Das passende Krisenmanagement kann man am Ende nur selbst entwickeln

Um den Schaden beheben zu können, musste zunächst die Leitung freigelegt werden

Um den Schaden beheben zu können, musste zunächst die Leitung freigelegt werden (Quelle: Stadtwerke Jena)

EHP: Was bedeutet es, im Best- und Worst-Case-Szenario zu denken?

Schmidt: Best Case heißt, dass wir wieder in einer Phase sind, in der wir mit der Inbetriebnahme beginnen können. Worst Case bedeutet, dass das Problem nicht gelöst ist und ich vielleicht einzelne Straßenzüge evakuieren muss. Wo können die Menschen dann hin? Also bin ich gedanklich schon viel weiter in der Vorbereitung auch bei Dingen, die bei uns gar nicht eingetreten sind. Die Abstimmung mit überregionalen Kräften, der technischen Leitung der Berufsfeuerwehr, dem THW, der Bundeswehr, vielen freiwilligen Feuerwehren, je nach dem, um was es geht. Das will organisiert und vorbereitet und mit den jeweiligen Einsatzleitern abgestimmt werden.

EHP: Die Vorbereitung des Krisenmanagements muss eine große Herausforderung sein, weil sich Krisen immer unterschiedlich darstellen können. Sie müssen sich im Prinzip auf alle Eventualitäten einstellen.

Schmidt: Man kann sich nicht auf alles einstellen. Deshalb muss es Grundsystematiken geben. Wir als Stadtwerke haben uns natürlich an den Medien orientiert. Wir haben uns Gedanken zu Strom, zu Gas, zu Wasser, Wärme und Erzeugungsanlagen gemacht. Hinsichtlich der Wärme haben wir überlegt, was denn die größten Risiken sind. Am Ende ist es Risikomanagement, was man da betreibt: Was sind die Risiken, die Wahrscheinlichkeiten des Eintritts und was sind die Auswirkungen? Und daraus lassen sich erste Indikatoren ableiten, wie man reagieren würde.

EHP: Können Sie ein Beispiel nennen?

Schmidt: Wir haben uns beispielsweise im Vorfeld Gedanken gemacht, was es bei einer solchen Witterungslage bedeuten würde, wenn Stadtteile nicht versorgbar sind. Die Lösung in unseren Konzepten war, Not- und Wärmeinsel in Turnhallen zu schaffen. Was wir natürlich damals nicht durchdacht hatten und adhoc geklärt werden musste war: 1. dass wir eine Pandemie haben, die es unmöglich macht, Menschen in großen Massen in eine Turnhalle zu bringen, und 2. dass alle Turnhallen in dieser Nacht gesperrt waren wegen zu hoher Schneelast auf den Dächern.

EHP: Und dann? Was machen Sie, wenn der Plan nicht funktioniert?

Schmidt: Wir mussten spontan neue Lösungen finden: So haben wir beispielsweise mögliche Notunterkünfte in Schulen vorbereitet, also Klassenräume, in denen Familien untergebracht werden können. Wir haben gemeinsam mit Kollegen des Katastrophenstabs der Stadt sehr viele Hotels abtelefoniert und die möglichen freien Betten vorsorglich reserviert. Das haben wir am Ende alles nicht gebraucht, aber es war alles vorbereitet und fertig.

EHP: An welcher Stelle kommt z. B. die Stadt mit ins Boot?

Schmidt: Sehr früh. Mit der Stadt gemeinsam haben wir z. B. relativ schnell eine Bürgerhotline geschaffen, an die die Menschen sich wenden konnten. An der Hotline haben Kollegen der Stadt, der Stadtwerke und der Bundeswehr gesessen und Bürgeranfragen entgegengenommen. Das haben die Stadt Jena und ihr Krisenstab organisiert. Auch die Organisation der vielen freiwilligen Feuerwehren, die von Tür zu Tür gegangen sind und gefragt haben, ob jemand Hilfe braucht, ist über den Krisenstab der Stadt organisiert worden. Entscheidend ist, dass man im ganz engen Austausch bleibt. Das Zusammenspiel hat sehr gut funktioniert.

EHP:Den Kontakt zur Stadt haben Sie vermutlich nicht erst in der Krise hergestellt. Haben Sie die Stadt bereits vorher mit einbezogen?

Schmidt: Es war richtig und gut, dass wir schon sehr lange gemeinsam üben, gemeinsam die Themen besprechen sowohl mit der Stadt Jena als auch mit der Berufsfeuerwehr, mit Vertretern des THW und anderen Arbeitskreisen. Das hat sich alles sehr bewährt.

EHP: Gab es auch Unterstützung seitens der Branche?

Schmidt: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich herausgreifen möchte: Wir hatten sehr viel Unterstützung, zahlreiche Hilfsangebote von benachbarten, befreundeten Versorgungsunternehmen. Das sollte sich die Branche unbedingt erhalten. Wir haben von anderen Stadtwerken Notaggregate bekommen, um mit Wärme versorgen zu können. Wir haben Anfragen von Kollegen bekommen, ob wir personelle und materielle Unterstützung benötigen. Auch wenn wir am Ende nicht alles gebraucht haben, hatten wir ein sehr großes Feedback. Es ist schon ein gutes Gefühl zu wissen, dass die Kollegen das mitbekommen und sich von sich aus melden und fragen, ob sie irgendwie helfen können. Das ist auch das, was unsere Branche ausmacht.

EHP: Kommen wir zurück zum Best- bzw. Worst-Case-Szenario. Was war es letztendlich?

Schmidt: Nachts haben wir festgestellt, dass wir doch im Best-Case-Szenario vorankommen und ein Ende in Sicht ist. Dann geht es darum, das Krisenmanagement zielgerichtet zu Ende zu bringen und quasi die Führung des Unternehmens zurückgegeben. Es ist meines Erachtens ganz wichtig, den Ausstieg zu finden.

EHP: Das Krisenmanagement hat bei Ihnen gut funktioniert. Können Sie sich jetzt entspannt zurücklehnen?

Schmidt: Nein, die Nachbereitung ist eine ganz wichtige Aufgabe. Wir sind sehr gut vorbereitet gewesen und haben trotzdem eine lange Todo-Liste an Dingen, die man zwar im Voraus bedenken kann, aber bei denen man erst merkt, wie gut sie funktionieren, wenn man sie erlebt. Das sind viele Kleinigkeiten, organisatorische Dinge: Wie funktioniert die IT? Wie hat die Versorgung funktioniert? Wie hat man die richtigen Ansprechpartner identifiziert? Man muss sich die Zeit nehmen, dass alles noch mal aufzubereiten.

EHP: Ist es notwendig, dass jedes Unternehmen für sich selbst ein Notfall- und Krisenmanagement erarbeitet?

Schmidt: Die Regelwerke und Regeln, die allgemein verfügbar sind, sind eine gute Grundlage. Diese auf das eigene Unternehmen zu übersetzen und anzupassen an die Besonderheiten ist aus meiner Sicht essentiell. Denn jedes Unternehmen ist anders – allein schon von der Größe. Das passende Krisenmanagement kann man am Ende nur selbst entwickeln, denn man muss das Unternehmen kennen, um das machen zu können.

EHP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schmidt.

Silke Laufkötter
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