Ein deutsches Wasserstoffnetz kann künftig zu über 90 % auf der bereits heute bestehenden Gasinfrastruktur bestehen. Lediglich 10 % muss zum Aufbau eines deutschlandweiten Wasserstoffverbundsystems bis zum Jahr 2050 sukzessive neu hinzugebaut werden.

Ein deutsches Wasserstoffnetz kann künftig zu über 90 % auf der bereits heute bestehenden Gasinfrastruktur bestehen. Lediglich 10 % muss zum Aufbau eines deutschlandweiten Wasserstoffverbundsystems bis zum Jahr 2050 sukzessive neu hinzugebaut werden. (Bildquelle: VNG/Torsten Proß, Jeibmann Photografik)

»Unser Green Deal ist nichts anderes als Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment« – 50 Jahre nach der ersten Mondlandung benutzte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein starkes Bild bei der Vorstellung ihres umfassenden Klimaplans. Das Ziel: Europa wird weltweit der erste klimaneutrale Kontinent bis zum Jahr 2050. Dieses anspruchsvolle Klimaschutzziel lässt sich nur erreichen, wenn es gelingt, erneuerbare Energien in großem Maßstab in das bestehende Energiesystem zu integrieren. Schlüsselfaktoren für das Jahrhundertprojekt sind die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, die Elektrifizierung sowie die Verbindung der Netzinfrastrukturen für Elektrizität und Gas mit einem starken Fokus auf Wasserstoff. Ob der Weg in die Wasserstoffwirtschaft aber ein Highway wird, hängt von vielen maßgeblichen Stakeholdern ab. Wenn nicht alle Kräfte sich auf die anstehenden Aufgaben konzentrieren, droht er zur Kreisstraße zu werden.

Neues Rollenverständnis für den Energieträger Gas

Auch in Deutschland nimmt die Entwicklung mittlerweile deutlich an Fahrt auf. Der vom Bundeswirtschaftsministerium bereits im Dezember 2018 initiierte »Dialogprozess Gas« mit einer starken Einbindung unterschiedlicher Interessengruppen hat zu einem nachhaltig positiven neuen Rollenverständnis des Energieträgers Gas und im Zusammenhang damit auch der Transportinfrastruktur geführt. Einzelne Wasserstoff-Projekte der Industrie wurden bereits im Sommer 2019 öffentlich wahrgenommen, als Bundeswirtschaftsminister Altmaier unter anderem das von Gasunie, Thyssengas und Tennet im Jahr 2018 initiierte und seitdem kontinuierlich weiterentwickelte Power-to-Gas-Pilotprojekt »Element Eins« in der ersten Phase des Ideenwettbewerbs »Reallabore der Energiewende« auszeichnete.

Nationale Wasserstoffstrategien

Als nächster Meilenstein steht von Seiten der Politik die Verabschiedung einer nationalen Wasserstoffstrategie an. Die Erwartungen sind hoch, denn bereits im Herbst 2019 hatte der Bundeswirtschaftsminister mit seiner öffentlichen Forderung die Latte hochgehängt: »Deutschland muss beim Wasserstoff die Nummer 1 werden!« Ende Januar 2020 legte das BMWi einen umfassenden Vorschlag vor, der in die Ressortabstimmung mit den beteiligten Ministerien ging – das Ergebnis steht aktuell noch aus.

Unabhängig vom Ergebnis der politischen Abstimmung der deutschen Wasserstoffstrategie hat ­Gasunie ihre Bereitschaft bekundet, mit den Erfahrungen aus der Umsetzung der niederländischen Wasserstoffstrategie den Transformationsprozess auch in Deutschland intensiv zu begleiten.

Zeitgleich veröffentlichten die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber eine Netzkarte, die eine deutschlandweite Wasserstoffinfrastruktur mit einer Gesamtlänge von rund 5 900 km vorstellt. Das deutsche Wasserstoffnetz basiert künftig zu über 90 % auf den bereits heute bestehenden Erdgasleitungen. Lediglich 10 % muss zum Aufbau eines deutschlandweiten Wasserstoffverbundsystems bis zum Jahr 2050 sukzessive neu hinzugebaut werden. Botschaft der Karte ist, dass sich ein Großteil der künftigen Verbrauchsschwerpunkte von Wasserstoff in den Sektoren Industrie, Mobilität und Wärme sowie zahlreiche Untertagespeicher über das bereits bestehende Leitungssystem mit den Aufkommensschwerpunkten von Wasserstoff kosteneffizient verbinden lässt. Auch bei der Umsetzung sind Fortschritte feststellbar: Im Oktober 2020 werden im schleswig-holsteinischen Haurup die ersten Wasserstoffmengen in die von Open Grid Europe und Gasunie konsortial betriebene überregionale Deudan-Pipeline eingespeist, aktuell entstehen die dafür notwendigen Einspeisein­stallationen. Für die durch die Gas- und Stromnetzbetreiber vorangetriebenen Projekte im Industriemaßstab Element Eins, hybridge und H2morrow werden derzeit in Machbarkeitsuntersuchungen konkrete Leitungen für einen Betrieb mit reinem Wasserstoff identifiziert.

Internationale Perspektive

Neben diesen nationalen Aktivitäten beim Thema Wasserstoff spielen auch internationale, grenzüberschreitende Kooperationen und Partnerschaften eine zentrale Rolle. Gasunie bringt hierfür wichtige Voraussetzungen mit:  Außer einer gut ausgebauten Gasin­frastruktur, die eine Schlüsselposition im nordwesteuropäischen Energienetz einnimmt und sich auch für den Transport von Wasserstoff nutzen lässt, kann das Unternehmen bereits heute auf einen umfangreichen track-record beim Thema Wasserstoff verweisen.  Gasunie arbeitet mit leistungsfähigen Partnern an zahlreichen relevanten Wasserstoffprojekten in Nordwest-Europa zusammen. Beispiele sind das grüne Wasserstoffprojekt Djewels im niederländischen Delfzijl, das in einem Konsortium mit Nouryon und vier weiteren Partnern entwickelt wird, sowie der North Sea Wind Power Hub mit Tennet und Energienet.dk. In den Niederlanden hat Gasunie insgesamt mehr als 20 Wasserstoffprojekte in Betrieb oder in der Entwicklung – und das muss auch in Deutschland möglich sein. Voraussetzung ist, dass die künftige deutsche Wasserstoffstrategie ein Investitionsklima schafft, das der besonderen Herausforderung dieser Aufgabe gerecht wird.

Das bestehende Gasnetz wird zusammen mit dem Stromnetz eine entscheidende Rolle in dem Energiesystem der Zukunft spielen. Wie die Übergangspfade hin zu einem europäischen integrierten Energiesystem aussehen können, zeigt die im Januar 2020 vorgestellte Phase-II-Studie, die Gasunie gemeinsam mit Tennet erstellt hat und die einen europäischen Ansatz mit Fokus auf Deutschland und die Niederlande verfolgt. Die Studie knüpft an den im Februar 2019 erschienenen »Infrastruktur-Ausblick 2050« (Infrastructure Outlook 2050) an und zeigt auf, dass die Stromnetzinfrastruktur auch nach dem Jahr 2030 deutlich ausgebaut werden muss. Für die Gasnetzinfrastruktur ergibt sich die Notwendigkeit zu einem moderaten Ausbau.

Als zentrale Botschaft der Studie lässt sich festhalten, dass Elektrizität und Gas sich in Zukunft ergänzen, um das Energiesystem zuverlässig, nachhaltig und wirtschaftlich zu gestalten. Es besteht weiterhin ein großer Bedarf an Wasserstoff- und Methanspeichern für die Langzeitspeicherung, vor allem für Zeiten, in denen die schwankende Stromproduktion aus erneuerbaren Energien überbrückt werden muss. In diesem System sind Power-to-Gas-Anlagen für die Integration von Strom- und Gasnetzen notwendig, und hier kommt es auf die optimale geografische Anordnung der Anlagen an.

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