssituation auf dem Strommarkt berücksichtigt sowie die Umrüstung zu Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung oder für den Einsatz von Biomasse und Wasserstoff geprüft. Darüber hinaus wird die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Bundesnetzagentur und den Übertragungsnetzbetreibern prüfen, ob aus netztechnischen Gründen eine Überführung der betroffenen Kraftwerke in die Netz- oder Kapazitätsreserve sinnvoll sein kann. Zusätzlich prüft die Bundesnetzagentur, ob die vorhandenen Gasnetze ausreichend sind, um bestehende Steinkohlekraftwerke auf Gasbetrieb umzustellen. Die Ergebnisse der Überprüfungen werden abschließend von der Expertenkommission, die den Monitoring-Bericht der Bundesregierung zur Energiewende begutachtet, bewertet und bei Bedarf durch Empfehlungen ergänzt.

Die formalen Anforderungen an die Überprüfung des Kohleausstiegs in § 54 KVBG werden im Kohleausstiegsgesetz inhaltlich konkretisiert (§ 55): Jährlich muss die Bundesregierung ermitteln, ob die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems durch die Maßnahmen des Kohleausstiegsgesetzes „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht unerheblich gefährdet oder gestört ist“. Eine nicht unerhebliche Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems liegt vor, wenn der in der europäischen Strommarktverordnung festgelegte Zuverlässigkeitsstandard unter Berücksichtigung der verfügbaren Reserven nicht eingehalten wird. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz prüft außerdem, ob bei Fortführung der Stilllegungen die Strompreise angemessen bleiben. Die Bundesregierung ergreift bei Bedarf Maßnahmen, um eine „preisgünstige Versorgung“ zu gewährleisten.

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