Zum Thema: Dekarbonisierung

EHP: Wie steht es mit der Dekarbonisierung der Fernwärme? Wie weit ist die Branche diesbezüglich?

Lutsch: Die Dekarbonisierung der Fernwärme in Deutschland ist – zum Glück – bereits in vollem Gange. Viele Stadtwerke und Energieversorger sind dabei, ihre Strukturen und Anlagen zu verändern. So schnell, wie sich das die Politik teilweise vorstellt, kann diese Transformation nicht vollzogen werden; dafür sind die Zeiträume für die Planung und den Bau neuer Kraftwerke zu lang. Trotzdem, die Dekarbonisierung des Wärmesektors und die Forschung an neuen Technologien im Bereich der Gewinnung erneuerbarer Energien und ihrer Speicherung nimmt spürbar Fahrt auf. Von der Geothermie über die stärkere Nutzung von Abwärme bis hin zu Biomasse, Solar- und Windenergie – um nur einige zu nennen – steht den Energieversorgern ein breites Spektrum erneuerbarer Energien zur Verfügung.

EHP: Der Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeerzeugung lag im Jahr 2018 bei 15 Prozent. Woran liegt es, dass der Anteil noch relativ gering ist?

Lutsch: Damit die begonnene Reise gut weitergehen kann, sind – wie zuvor geschildert – die richtigen politischen Rahmenbedingungen und Förderkonditionen entscheidend. Noch sind die Wärmegestehungskosten für Fernwärme aus erneuerbaren Energien höher als die für klassische, fossile Energieträger. Diese Wirtschaftlichkeitslücke muss durch eine adäquat ausgestattete Förderung geschlossen werden.

EHP: Kann hier das Programm Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) helfen? Das BEW ist in Arbeit. Die Branche hofft, dass es 2021 nun endlich kommt. Was versprechen Sie sich vom BEW?

Lutsch: Das geplante BEW hat das Potenzial, die bestehende Förder­lücke im Bereich der erneuerbaren Fernwärmeerzeugung zu schließen – sofern die finanziellen Mittel realistisch ausgestaltet werden. Aus Sicht der Branche ist ein jährliches Fördervolumen von 1 Mrd. € bei einer Laufzeit des Förderprogramms bis zum Jahr 2030 notwendig, um zügig eine Vielzahl von Klimaschutzinvestitionen in der Fernwärme zu initiieren und die Planungs- und Investitionssicherheit zu verbessern. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass alle relevanten erneuerbaren Energieträger – ein­schließlich erneuerbarer und klimaneutraler Gase sowie Ab­wärme – Berücksichtigung im BEW finden.

EHP: Ende 2020 wurde seitens der Europäischen Kommission die Renovierungswelle (Renovation Wave) beschlossen. Inwiefern hat diese etwas mit der Fernwärme zu tun?

Lutsch: Die Kommission hat im Oktober 2020 mit der Renovierungswelle ihre lange erwartete Initiative zur Modernisierung des europäischen Gebäudebestands veröffentlicht. Im Mittelpunkt der Initiative steht die Ausrichtung des Gebäudesektors auf das gemeinsame Klimaziel für 2030. Die Herausforderungen sind dabei gewaltig: So rechnet die Kommission, dass der Sektor bei Annahme einer Zielverschärfung auf 55 Prozent seine Emissionen um 60 Prozent reduzieren – derzeit verursacht er rund 36 Prozent der Gesamtemissionen – und seinen Energiebedarf um 14 Prozent verringern muss. Zudem soll der Energiebedarf für Wärme- und Kälteerzeugung in Wohngebäuden um bis zu 23 Prozent reduziert, die Austauschrate von Heizsystemen auf jährlich 4 Prozent gesteigert und der Anteil von erneuerbaren Energien und Abwärme von derzeit 33 auf bis zu 42 Prozent erhöht werden.

EHP: Und wie kann angesichts dieser Herausforderungen die Fernwärme helfen?

Lutsch: Unsere Konzepte und Strategien der letzten fünf Jahre – Stichwort 70/70, 40/40 und Perspektive Fernwärme – geben darauf eine klare Antwort. Nur mit der „Renovierung“ einzelner Gebäude werden nach unserer Einschätzung die Ziele der Wärmewende definitiv verfehlt werden. Nur mit dem Ausbau der Fernwärmesysteme und der Dekarbonisierung der Erzeugung – sprich grüne Fernwärme – lassen sich diese Ziele in Deutschland realisieren. Unsere Studien geben hier klare Antworten.

EHP: Angesichts der Renovation Wave wollen Sie gemeinsam mit Euro­heat & Power ein Bilanzierungssystem zur besseren Vergleichbarkeit der Heizsysteme vorstellen. Wie wird dies ausgestaltet?

Lutsch: Die Einführung ordnungsrechtlicher Mindeststandards für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden sowie Quoten zur Einspeisung erneuerbarer Energien europäisiert damit gewissermaßen eine bereits in Deutschland bekannte Debatte. Naturgemäß sind die ordnungsrechtlichen Anforderungen an Neubauten im Vergleich zu Bestandsgebäuden höher. Da aber Fernwärmesysteme gleichermaßen Neu- wie Altbauten versorgen, ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen beide Gebäudetypen als Bündel bewerten. Diese Debatte wurde bereits im GEG-Prozess geführt – mit für die Branche zufriedenstellenden Lösungen. Auch hier werden wir in Zusammenarbeit mit unserem europäischen Dachverband und unseren Partnern zu einer Lösung kommen. Wie diese aussieht, ist noch nicht klar. Letztendlich haben wir aber bereits ein bewährtes System im GEG verankert.

EHP: Warum engagiert sich der AGFW so stark auf europäischer Ebene?   

Lutsch: Dies geschieht im Sinne unserer Mitglieder und der Branche. 70 bis 80 Prozent aller nationalen Gesetze und Vorgaben werden schon seit längerem in Brüssel auf europäischer Ebene entworfen. Deutschland ist in der EU das am stärksten mit Fernwärme versorgte Land. Als nationaler Regelsetzer hat der AGFW zudem die praktischen Erfahrungen auch zur Umsetzung der EU-Vorgaben und Richtlinien im Förderkontext. Als starkes Mitglied im europäischen Dachverband Euroheat & Power stehen wir gerne partnerschaftlich Seite an Seite mit unseren Kollegen aus den anderen Ländern, um uns für die Belange unserer Branche einzusetzen.

EHP: Im Herbst 2021 findet die nächste Bundestagswahl statt. Welche Themen werden Sie hinsichtlich dieser platzieren?

Lutsch: Wir werden der Politik weiterhin verdeutlichen, wie wichtig es ist, den Fernwärmeausbau deutlich zu befördern, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Gleichzeitig sind damit die große Wertschöpfung vor Ort und viele Arbeitsplätze verbunden. Zudem muss die Sektorenkopplung vorangetrieben werden. Und wir sprechen uns für ein Verbot von Öl und Gas in den Städten aus, denn mit Fernwärme lassen sich Städte bereits jetzt deutlich klimaschonender und im Hinblick auf die zunehmende Dekarbonisierung der Fernwärme künftig sogar CO2-neutral mit Wärme versorgen.

EHP: Der AGFW wird 2021 50 Jahre alt. Wie wird dieses Jubiläum gefeiert?

Lutsch: Wir sind stolz, auf eine solche lange Tradition verweisen zu dürfen. Der Branchenaustausch besteht mit Vorläuferinstitutionen und -gremien sogar bereits seit fast 100 Jahren. Wir planen natürlich zu feiern. Hier bestimmt allerdings die Pandemiesituation vieles. Das Festjahr startet mit der virtuellen Mitgliederversammlung im März. In der Sommerperiode ist für die Branche – sofern es die Lage zulässt – ein Fest am Sitz der Geschäftsstelle in Frankfurt am Main geplant. Im Spätherbst soll es nach der Bundestagswahl noch einen Festakt in Berlin geben. Näheres geben wir rechtzeitig bekannt.

EHP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lutsch.

www.agfw.de
 

Auszug wesentlicher Anpassungen im KWKG

  • Anlagenförderung: Anhebung für neue, modernisierte Anlagen . 2 MW auf 3,4 Ct/kWh (vorher 3,1); ab sofort Entfall ETS-Bonus in Höhe von 0,3 Ct/kWh; ab 1.1.2023 um weitere 0,5 Ct/kWh für dann neue Anlagen (abhängig von Überprüfung 2022); gleichzeitig Anlagen . 300 MW(el) benötigen EU-KOM-Genehmigung;
  • Kohleersatzbonus: für älteste Anlagenkategorien (IBN 12/74 bis 01/85) um teilweise . 60 % vermindert;
  • Bonus für innovative EE: erst für Anlagen . 10 MW (vorher 1 MW); keine Wahlfreiheit mehr bei Systemen mit elektreischer Leistung zwischen 1 und 10 MW;
  • Power to Heat: Anspruch nur für KWK-Anlagen, die nach 12/2024 in Betrieb genommen wurden; keine Beschränkung auf Südregion; Power-to-Heat-Anlage muss mindestens 30 % (vorher 80 %) der thermischen Leistung der KWK-Anlage erzeugen können;
  • Südbonus: entfällt;   
  • Ausschreibungssegment: Anpassung der Untergrenze für KWK-Anlagen auf 500 kW (vorher 1 MW), iKWK-Systeme sind hiervon nicht betroffen;
  • Übergangsvorschriften: Der Power-to-Heat-Bonus sowie die Verlängerung der Wärmenetz- und Wärmespeicherung nach 2026 bedürfen noch der beihilferechtlichen Prüfung durch die Europäische Kommission. Wann diese kommt und wie ihr Ergebnis aussehen wird, ist derzeit noch ungewiss.

   Quelle: AGFW Aktuell 40/20 vom 21. Dezember 2020

Silke Laufkötter
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