Praktische Umsetzung von Echtzeitmärkten

Abb. 3 Ableitung dynamischer Preiskomponenten für Netzengpässe (CI)

Abb. 3 Ableitung dynamischer Preiskomponenten für Netzengpässe (CI) (Quelle: Easy Smart Grid GmbH)

Bewirtschaftung netzgekoppelter Zellen

Ungleichgewichte (BI) können am Verknüpfungspunkt einer Zelle mit anderen Netzbereichen (andere Zellen, Verteil-/Übertragungsnetz) erfasst und zur Aktualisierung des letzten Gleichgewichtspreises genutzt werden. Die Preisübertragung an alle Netznutzer (“Rundfunk“) erfordert eine geringe Datenrate; bereits 1 Byte/Sec ermöglicht ein Update pro Sekunde mit einer Preisauflösung von 256 Werten. Ein Rückkanal entfällt, weil das tatsächliche Verhalten aller Marktteilnehmer im Stromnetz aggregiert und im BI/CI abgebildet wird. Damit bleiben private Daten ohne besondere Datenschutzmaßnahmen vertraulich. Die beschriebenen Kommunikationsparameter erfordern nur einen Bruchteil dessen, was übliche Infrastruktur (Netzwerke für Gebäude, Unternehmen oder das Stromnetz) heute erfüllt. Die prinzipielle Machbarkeit des Konzepts wurde im Reallabor SoLAR Allensbach mit Simulation und Umsetzung bestätigt [3].

Zellen im Inselbetrieb

Isolierte Netzzellen (Inselnetze oder Zellen im Inselbetrieb) kommen in Deutschland kaum vor, versorgen jedoch etwa 10 % aller Menschen weltweit und sind regulärer Betriebszustand in zellulären Netzkonzepten. Da sie keinen Verknüpfungspunkt mit anderen Netzen haben, werden Ungleichgewichte von der Schwungmasse aufgenommen oder von ihr abgegeben und führen zu Frequenzdrift. Dies ermöglicht eine einfache, kostengünstige und resiliente technische Umsetzung des beschriebenen Verfahrens: Koppelt man den höchsten zulässigen Gleichgewichtspreis an die niedrigste zulässige Netzfrequenz und umgekehrt, führt jedes Ungleichgewicht so lange zu einer Preisänderung und zu Reaktionen von Erzeugern und Verbrauchern, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist (Selbststabilisierung). Da die Netzfrequenz überall mit wenig Aufwand gemessen, weder ausfallen noch aus der Ferne manipuliert werden kann, ermöglicht dies hohe Energieverfügbarkeit und Resilienz. Von der Netzfrequenz abgeleitete Preissignale können auch im Verbundnetz zur Stabilitätshaltung bisher unverzichtbare thermische Kraftwerke durch flexible Lasten wie Kühl- und Gefrierschränke ergänzen, die zuverlässig, kostengünstig und emissionsfrei positive wie negative Regelleistung bereitstellen können.

Aufbau zellulärer Energiesysteme

Wir haben Marktmechanismen beschrieben, die Gleichgewichtspreise in Netzzellen oder dynamische Netzentgelte zur Engpassbewirtschaftung ermitteln können, und ein Verfahren skizziert, das Lastverschiebungsreaktion darauf ermöglicht und so Mehrwert schafft. Diese Komponenten erweitern den Baukasten zukünftiger Marktdesigns und ermöglichen mit hoch-dynamischen Tarifen effizienten Systembetrieb unter Berücksichtigung physikalischer Randbedingungen.

Die Diskussion über zelluläre Netze und deren Gestaltung beginnt gerade. Wichtige Motivationen sind die Reduktion von Netzausbaubedarf und Komplexität sowie höhere Resilienz (Behinderung von Störungsausbreitung an Zellgrenzen). Im einfachsten Fall besteht ein zellulares Energiesystem aus zwei gekoppelten Zellen, die durch Energieaustausch Volatilität reduzieren und „Economies of Scale“ verbessern. Bei unbeschränktem Energieaustausch verschwinden Preisunterschiede zwischen den Zellen, temporäre Engpässe spalten die Preiszone auf, bei Störungen können Zellen in den Inselbetrieb gehen. Dieser Ansatz lässt sich auf eine beliebige Anzahl horizontal (Honigwabe) und/oder vertikal (Netzebenen) verbundener Zellen übertragen. Dynamische Echtzeitpreise für lokale Gleichgewichte und Engpässe können helfen, solche Systeme effizient zu bewirtschaften und so die Vorteile großflächiger Integration, dezentraler Optimierung und Resilienz zu nutzen.

Fazit

Es wurden Komponenten und deren Kombinationsmöglichkeiten für innovative Marktdesigns skizziert, die zu einem kostengünstigen, resilienten und effizienten Umbau des Energiesystems auf 100% Erneuerbare beitragen können. Die erste Implementierung in einem klimafreundlichen Quartier wurde mit dem „Good Practice of the Year 2021“ Award der Renewables Grid Initiative ausgezeichnet [4]. Wir freuen uns auf regen Austausch zu Weiterentwicklungen und Anwendungen.

Quellen

[1] Vortrag Prof. Brian Vad Mathiesen/Uni Aalborg bei KEA BW Karlsruhe (22.10.2020): https://www.kea-bw.de/fileadmin/user_upload/Veranstaltungen/eigen/Nahw%C3%A4rme_kompakt_2020/20201022_NK_alleVortr%C3%A4ge_final.pdf
[2] Europäische Patentschrift EP 2 875 560 B1 (Veröffentlichung 12.10.2016).
[3] Tagungsband zum 2. Innovationskongress Ulm-Neu-Ulm am 06.05.2021 (S. 69 ff.) https://oparu.uni-ulm.de/xmlui/handle/123456789/38579
[4] Broschüre “Good Practice of the Year 2021” der Renewables Grid Initiative https://renewables-grid.eu/fileadmin/user_upload/RGI_Award-2021_web_compressed.pdf

Dr.-Ing. T. Walter, Easy Smart Grid GmbH, Karlsruhe, thomas.walter@easysg.de

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