Die Gemengelage hat dazu geführt, dass die Geschäftsführung die Krise ausgerufen und das Krisenmanagement aktiviert hat

Gunar Schmidt, seit 1. Juni Geschäftsführer der Stadtwerke Energie Jena-Pößneck, hat in seiner vorherigen Funktion als Geschäftsführer der Stadtwerke Jena Netze das Krisenmanagement im Unternehmen aufgebaut, was sich bei der Havarie bewährt hat

Gunar Schmidt, seit 1. Juni Geschäftsführer der Stadtwerke Energie Jena-Pößneck, hat in seiner vorherigen Funktion als Geschäftsführer der Stadtwerke Jena Netze das Krisenmanagement im Unternehmen aufgebaut, was sich bei der Havarie bewährt hat (Quelle: Stadtwerke Jena)

EHP: Worauf haben Sie zurückgegriffen, um diese Organisationsform zu schaffen?

Schmidt: Wir haben uns ein stückweit an die Feuerwehr-Dienstvorschrift 100 angelehnt. Es handelt sich um das Regelwerk aller Feuerwehren und behördlichen Einrichtungen, die sich mit solchen Themen beschäftigen. Und wir haben uns auch an deren Begrifflichkeiten orientiert: Dort werden der Leiter eines Krisenmanagements und die verschiedene Rollen S1 bis S6 beschrieben. Es handelt sich dabei um Einsatzrollen, die verschiedene Aufgaben wahrnehmen. Das hat sich in der Krisensituation im Februar sehr bewährt. Im Kontakt mit den Behörden konnten wir z. B. sagen, „ich bin der S2 der Stadtwerke“. Dann weiß jede Fachstelle, was ein S2 ist, nämlich der Verantwortliche für Gefahren- und Schadenslage.

EHP: Ist das im Prinzip eine Art Code unter Menschen, die sich damit auskennen und dann genau wissen, mit wem sie es jetzt zu tun haben?

Schmidt: Richtig. Wenn alle diesen nutzen, sprechen auch alle die gleiche Sprache und man versteht relativ einfach, welche Rolle derjenige hat, der gerade anruft. An diesem System haben wir uns entlanggehangelt und verschiedene Rollen ausgesucht, die bei uns ein Krisenmanagement ausmachen. Dazu haben wir für jede dieser Rollen Mitarbeiter nach ihrer Eignung ausgewählt.

EHP: Ergibt sich das nicht automatisch durch die Aufgabe der Mitarbeiter im Unternehmen?

Schmidt: Das muss nicht unbedingt mit ihren Tagesfunktionen zusammenhängen. Es handelt sich um eine persönliche Eignung, ob man das kann, mental in der Lage ist, in dieser Situation dort zu arbeiten. Vor allem für die Leiter des Krisenmanagements ist dies eine ganz wichtige Eigenschaft. Für jede Rolle sind vier bis fünf Menschen ausgebildet, die in einem solchen Fall je nach Verfügbarkeit eingesetzt werden. An diesem Tag – es waren am Ende 26 Stunden Einsatz – hatte ich das Glück, der Leiter des Krisenstabs zu sein. Das war jetzt aber Zufall. Es hätte auch noch drei andere Kollegen gegeben, die das genauso gut gekonnt hätten.

EHP: Bei der Havarie im Februar haben die Geschäftsführer also die Krise ausgerufen?

Schmidt: Ja. Wir hatten eine besondere Lage, die wir gemeinsam mit der politischen und strategischen Führung eingeschätzt haben. Wir hatten einen Medienaustritt und mussten ein ganzes Fernwärmesystem abschalten. In dem betroffenen Bereich leben rund 6.000 Menschen, es gibt dort betreutes Wohnen und Pflegeheime, die eine besondere Aufmerksamkeit benötigen. Dazu kamen außergewöhnliche Rahmenbedingen wie Pandemie und Schneelasten. Diese Gemengelage hat dazu geführt, dass die Geschäftsführung die Krise ausgerufen und das Krisenmanagement aktiviert hat.

EHP: Was geschieht dann?

Schmidt: Wir nehmen neue Rollen ein, wir beziehen die Räumlichkeiten, die dafür vorgesehen und vorbereitet sind. Es entstehen eigene Telefonketten mit eigenen Nummern, mit eigenem E-Mail-Verteiler-Kreis. Beispielsweise erreichen Sie mich im Normalfall über meine persönliche E-Mail-Adresse. Im Krisenfall erreichen Sie mich aber nur noch unter leiter-krisenmanagement@stadtwerke-jena.de. Das hat den Vorteil, dass alle anderen Krisenmanager, die gerade nicht aktiv sind, mitlesen und sich permanent informieren können. Sie sind dadurch für den Ablösefall vorbereitet.

EHP: Wenn eine Krise voraussichtlich 24 bis 48 Stunden dauert, können Sie bzw. Ihre Kollegen ja nicht die komplette Zeit im Dauereinsatz sein...

Schmidt: Es ist auch eine der Aufgaben des Krisenmanagers, eine Ablöse zu organisieren. Er muss die Lage und die Verfügbarkeit des Personals einschätzen. Der erste Schritt ist die konstituierende Sitzung des Krisenmanagements mit einem Lagevortrag, den man den Mitgliedern des Krisenstabs mit ihren verschiedenen Funktionen gibt. Wo stehen wir? Was sind die eingeleiteten Reparatur- oder Notmaßnahmen? Man erteilt als Leiter des Krisenmanagements die ersten Aufträge an die verschiedenen Funktionen: Erstelle ein Lagebild, bündele die Einsatzkräfte, schätze ein, wie sich die Lage in den nächsten fünf bis zehn Stunden entwickeln wird. Welche Notfallunterstützung, welche externen Unterstützungskräfte haben wir? Das sind so die ersten Fragen, mit denen man sich beschäftigt.

EHP: Was ist mit der Personalplanung?

Schmidt: Wenn davon auszugehen ist, dass die Krise länger als 24 bis 48 Stunden dauert, muss man auch eine Personalplanung vornehmen.  Wir haben relativ schnell begonnen, einzelne Kollegen von ihrem Tagesgeschäft zu entbinden und sie in die Ruhephase geschickt, damit sie zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder einsatzfähig waren.

EHP: Was ist der Vorteil einer derartigen Organisation?

Schmidt: Der Vorteil so einer Organisation ist, dass die Kollegen draußen vor Ort nicht damit belastet werden. Diese arbeiten weiter, versuchen, den Schaden zu beseitigen, erhalten Anweisungen, aber werden nicht bombardiert mit Fragen von Anwohnern, Politikern und Geschäftsführern. Das übernimmt der Krisenmanager und hält den Leuten draußen den Rücken frei. Er denkt im Gegensatz zu den operativen Kräften vor Ort eigentlich schon viel weiter. Im Rahmen eines solchen Krisenmanagements arbeitet man immer mit zwei Situationen: dem Best- und Worst-Case Szenario.

2 / 3

Ähnliche Beiträge