Herleitung einer einheitlichen Definition

Abb. 2 Zwei exemplarische Anwendungsfälle zur Verdeutlichung von netzdienlichem (links) und nicht netzdienlichem (rechts) Anlageneinsatz

Abb. 2 Zwei exemplarische Anwendungsfälle zur Verdeutlichung von netzdienlichem (links) und nicht netzdienlichem (rechts) Anlageneinsatz (Quelle: Ffe und Bayernwerk Netz)

Tab. 2: Parameter und Clusterung zur Netzdienlichkeit

Tab. 2: Parameter und Clusterung zur Netzdienlichkeit (Quelle: Ffe und Bayernwerk Netz)

Neben den oben genannten Definitionen konnten im Rahmen der Literaturrecherche weiterhin eine Vielzahl unterschiedlicher Parameter identifiziert werden, welche wiederum mehrfach in unterschiedlichen Quellen mit Bezug zur Netzdienlichkeit genannt werden. In Tab. 2 sind die einzelnen Parameter den entsprechenden Quellen zugeordnet.

Die analysierten Quellen enthalten ebenfalls Parameter, welche nach oben erfolgter Einordnung auch als netzverträglich sowie systemdienlich gewertet werden können und in Tab. 2 entsprechend eingeordnet worden sind. Die identifizierten Parameter werden in der Regel nur in je ein bis zwei Quellen inhaltlich wiedergegeben, was die Diversität der vorgestellten Definitionen und Quellen widerspiegelt. Ausschließlich der Parameter „Steuerbare oder planbare Wirkleistungscharakteristik“ wurde häufiger als zwei Mal genannt. Um die Inhalte der Parameter weiter erfassen zu können, wurden aus den Parametern vier Cluster abgeleitet, die sich inhaltlich voneinander abgrenzen, aber elementare Bestandteile der Netzdienlichkeit wiedergeben:

  • Technik: Alle technischen Parameter der Definition zur Netzdienlichkeit. Der Fokus liegt hier auf der Wirkleistungscharakteristik von Anlagen, dem Verhalten im Fehlerfall sowie der Integration in die Netzbetriebsführung. Anlagen können hierbei Erzeuger, Verbraucher und Speicher umfassen.
  • Netzbetreiber Information/Steuerung: Informationsflüsse zwischen Anlage und Netzbetreiber oder Steuerbarkeit der Anlage durch den Netzbetreiber.
  • Netz-Kosten: U. a. Reduktion oder Vermeidung von Netzengpässen oder Netzausbaubedarf sowie eine optimierte Netzbetriebsführung.
  • Kontextbezug: Kontextabhängiges Verhalten der Anlage im Vergleich zur derzeitigen Situation im Netz, Wetter oder sonstigem Verbrauchsverhalten weiterer im Netz vorhandener Anlagen.

Auf Grundlage der genannten Cluster und der zugrundeliegenden Parameter je Cluster wird Folgendes abgeleitet:

Definition von Netzdienlichkeit

Netzdienlich sind einzelne oder mehrere elektrische Anlagen (Erzeuger, Verbraucher oder Speicher), welche dazu beitragen, Netzkosten (u. a. Reduktion von Netzengpässen, Netzausbaubedarf oder optimierte Netzbetriebsführung) zu verringern. Dies kann durch Kenntnis, Plan- oder Steuerbarkeit der Anlagen durch den Netzbetreiber und/oder einen Beitrag zur Vergleichmäßigung der Netzlast erreicht werden. Hierzu ist je nach Netzsituation ein kontextabhängiges Verhalten notwendig. Ferner darf kein zusätzlicher Netzausbau in derselben bzw. anderen Netzebenen verursacht werden. Generell muss die Anlage netzverträglich sein.

Beispielhafte Anwendungsfälle im elektrischen Energieversorgungssystem

Die Anwendbarkeit der vorgestellten Definition des Begriffs Netzdienlichkeit sowie der zugehörigen Parameter wird im Rahmen folgender Anwendungsfälle für mögliche, zukünftige und aktuell diskutiere Anlageneinsätze vorgestellt. Die Anwendungsfälle sind in Abb. 2 dargestellt.

Der erste Anwendungsfall beruht auf dem Modell der „Spitzenglättung“, welches im Rahmen der Weiterentwicklung des § 14a EnWG für steuerbare Verbrauchseinrichtungen entwickelt wurde. Auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung und eines intelligenten Messsystems (iMSys) bestünde für den VNB die Möglichkeit, zu netzkritischen Zeitpunkten die Verbrauchsleistung (z. B. eines Elektrofahrzeugs) im Rahmen der „bedingten Leistung“ zu reduzieren. Hierdurch kann unter Annahme geringerer maximaler Leistungen in der Netzausbauplanung eine Verringerung von potenziellem Netzausbau ermöglicht werden [15]. Ein derartiger Anlageneinsatz wird dementsprechend als netzdienlich angesehen, da durch eine plan- oder steuerbare Wirkleistungscharakteristik Netzengpässe gesichert reduziert und Netzausbau verhindert werden können.

Der zweite Anwendungsfall zeigt ein Beispiel für einen systemdienlichen Anlagenabruf durch einen ÜNB. Ausgehend von einem typischen Nord/Süd-Engpass im Übertragungsnetz greift der ÜNB (dunkelblau) zu Netzengpassmanagementmaßnahmen (1). Dementsprechend würden Erzeugungsanlagen vor dem Engpass im Norden abgeregelt und im Süden hochgefahren werden. [16] Statt der Abregelung von Erzeugungsanlagen vor dem Engpass könnten zukünftig dezentral im Verteilnetz (hellblau) verortete Verbraucher zugeschalten werden (2). Entsprechende Verbraucher verhalten sich in diesem Fall systemdienlich. Führen die im Verteilnetz aggregierten Verbraucher jedoch lokal zu Engpässen, liegt kein netzdienliches Anlagenverhalten vor (3).

Fazit

Die Anwendungsfälle zeigen, dass Bedarf nach einer einheitlichen Definition des Begriffs Netzdienlichkeit im Rahmen der Transformation des Energiesystems besteht, um bei der effizienten Integration zukünftiger Verbraucher, Erzeuger und Speicher im Stromnetz eine gemeinsame Sprache zu sprechen.

Exkurs: Netzdienlichkeit von Ladeinfrastruktur in der aktuellen Regulatorik

Der Begriff Netzdienlichkeit wird auch im Rahmen der Integration von Elektromobilität in die Verteilnetze verwendet. In der für die Niederspannung zugrundeliegenden VDE-Anwendungsregel N 4100 wird der Begriff nicht ausdrücklich verwendet, jedoch wurden eindeutige inhaltliche Überschneidungen für die Anschlussbedingungen von Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge mit der in diesem Beitrag aufgestellten Definition festgestellt. So müssen beispielsweise Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge mit einer Anschlussleistung 3,6 kVA beim VNB angemeldet und Ladeeinrichtungen > 12 kVA durch den VNB genehmigt werden sowie steuerbar sein [14]. Die aktuellen Anschlussbedingungen für Ladeeinrichtungen weisen somit bereits einen netzdienlichen Charakter auf, welcher für Verbrauchseinrichtungen in der genannten Leistungsklasse bisher nicht verlangt worden ist.

 

3 / 4

Ähnliche Beiträge