Die Frage eines genügenden Energieangebots stellt sich auch in Zukunft: Eine unzureichende Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien kann zu einem limitierenden Faktor für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen werden

Die Frage eines genügenden Energieangebots stellt sich auch in Zukunft: Eine unzureichende Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien kann zu einem limitierenden Faktor für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen werden (Quelle: Adobe Stock)

Diese Eingrenzung macht die Erneuerbaren zu einem möglicherweise limitierenden Faktor. Grenzen ergeben sich nicht nur für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, sondern weit darüber hinaus, etwa im Bereich der Mobilität. Selbst wenn es gelingt, die anspruchsvollen Vorgaben der Bundesregierung zur Verbesserung der Energieproduktivität erfolgreich umzusetzen, müsste das Angebot an erneuerbaren Energien bis 2045 verdreifacht werden, um die Versorgung Deutschlands mit Gütern und Dienstleistungen auf dem heutigen Niveau abzusichern. 

Die Bundesregierung plant in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 2023, den Wohlstand durch eine „kluge Angebotspolitik“ zu erneuern [1]. Diese Akzentuierung unterstreicht die Sorge der Bundesregierung um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. Wie kann eine wachsende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen mit einem begrenzten Angebot, vor allem von Arbeit und Energie, in Einklang gebracht werden? Die Bedeutung dieser Frage für Deutschland versteht man sofort, wenn man sich die Herausforderungen unserer Zeit vor Augen führt. Exemplarisch seien genannt: Mehr und modernere Wohnungen, Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur, Transformation der Industrie, Investitionen in Schulen und im Bildungsbereich, Anpassungen im Gesundheitssystem, Nachholbedarf bei der Digitalisierung, demographischer Wandel, Umgang mit absehbar steigenden Flüchtlingszahlen und schließlich eine Stärkung der Bundeswehr. Eine Bewältigung dieser vielen Aufgaben ist ohne ein „deutliches Mehr“ an Gütern und Dienstleistungen, d.h. eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, kaum denkbar. Und so scheint es, als ob die Bundesregierung mit der Idee einer „klugen Angebotspolitik“ den Weg zurück in die Welt der „traditionellen Wachstumspolitik“ gefunden hat.

In diesem Kontext beschäftigt sich der Jahreswirtschaftsbericht 2023 in einem Schwerpunkt mit der Frage eines ausreichenden Energieangebots. Verständlicherweise geht es in dem Bericht in erster Linie um die Sicherung der Energieversorgung nach der Einstellung der Erdgaslieferungen aus Russland. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden. Allerdings regen die in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen an, sich noch einmal ganz grundsätzlich mit den längerfristigen Zusammenhängen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Energieversorgung zu beschäftigen. Hierzu versucht der folgende Text einen Beitrag zu leisten.

Grundlage der Analyse

Fragen der Abhängigkeit des wirtschaftlichen Wachstums von der Verfügbarkeit von Energie stehen spätestens seit der ersten Ölpreiskrise im Jahr 1973 im Mittelpunkt der empirischen Wirtschaftsforschung [2]. Es gibt heute eine Vielzahl von Modellen, mit deren Hilfe man die komplexen Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Energieversorgung analysieren kann. In unserem Kontext sind vor allem die Studien von Interesse, die sich mit den Voraussetzungen, Möglichkeiten und Konsequenzen für ein klimaneutrales Deutschland befassen (siehe dazu etwa [3], [4] und [5]). 

In aller Vereinfachung kann man den in diesen Studien gewählten konzeptionellen Ansatz wie folgt charakterisieren: Ausgangspunkt der Analyse ist eine vorgegebene wirtschaftliche Zukunft (vereinfacht dargestellt durch das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes). Auf dieser Basis und den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Strukturen werden der künftige Energieverbrauch und die damit verbundenen Emissionen ermittelt. Das alles vollzieht sich auf einem relativ hohen Detaillierungsniveau und ist insofern nicht einfach nachzuvollziehen.

In dieser Analyse gehen wir den umgekehrten Weg. Vorgegeben wird ein bestimmtes Energieangebot und es wird analysiert, wieviel Güter und Dienstleistungen damit erzeugt werden können (wiederum vereinfacht gemessen durch das Bruttoinlandsprodukt). Dabei nutzen wir einen sehr einfachen Ansatz. Das hat den Vorteil, dass Berechnungen und Schlussfolgerungen auch ohne große energiewirtschaftliche Vorkenntnisse nachvollziehbar und damit zur „Begleitung der politischen Diskussion“ nützlich sind. 

Grundlage unserer Überlegungen ist die folgende Definitionsgleichung: 

BIP = BIP/EEV * EEV/PEV * PEV
BIP: Bruttoinlandsprodukt in Mrd. € (zu Preisen von 2015)
EEV: Endenergieverbrauch in PJ
PEV: Primärenergieverbrauch in PJ
BIP/EEV: Endenergieproduktivität in Mrd. € (zu Preisen von 2015/PJ
EEV/PEV: Umwandlungsfaktor 

Einige Hinweise zur Erläuterung, die der fachkundige Leser gerne überschlagen kann: 

  • In der Energiebilanz unterscheidet man Primärenergieträger und Sekundärenergieträger. Primärenergieträger sind alle Energieträger, die man direkt der Natur entnehmen kann, beispielsweise Kohle, Mineralöl, Erdgas, Biomasse, Solarstrahlung und Windenergie. Demgegenüber stehen die Sekundärenergieträger. Sekundärenergie entsteht aus der Umwandlung von Primärenergie in neue Energieformen. So werden etwa aus Kohle die Energieträger Koks und Briketts; aus Rohöl Benzin, Diesel oder Heizöl; aus Sonne und Wind elektrischer Strom. Addiert man den Einsatz der Primärenergieträger ergibt sich der Primärenergieverbrauch. Der Primärenergieverbrauch ist ein wichtiger Indikator für den Ressourcenverbrauch sowie die Emissionen klimarelevanter Spurengase. Addiert man den Verbrauch der Sekundärenergieträger erhält man den Endenergieverbrauch. 
  • Der Umwandlungsfaktor gibt Auskunft über die Effizienz der Umwandlung von Primär-energie in Endenergie. Der Verbrauch von Primärenergie ist naturgemäß größer als der Endenergieverbrauch, da bei der Umwandlung zwangsläufig Verluste entstehen. Konsequenterweise ist der Umwandlungsfaktor kleiner als Eins. Der genaue Wert ergibt sich aus der Struktur der zum Einsatz kommenden Energieträger und den in der Energie-statistik gültigen Konventionen zu den Wirkungsgraden bei der Energieumwandlung [6]. So unterstellt man bei der Stromerzeugung aus Kohle einen Wirkungsgrad von 45 %, bei der Stromerzeugung aus Biomasse einen Wirkungsgrad von 30 %, bei der Stromerzeugung aus Gas einen Wirkungsgrad von 60 % und bei Wind und Sonne einen Wirkungsgrad von 100 % (rechnerisch). Das Verständnis dieses Sachverhaltes ist wichtig, weil damit nach-vollziehbar wird, dass die politisch angestrebte Veränderung der Primärenergiestruktur hin zu mehr Wind- und Sonnenenergie – nach den Konventionen der Energiestatistik – automatisch zu einer Reduktion der Umwandlungsverluste und einem größeren Umwandlungsfaktor führen [7]. 
  • Die Endenergieproduktivität ist ein Maß für die gesamtwirtschaftliche Effizienz der Energieverwendung. Die Endenergieproduktivität gibt an, wieviel Einheiten BIP pro eingesetzter Einheit Endenergie erzeugt werden können. Je mehr BIP man mit einer Einheit Endenergie erzeugen kann, um so effizienter arbeitet das System.

Politische Vorgaben

Hauptaufgabe des Jahreswirtschaftsberichts ist es, gesamtwirtschaftliche Orientierungsdaten vorzulegen. Dazu gehört eine Jahresprojektion für die Entwicklung des BIP für das laufende Jahr (die Bundesregierung erwartet für 2023 ein Plus von 0,2 %) sowie eine Übersicht über die geplanten wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen. Der Bericht 2023 ist insofern bemerkenswert, weil er auch langfristige Perspektiven benennt. Für unsere Überlegungen sind vor allen zwei Punkte wichtig:

Vorgabe 1: Klimaneutralität 2045

Die Bundesregierung bekennt sich in dem Bericht zu dem Bundes-Klimaschutzgesetz [8]. Dort heißt es in der am 24. Juni 2021 novellierten Fassung in § 3, Abs. 2: „Bis zum Jahr 2045 werden die Treibhausgasemissionen so weit gemindert, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird“. Diese Vorgabe hat weitreichende Konsequenzen für das Angebot an Primärenergieträgern. Netto-Treibhausgasneutralität bedeutet, dass im Jahr 2045 praktisch keine Tonne Kohle, kein Liter Mineralöl und kein Kubikmeter Gas mehr verbrannt werden dürfen. Auf die prinzipielle Möglichkeit, von dieser Regel abzuweichen und die Emission von Treibhausgasen durch natürliche Senken zu kompensieren (z. B. Aufforstung) oder auch die Nutzung von Technologien zur Abtrennung von CO2-Emissionen und Speicherung unter der Erde, soll hier der Einfachheit halber nicht weiter eingegangen werden. Und da die Politik beschlossen hat, auf die Kernenergie zu verzichten, verbleibt für 2045 als einzige Option der Einsatz von erneuerbaren Energien. Zu den Erneuerbaren zählen: Windenergie, Solarenergie, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie.

Mit dieser Vorgabe ist es gut möglich, eine belastbare Angabe zu dem Umwandlungsfaktor 2045 zu machen. Gut belastbar insofern, da der Faktor nur von der relativ gut vorhersehbaren Struktur der in 2045 eingesetzten erneuerbaren Energieträger abhängt. Orientiert man sich an aktuellen Studien zur künftigen Energieversorgung, die neben Windenergie und Solarenergie einen beachtlichen Beitrag von Biomasse und „Abfällen“ (die in der Statistik auch als erneuerbar eingestuft werden) unterstellen, kann man für 2045 einen Umwandlungsfaktor von 0,820 annehmen. Stellt man diesen Wert dem Umwandlungsfaktor für das Jahr 2022 gegen-über (0,713), errechnet sich bis 2045 eine Verbesserung bei der Energieumwandlung um rd. 15 %. Diese Verbesserung wird üblicherweise als Primärenergieeinsparung ausgewiesen.

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