Neue Methoden zum Betrieb 100 % regenerativ versorgter Energiesysteme

Abb. 1 Netzzelle mit Akteuren und Ableitung eines Preissignals (BI)

Abb. 1 Netzzelle mit Akteuren und Ableitung eines Preissignals (BI) (Quelle: Easy Smart Grid GmbH)

Abb. 2 Lastverschiebung als Reaktion auf dynamischen Tarif

Abb. 2 Lastverschiebung als Reaktion auf dynamischen Tarif (Quelle: Easy Smart Grid GmbH)

Notwendigkeit eines besseren Marktdesigns

Märkte ermöglichen den Ausgleich von Angebot und Nachfrage durch einen Gleichgewichtspreis. Dazu wurde das ökonomische Modell einer „Walrasischen Auktion“ entwickelt: Ein neutraler Auktionator ermittelt aufgrund der Mengen und Preise, mit denen sich Käufer und Verkäufer am Markt beteiligen wollen, den Gleichgewichtspreis und veröffentlicht ihn. Alle Transaktionen werden damit ausgeführt. Dies wird heute durch Gebote der wichtigsten Akteure für 15 (60) Minutenperioden angenähert. Private Endkunden sind an diesem Prozess nicht beteiligt, sondern werden durch SLP abgebildet.

Dieses Marktdesign hat für ein zukünftig erneuerbar dominiertes Energiesystem einige Nachteile:

  • Der Anteil und die Bedeutung großer und flexibler Akteure (thermische Kraftwerke) sinken. Kleine Akteure können die Rolle bei der Preisbildung wegen hoher Transaktionskosten nicht übernehmen. Solar- und Windkraftwerke haben Grenzkosten von null und sollten jeden positiven Deckungsbeitrag akzeptieren, können also ebenfalls kaum „Preise machen“.
  • Ein Großteil des Verbrauchs wird mit Standardlastprofilen abgebildet, die ebenso wie daraus abgeleitete Preise bei zunehmender Lastflexibilisierung die Realität nur noch unzureichend abbilden.
  • Die mit Geboten verbundene Verpflichtung zur Fahrplantreue beschränkt die Nutzung vorhandener Flexibilität mit deren geringen Kosten.
  • Lange Produktdauern (15/60 Minuten) verursachen Informationsartefakte: Statt mit steigendem Sonnenstand am Vormittag zu sinken, können Strompreise nur alle 15/60 Minuten „springen“. Dies verursacht zusätzlichen Bedarf an Regelleistung (Mehrkosten) und Latenzen (Gefahr der Instabilität).
  • Die resiliente informationstechnische (IKT) Einbindung einer großen Zahl dezentraler Akteure ist bisher ungelöst und in jedem Fall anspruchsvoll. Zwar kann man hoffen, durch Aufteilung in zelluläre Systeme die Resilienz zu erhöhen und die technische Herausforderung zu reduzieren, allerdings braucht man dazu wiederum geeignete dezentrale Marktmechanismen.

Zusammenfassend kann man fordern, dass ein kundenzentriertes Energiesystem auf den Bedürfnissen und Möglichkeiten von Kunden, deren Ausrüstung und Flexibilität basieren sollte. Die bisherige Realität, in der Kunden nicht als Akteure, sondern als SLP gesehen werde, steht dazu in deutlichem Kontrast.

Neue Methode zur Ermittlung des Marktgleichgewichts

Im Folgenden wird eine Methode zur Ermittlung des Marktgleichgewichtspreises beschrieben, die auf der Kombination bewährter ökonomischer und physikalischer Prinzipien beruht [2]. Sie ist einfach, funktioniert in Echtzeit, benötigt keine Gebote und erscheint dann besonders geeignet, wenn verpflichtende Erzeugungs- oder Verbrauchsfahrpläne schwierig oder nur teuer umzusetzen sind. Die Methode konzentriert sich im ersten Schritt auf lokale Optimierung (Micro Grids, smarte Quartiere, Verteilnetzabschnitte) und kann von dort ausgehend auch zu einem effizienteren Gesamtsystem beitragen. Im Folgenden wird beschrieben, wie sie einen effizienten Betrieb sicherstellen kann, also durch Preisanreize die Koordinierungsfunktion eines Marktes ausfüllt. Es gibt sinnvolle Ergänzungen zu verbesserten Investitionsanreizen (Refinanzierungsfunktion des Marktes) und Eskalation bei nicht ausreichenden Preissignalen, die aber nicht Thema dieses Beitrags sind.

Nehmen wir an, ein „Walrasischer Auktionator“ habe den Gleichgewichtspreis einer Zelle für die letzte Zeitperiode veröffentlicht (also einen zeitlichen Abschnitt eines dynamischen Tarifs), auf den alle Zell-Akteure mit ihrem individuellen Verhalten reagieren (Abb. 1). Abhängig vom Preis verbrauchen oder speisen sie Energie in einem von ihnen selbst festgelegten Maß (Leistung) ein. Liegt der veröffentliche Preis über dem aktuellen Gleichgewichtspreis, wird zu viel Erzeugung und zu wenig Verbrauch angereizt. Entsprechend dem „Kirchhoff’schen Gesetz“ kann dieser Überschuss lokal nicht gespeichert werden und wird aus der Zelle exportiert, was am Verknüpfungspunkt der Zelle mit dem restlichen Energiesystem erfasst werden kann. Wir nennen dies einen „Balance Indicator“ (BI), der ein physikalisches wie ökonomisches Ungleichgewicht und die Richtung anzeigt, in der das Gleichgewicht zu finden ist. Die nötige Information breitet sich im elektrischen Netz aufgrund der „Maxwell’schen Gleichungen“ mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aus, ist also praktisch instantan verfügbar, um damit durch „sukzessive Approximation“ den letzten Gleichgewichtspreis zu korrigieren (ggfs. in mehreren Schritten). Erfolgt ein Preisupdate jede Sekunde, was technisch gut machbar ist, kann damit auch Regelleistung bewirtschaftet werden.

Wir glauben, damit eine Methode gefunden zu haben, mit dem eine Walrasische Auktion im Stromsystem quasi-kontinuierlich ausgeführt werden und so Echtzeittarife ermitteln kann, die den tatsächlichen Gleichgewichtspreisen entsprechen.

Man vergleiche die Möglichkeit, einen Preis durch nur eine Messung ständig zu aktualisieren und an alle Marktteilnehmer zu übermitteln mit dem, was bisher nötig war: Alle relevanten Marktteilnehmer gaben regelmäßig ein oder mehrere Gebote ab. Diese Informationen wurden gesammelt und ausgewertet, bevor der Preis zurückgesandt wurde. Prozeduren zur Ermittlung und Sanktionierung inkorrekter Erzeugung oder Verbrauchs wurden eingeführt und umgesetzt. Damit hatte man aber erst Erwartungen über die Zukunft behandelt und brauchte ein zweites System für Regelleistung, um danach mit den von Erwartungen abweichenden Realitäten umzugehen.

Anforderungen an Automatisierungslösungen für Endkunden

Natürlich wird eine Reaktion auf dynamische Tarife in den allermeisten Fällen automatisiert erfolgen. Während heutige Gebotsstrategien diejenigen der anderen Marktteilnehmer berücksichtigen müssen, gestaltet sich dies in einem Echtzeitmarkt einfacher: Die eigene Flexibilität wird gegen den Gesamtmarkt optimiert, der das tatsächliche Verhalten aller anderen Teilnehmer aggregiert. Es genügt eine Prognose der eigenen Flexibilität und des aggregierten Marktpreises, um optimales Verhalten festzulegen (Abb. 2). Diese Prognosen und davon abgeleitete Entscheidungen lassen sich bei geänderten Umfeldern oder eigenen Bedürfnissen jederzeit aktualisieren und korrigieren.

Erweiterung auf dynamische Netzentgelte

Genauso wie auf dynamische Energiepreise können Flexibilitäten auch auf dynamische Netzentgelte reagieren. Bei drohender Überlastung „hinter“ einer Leitung oder einem Transformator wird das dynamische Netzentgelt erhöht, um eine entlastende Reaktion auszulösen. Dieser von uns „Congestion Indicator“ (CI) genannte Wert kann ebenfalls aus einem Netzzustand abgeleitet werden (Abb. 3). Grundsätzlich ermöglicht eine geeignete Kombination auch mehrerer solcher Preissignale (BI/CI) den optimierten Einsatz dezentraler Flexibilität in Echtzeit. Da eine einheitliche Reaktion auf diese dynamischen Energie- und Infrastrukturpreise erfolgt, werden unerwünschte Gebotsstrategien wie Inc-Dec-Gaming verhindert.

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