Grüne Fernwärme ist die Zukunftslösung für die urbane Wärmeversorgung, sagt AGFW-Präsident Dr. Hansjörg Roll

AGFW-Präsident Dr. Hansjörg Roll erläutert im Gespräch mit der EUROHEAT&POWER, warum grüne Fernwärme die Zukunft ist und was die Branche dafür seitens der Politik benötigt (Quelle: MVV Energie)

EHP: Wie wichtig ist es, dass die Mehrwertsteuersenkung auch für die Fernwärme gilt?

Roll: Die Umsatz- und Mehrwertsteuersenkung ist für Fernwärmekunden eine Entlastung und ein wichtiges Signal zum richtigen Zeitpunkt. Sozusagen in letzter Minute hat die Bundesregierung an die 14 Prozent der Haushalte gedacht, die mit Fernwärme versorgt werden.

Damit werden Fernwärme- und Gaskunden auf eine Stufe gestellt. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, vor allem vor dem Hintergrund, dass „grüne“ Fernwärme die Zukunftslösung für die urbane Wärmeversorgung ist. Das sagt AGFW schon seit vielen Jahren.

In der Gesellschaft muss endlich die klare Botschaft ankommen: Grüne Fernwärme – für die Zukunft die ideale Wärmeversorgung in Ballungsräumen für meine Wohnung, mein Gebäude und meine Mieter. Sie ist die langfristig nachhaltigste Methode zur Wärmeversorgung. Sie ist verlässlich und bezahlbar.

EHP: Die Bundesregierung plant eine Gaspreisbremse. Was sollte dabei aus Perspektive der Fernwärme beachtet werden?

Roll: Zuallererst: Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Kommission Gas und Fernwärme gemeinsam denkt. Es gibt allerdings fundamentale Unterschiede: In dem einen Fall wird ein Brennstoff geliefert, in dem anderen eine Dienstleistung bereitgestellt. Dieses Verständnis fehlt derzeit in der Politik.

Eine Fernwärmepreisbremse muss daher im Kern anders ausgestaltet werden. Wir empfehlen dringend, dass noch viel stärker als im Gasbereich mit pauschalen Ansätzen gearbeitet werden muss. Denn die Fernwärme ist mit 4000 Netzen immer eine lokale bzw. regionale Angelegenheit. Noch gar nicht berücksichtigt ist die Tatsache, dass auch Industriekunden mit Wärme beliefert werden, und zwar sowohl mit normaler Fernwärme als auch mit Prozessdampf. Diese Unternehmen, die sich schon für eine klimaschonende Art der Wärmelieferung entschieden haben, dürfen nicht im Regen stehen. Hier müssen praktikable, aber trotzdem schnell wirkende Lösungen für die Fernwärme gefunden werden.

EHP: Müsste das Strommarktdesign angepasst bzw. überarbeitet werden?

Roll: Ein neues Strommarktdesign gehört zu den dringendsten Aufgaben dieser Bundesregierung. Wir laufen gerade sehenden Auges in eine Versorgungslücke, deren Auswirkungen entscheidenden Einfluss auf den Wirtschaftsstandort Deutschland haben werden. Zugegeben, derzeit stehen andere Probleme im Fokus der Politik, aber allzu viel Zeit können wir uns nicht mehr lassen.

Agora-Energiewende hat in ihrer letzten Studie untersucht, was nötig ist, damit wir die Klimaziele einhalten und ab 2035 eine klimaneutrale Stromversorgung haben.  Das Ergebnis: Wir müssen bis Mitte der 2030er-Jahre die installierte KWK-Leistung verdoppeln. Die Leistung muss also von etwa 30 auf rd. 60 GW Leistung steigen. Wir brauchen diese Leistung nicht ganzjährig 24 Stunden am Tag, sondern nur in den wenigen Stunden im Jahr, in denen die erneuerbaren Energien nicht ausreichen und ausgeglichen werden müssen. Da diese Stunden überwiegend im Winterhalbjahr liegen, können diese Anlagen dann in KWK auch gleichzeitig Wärme produzieren. Das Problem dabei ist jedoch, dass dieser Ausbau mit der bestehenden Fördersystematik im KWKG wirtschaftlich nicht möglich ist. Es fehlt eine Vergütung für das Zur-Verfügung-Stellen von gesicherter Leistung. Das muss im anstehenden Novellierungsprozess des KWKG korrigiert werden.

EHP: Christian Maaß, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, hat die Fernwärme letztens als Problemlöser bezeichnet, der vor allem aktuell dringend benötigt werde. Inwiefern und wie schnell könnte die Fernwärme angesichts der Gasmangelsituation helfen?

Roll: Was die Fernwärme kurzfristig leisten kann, ist im Regelfall bereits passiert: So hat beispielsweise ein Fuelswitch – weg vom Gas – relativ frühzeitig und dort stattgefunden, wo es aufgrund der Anlagen- und Wärmenetzkonstellation sowie der Transport- und Lagerlogistik möglich war. Für den Winter 2023/2024 könnten darüber hinaus – schnelle Entscheidungen vorausgesetzt – zusätzliche Gebäude an die Fernwärme angeschlossen werden, die bislang Erdgas einsetzen.

Unabhängig von der aktuellen Krise ist Fernwärme ein technologieoffenes System. Die Integration von erneuerbaren Technologien wie Geothermie, Großwärmepumpen, Abwärme, Power-to-Heat, Solarthermie und die Verbrennung von Wasserstoff mittels Kraft-Wärme-Kopplung ist grundsätzlich möglich und teilweise bereits umgesetzt. Die umfassende Wärmewende, also die Bereitstellung von grüner Fernwärme in breitem Maße und vor allem in den Städten, benötigt jedoch mehr Zeit.

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