AGFW-Geschäftsführer Werner R. Lutsch: „Fernwärme aus einem stetig steigenden Anteil erneuerbarer Energien bildet eine der Schlüsseltechnologien für das Gelingen der Wärmewende in Deutschland“

AGFW-Geschäftsführer Werner R. Lutsch: „Fernwärme aus einem stetig steigenden Anteil erneuerbarer Energien bildet eine der Schlüsseltechnologien für das Gelingen der Wärmewende in Deutschland“ (Quelle: Laufkötter)

EHP: Blicken wir zurück auf 2020: Dieses Jahr ist vor allem geprägt durch COVID19. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Fernwärmebranche?

Lutsch: Wie viele andere Wirtschaftsbereiche stand auch die Fernwärmebranche durch die Corona-Pandemie vor großen Herausforderungen. Diese waren vielfältig und reichten von der Sicherstellung des Geschäftsbetriebs von Stadtwerken und Energieversorgern über die Umstellung auf großflächigen Home-Office-Betrieb bis hin zu Ver-zögerungen in angestoßenen Projekten. Wie die Rückmeldungen aus unseren Mitgliedsunternehmen zeigen, konnten diese großen Herausforderungen aufgrund guter Vorbereitungen und Krisenpläne insgesamt bewältigt werden.

EHP: Konnte die Branche denn aus dieser Krise auch etwas Positives mitnehmen?

Lutsch: In dieser Phase – auch das ist ein Feedback aus dem Kreis der Mitglieder – konnten Erfahrungen gesammelt werden, die die Vorbereitung auf eventuelle künftige Krisenlagen beeinflussen wird. Eine weitere Rückmeldung betrifft den spürbaren Schub für die Digitalisierung von Geschäftsabläufen. Das betrifft auch uns als Verband. Da Präsenzveranstaltungen seit Monaten nicht mehr möglich sind, haben wir unser Seminarangebot auf Online-Veranstaltungen umgestellt und auch hier sehr positives Feedback unserer Mitglieder erhalten.

EHP: Im Jahr 2020 hat sich mit KWKG, GEG und dergleichen mehr einiges auf energiepolitischer Ebene getan. Wie bewerten Sie beispielsweise die Änderungen im KWKG?

Lutsch: Als im Sommer 2020 nach monatelangen Verhandlungen der Kohleausstieg und mit ihm Änderungen am KWKG beschlossen wurden, haben wir ein verhalten positives Fazit gezogen. Positiv, weil damit der Start in den Kohleausstieg vollzogen worden ist und erste Schritte für die Modernisierung und Transformation von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und Fernwärmenetzen eingeleitet wurden. Verhalten fiel das Fazit deshalb aus, weil der erhoffte starke Impuls für die Branche ausgeblieben ist.

EHP: Ende Dezember hat der Bundestag die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verabschiedet, die auch Auswirkungen auf das KWKG hat ...  

Lutsch: Wer bisher glaubte, dass Gesetze, die durch den Deutschen Bundestag verabschiedet werden, länger als ein paar Monate Bestand haben, der wurde jetzt leider eines Besseren belehrt. So sind in den letzten EEG-Abstimmungsrunden Ende Dezember kurzfristig und überraschend Änderungsvorschläge zum KWK-Gesetz 2020 eingebracht worden, die dann auch gleich im Bundestag final verabschiedet wurden. Begründet wurde diese Vorgehensweise vom Ministerium mit der Umsetzung beihilferechtlicher Vorgaben und um damit eine zügige Anwendung des Gesetzes zu gewährleisten und rechtliche Risiken für die Unternehmen zu minimieren.

EHP: Inwiefern ist der starke Impuls im KWKG ausgeblieben? Was hatte der AGFW gefordert?

Lutsch: Der Zuschlag für KWK-Strom aus neuen, modernisierten oder nachgerüsteten KWK-Anlagen ab 2 MW(el) wird ab 2023 von 3,1 auf 3,6 Ct/kWh erhöht – wir hatten 3,7 Ct/kWh zuzüglich einer Kompensation für den Entfall der vermiedenen Netznutzungsentgelte gefordert. Damit fehlt es an dem notwendigen starken Impuls für den KWK-Zubau. Auch wurden die Zuschläge für KWK-Anlagen bis 2 MW(el) nicht erhöht, so dass in diesem Segment ab 2021 durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz wirtschaftliche Nachteile drohen. Und nun kommen die nächsten Änderungen und Anpassungen, die es dann auch in sich haben [siehe Infokasten S. 12]. Diese dürften so manche Planungs- und Investitionsentscheidung über den sprichwörtlichen Haufen werfen.

EHP: Das Gebäudeenergiegesetz ist am 1. November 2020 in Kraft getreten. Darin sind EnEV, EnEG und EEWärmeG zusammengeführt worden. Ist diese Zusammenführung sinnvoll? Welche Auswirkungen hat das GEG für die Fernwärmebranche?

Lutsch: Eine Vereinfachung im regulatorischen Bereich ist aus unserer Sicht erstrebenswert und notwendig. Insgesamt ist das Gesetz ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Für die Fernwärme wurde damit bezüglich der Berechnung der Primärenergiefaktoren zunächst Planungssicherheit geschaffen. Die Primärenergiefaktoren werden weiterhin nach der Stromgutschriftmethode berechnet. Künftig gilt für Primärenergiefaktoren jedoch eine Untergrenze bei einem Wert von 0,3, die nur beim Einsatz von erneuerbaren Energien oder Abwärme verringert werden kann. Bis Ende 2025 werden das Berechnungsverfahren und die Umstellung des Berechnungsverfahrens ab 2030 untersucht.

EHP: Fernwärme kann zur Dekarbonisierung des Städte beitragen. Wie, wo und zu welchen Kosten haben Sie in der neuen Studie „Perspektive der Fernwärme“ untersuchen lassen. Wie kann Fernwärme die Wärmewende vor­anbringen?

Lutsch: Fernwärme aus einem stetig steigenden Anteil erneuerbarer Energien bildet eine der Schlüsseltechnologien für das Gelingen der Wärmewende in Deutschland. Besonders im Gebäudesektor steckt enormes Potenzial, wie uns auch Axel Gedaschko, der Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, bestätigt hat. Bis spätestens 2050 müssen die Gebäude in Deutschland klimaneutral versorgt werden, um die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 90 Prozent oder mehr zu senken. Mit der neuen Studie zeigen wir, welcher Investitionsbedarf auf die Energieversorger und Stadtwerke zukommt und welche Förderkulissen für einen effizienten Aus- und Umbau der Fernwärmeversorgung notwendig sind.

EHP: Wie hoch ist der Investitionsbedarf? Wie groß ist die Wirtschaftlichkeitslücke?

Lutsch: Um den angestrebten Aus- und Umbau der Fernwärme auf 30 Prozent des Wärmebedarfs von Gebäuden in urbanen Räumen und einen Anteil erneuerbarer Wärme von 45 Prozent bis 2030 zu erreichen, haben die Autoren der Studie einen Gesamtinvestitionsbedarf von rd. 33 Mrd. € errechnet. Bis 2030 ergibt sich zur Schließung der Wirtschaftslichkeitslücke daraus ein Fördermittelbedarf von jährlich etwa 1,8 Mrd. €. Verglichen mit anderen Fördervolumina ist das relativ wenig. Das erreichbare Potenzial ist dagegen gewaltig, zumal der Gebäudesektor die Klimaziele durch energetische Sanierungen alleine nicht erreichen kann.

EHP: Der Gebäudesektor und damit die Wohnungswirtschaft sind wichtige Partner. Wichtige Partner sind aber auch die Kommunen. Inwiefern kann die Branche den Kommunen helfen?

Lutsch: Aus unserer Sicht wäre es wichtig, die Kommunen bei der lokalen Wärmeleitplanung zu unterstützen, damit die Umsetzung der Fernwärme vor Ort noch schneller vorankommt. Hier erarbeiten wir gerade einen Beratungsansatz in Form einer Plattform, die Fernwärme-erfahrene Unternehmen und interessierte Kommunen zusammenbringt.

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