Reallabor SoLAR Allensbach im März 2021 – Erste Implementierung des hier vorgestellten Konzeptes in einem klimafreundlichen Quartier

Reallabor SoLAR Allensbach im März 2021 – Erste Implementierung des hier vorgestellten Konzeptes in einem klimafreundlichen Quartier (Quelle: Easy Smart Grid GmbH)

Zukünftig relevante Eigenschaften von Komponenten und Subsystemen

Das zukünftige Energiesystem unterscheidet sich auf mindestens dreierlei Weise deutlich vom überkommenen. Diese bereits erkennbaren Änderungen betreffen Erzeugungsanlagen, Verbrauchsverhalten und Netztopologie.

Änderungen bei Erzeugungsanlagen

Historisch dominierte die Erzeugung mit thermischen Kraftwerken auf Basis chemisch gespeicherter (Braun-/Steinkohle, Erdöl/-gas) oder Kernenergie. Diese war in einem weiten Bereich regelbar und wurde über Energiemärkte mit dem Verbrauch koordiniert. Im Gegensatz dazu besteht die wesentliche Einflussmöglichkeit bei Solar- und Windkraftwerken nur darin, zwischen 0 und 100 % des aktuellen, wetterbedingten Dargebots zu nutzen. Im Unterschied zu thermischen Kraftwerken mit Brennstoffkosten und langen An- und Abfahrzeiten sind ihre Grenzkosten nahe bei null, und da sie keine thermische Trägheit haben, können sie deutlich schneller auf geänderte Vorgaben reagieren. Natürlich sollten zukünftige Marktdesigns diese Änderungen berücksichtigen.

Änderungen beim Verbrauchsverhalten

Im Gegensatz zur Erzeugung wurde Verbrauch als weitgehend gegebener Fakt betrachtet und mit Standardlastprofilen (SLP) beschrieben. Nur wenige große Lasten wurden flexibel betrieben und nahmen aktiv am Markt teil. Mehr flexible Lasten würden ermöglichen, die bei zunehmend volatiler Erzeugung zusätzlich benötigten Investitionen (CAPEX) in und Verluste (OPEX) durch dedizierte Energiespeicher (Batterien, Umweg über synthetische Gase) zu reduzieren. Dies bietet sich bei der Dekarbonisierung von Wärme (Heizung) und Verkehr (Elektrofahrzeuge) an, die substantielle und kostengünstige Flexibilitätsoptionen verfügbar macht: Speichert man Energie nicht auf der elektrischen, sondern thermischen Seite einer elektrifizierten Heizung, ersetzt also eine Batterie durch einen Warmwasserspeicher, kann dies Speicherkosten um bis zum Faktor 100 senken [1].

Zeitliche Verschiebung des Betriebs von Hausgeräten (Geschirrspüler) oder des Ladens von Elektrofahrzeugen verursacht keine Kosten außer etwaigem Komfortverlust oder der nötigen IKT. Deshalb macht es viel Sinn, diese Flexibilitäten als kostengünstige „virtuelle Batterien“ für das Energiesystem zu nutzen. Intelligente Nutzung von Strom in den Sektoren Wärme und Verkehr, welche zusammen etwa zwei Drittel unserer heutigen Treibhausgasemissionen verursachen, kann beträchtliche Flexibilität kostengünstig bereitstellen – bis hinab zu Grenzkosten von null.

Viele Akteure könnten also Flexibilität in nennenswertem Umfang und zu geringen Kosten bereitstellen. Leider hat der Energiemarkt für sie nur eine geringe Bedeutung: Für persönliche Mobilität, Wärmekomfort oder sauberes Geschirr haben sie in Elektroautos, Wärmepumpen oder Geschirrspüler investiert. Deren Nutzung und Eigenschaften bestimmen den Energieverbrauch mehr als dessen Kosten. Am Beispiel einer Geschirrspülmaschinekann man zeigen, wie sie entgegen bisherigen Annahmen einen relevanten Beitrag leisten kann, was bei großen Lasten noch wirtschaftlicher funktioniert: Ein Durchlauf des Geschirrspülers pro Tag, der 1 kWh benötigt, erzeugt jeden Tag einen Verbrauch von 1 kWh. Allerdings kann der konkrete Zeitraum dieses Verbrauchs ohne Komfortverlust verschoben werden (die mögliche Zeitverschiebung ergibt sich aus dem Zeitraum zwischen Be- und Entladen abzüglich der Prozessdauer). Was behindert in der Praxis die Bereitstellung dieser Flexibilität durch elektrische Lasten? Leider passen die an den Energiemärkten gehandelten Produkte (mit Viertelstundenpreisen) und Mengen (MWh) nicht sehr gut zu diesen Flexibilitäten. Zudem behindern die mit der Stellung von Geboten verbundenen Nutzungseinschränkungen die Berücksichtigung anderer Einflüsse (z.B. verschmutzungsabhängige Programmänderungen) und reduzieren die Attraktivität der erzielbaren Erlöse.

Diese Inkompatibilität zwischen Marktdesign und verfügbarer Flexibilität schafft für deren Besitzer zusätzliche Risiken, die durch Risikoprämien eingepreist werden müssen. Virtuelle Kraftwerke können zwar kleinere Einheiten aggregieren, produzieren dabei aber zusätzliche Komplexität und Kosten – wo ein effizienter Markt doch selbst die Aggregation übernehmen würde. Dynamische Preise machen es flexiblen Kunden dagegen vergleichsweise einfach: Im Rahmen ihrer Bedürfnisse (verfügbares Zeitfenster) wählen sie (oder für sie handelnde Softwareagenten) das zeitliche Betriebsprofil, das ihre Energiekosten minimiert, stellen dem Energiesystem so ihre Flexibilität zur Verfügung und werden mit geringeren Energiekosten belohnt. Natürlich muss die Dynamik dieser Preise sicherstellen, dass Märkte effizient und Netze stabil bleiben.

Bei zunehmendem Bedarf für Flexibilität sollte das Marktdesign also verfügbare Flexibilität entfesseln und effiziente Investments in zusätzliche Flexibilitäten ermöglichen.

Änderungen der Netztopologie

Der Ersatz fossiler durch erneuerbare Erzeugung führt zu zwei teilweise gegenläufigen Effekten in der Netztopologie:

Die leichte Transportierbarkeit chemischer Energieträger ermöglichte verbrauchsnahe Errichtung von Erzeugungsanlagen. Verfügbare Solar- und Windpotentiale stimmen aber nicht mit den gewachsenen räumlichen Verbrauchsmustern überein und erfordern daher zusätzliche Übertragungskapazitäten und Netzausbau, um die Energie von Erzeugungsregionen (z.B. Offshore) zum Kunden zu bringen.

Änderungen gibt es auch auf Verteilnetzebene: Die geringe Leistungsdichte von Sonne und Wind führt dazu, dass Erzeugung in die Fläche und damit auch zum Verbrauch wandert (Prosumer). Während bisher Energie immer vom Kraftwerk zum Verbraucher floss, ist es jetzt durch lokalen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch möglich, diesen Transportbedarf zu verringern. So kann durch höhere Volatilität der Erzeugung und Mehrbedarf dekarbonisierter Sektoren (Wärme, Verkehr) entstehender Ausbaubedarf zumindest teilweise kompensiert werden.

Neue Konzepte wie Micro Grids, lokale Energiegemeinschaften oder dezentrale Topologien wie das zelluläre Netz greifen diese Änderungen auf. Um sie effizient zu gestalten und zu betreiben, müssen dezentrale Marktmechanismen genutzt und Kompromisse zwischen geringerem Netzausbaubedarf durch lokalen Ausgleich und ökonomischen Vorteilen durch großflächige Integration gefunden werden.

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