Ecosystem Strategy Map

Stadtwerke: Bild 2. Ecosystem Strategy Map eines exemplarischen großen Versorgers

Bild 2. Ecosystem Strategy Map eines exemplarischen großen Versorgers (Quelle: PwC)

In welchen Lebensbereichen ein EVU bereits aktiv ist, lässt sich mit der daraus abgeleiteten Ecosystem Strategy Map analysieren und veranschaulichen. Ein typischer (größerer) kommunaler Energieversorger ist beispielsweise mit Strom- und Wärmelieferungen im Bereich Wohnen aktiv, durch Lade­infrastruktur im Bereich Mobilität und mit Lösungen für Gebäudetechnik im Bereich Arbeit. Dabei interagiert das Unternehmen häufig als Enabler mit Geschäftskunden sowie als Realiser mit Endkunden. Weniger stark ausgeprägt ist noch seine Rolle als Orchestrator, da Plattformmodelle bislang nur sehr limitiert umgesetzt sind.

Um ein nachhaltig erfolgreiches Business-Ökosystem zu schaffen, müssen Stadtwerke strukturiert prüfen, sich in zusätzlichen Lebensbereichen ihrer Kunden zu engagieren, vielfältigere Rollen anzunehmen oder aber Kooperationen zu suchen, um mit Partnern ein integriertes Angebot zu entwickeln. Ein wesentlicher Faktor für erfolgreiche Ökosysteme ist es, Lock-in-Effekte zu etablieren, die sowohl in Richtung Kunde als auch in Richtung Lieferant und Partner eine nachhaltige und wertstiftende Interaktion sicherstellen. Die folgenden Beispiele zeigen, wie Stadtwerke den Ökosystem-Gedanken für ihr Geschäft vorantreiben können und dabei Versorgungssicherheit und Dekarbonisierung weiter steigern können (Bild 2).

Beispiel 1: Integrierte Produkte und Services aus einer Hand

Ein Weg, um die genannten zu erwartenden Umsatzverluste von rund 20 % auszugleichen, könnte für Stadtwerke darin liegen, ihren Gewerbe- und Privatkunden neue, integrierte Produkte und Services anzubieten, um dem Kundenwunsch nach einem Angebot aus einer Hand besser zu entsprechen. Aktuell sind bereits viele Versorger dabei, Dienstleistungen rund um Installation und Betrieb von Photovoltaikanlagen, Speicherlösungen und Wärmepumpen bereitzustellen. Erste Anbieter haben auf dieser Basis Miet- und Energy-as-a-Service-Modelle entwickelt, die vor allem für Kunden mit Bestandsobjekten eine attraktive Alternative bieten – zum Beispiel durch den Austausch einer Öl-/Gasheizung durch eine Wärmepumpe/Pelletheizung. So verschafft sich der Versorger nicht nur eine regelmäßige ­Ertragsquelle entlang des gesamten Lebenszyklus, sondern es ergibt sich durch das Angebot einer komfortablen Monitoring-App auch die Möglichkeit, Zusatzdienste zu vermarkten.

Doch dies ist nur der Anfang. Im Bereich der Mobilität etwa werden Angebote rund um Ladesäulen, Wallboxen und Car Sharing noch deutlich relevanter. Sie werden zudem mit Energieangeboten enger zusammenwachsen. Aber auch Angebote aus dem Kommunikationsumfeld, beispielsweise Glasfaser oder Handytarife, werden Versorger nicht nur als  zusätzliches Produkt, sondern integriert anbieten.

Beispiel 2: Optionen in der Wohnungs­wirtschaft – vom Mieterstrom profitieren alle

Neue Vernetzungsmöglichkeiten bieten sich Stadtwerken auch beim Mieterstrom: Hierbei errichtet der Versorger zum Beispiel auf städtischen Immobilien PV-Anlagen, deren Strom die Vermieter nutzen und die damit von günstigen Stromtarifen profitieren. So gestalten Vermieter ihre Immobilien risikoarm umweltfreundlicher, während der Anbieter durch den Mieterstromzuschlag – eine EEG-Förderung – sowie die Lieferung von Reststrommengen Erlöse erwirtschaftet und Kunden langfristig an sich bindet. Alle Parteien leisten damit einen Beitrag zum Klimaschutz. Der besondere Vorteil von Mieterstromprojekten: Häufig lassen sich mit größeren, miteinander verbundenen PV-Anlagen Fixkosten reduzieren, sie sind somit wirtschaftlicher. Auch hierin steckt viel Potenzial für Zusatzangebote entlang des Lebenszyklus.

Ein konkretes Beispiel ist hierbei das Submetering, also Lösungen für die Heizkostenabrechnung. Weitere Beispiele sind Sanierungspläne für Wohn- und Nichtwohngebäude oder Dienstleistungen rund um die Gebäudesanierung selbst, entweder durch eigene Experten oder durch Kooperation mit Partnern. Vor allem mit Wohnungsbauunternehmen ergeben sich im Ökosystem zahlreiche Anknüpfungspunkte für strategische Partnerschaften und Kooperationen, die mit einem durchgängigen, integrierten Angebot komplementärer Fähigkeiten zu einem Win-win für alle Beteiligte beitragen.

Beispiel 3: Integrierte Systeme und Sektorenkopplung als Beitrag zur Dekarbonisierung

Ein weiterer Bereich für eine sinnvolle, übergreifende Zusammenarbeit ist die Sektorenkopplung von Energie, Industrie und Mobilität. Ein mögliches Szenario: Eine Gesellschaft für Wertstoff- und Abfallwirtschaft produziert grünen Wasserstoff, um die eigene Fahrzeugflotte sowie den ÖPNV in der Region zu dekarbonisieren. Um die Erzeugung wirtschaftlich zu gestalten, wird neben der Eigennutzung und staatlicher Förderung zusätzlich überschüssiger Wasserstoff oder Wasserstoffnebenprodukte (zum Beispiel Sauerstoff) an regionale Industriekunden verkauft – was deren Geschäft ebenfalls dekarbonisiert.

Ein anderes Beispiel: Vattenfall nutzt mithilfe einer Hochtemperaturwärmepumpe für das Berliner Fernwärmenetz unter anderem die industrielle Abwärme aus geklärtem Abwasser. Mit einer Wärmeerzeugung von 55 GWh im Jahr lassen sich 6 500 t CO2 einsparen; das entspricht 3,2 Mio. m3 Erdgas. Und damit nicht genug – auch das angeschlossene Fernkältenetz profitiert davon, denn die in der Kältezentrale entstehende Abwärme aus dem Kühlwasser von 12 000 Büros und 1 000 Wohnungen dient als Wärmequelle und hebt die Temperatur der Restwärme aus der Kältezentrale auf ein höheres, nutzbares Niveau – ein Ökosystem also, mit einem Gewinn für alle Beteiligten, das durch intelligente Integration realisiert wurde und neben ökonomischen Vorteilen einen starken Beitrag zur angestrebten Klimaneutralität bedeutet.  

Radikal nutzerzentrierte Perspektive als neues Paradigma

Neben den skizzierten Beispielen sind viele weitere Ergänzungen des traditionellen Kerngeschäfts denkbar. Grundsätzlich ermöglicht der ­Ecosystemizer-Ansatz eine ökosystemorientierte Pers­pektive auf Produkte und Services, Innovationen, neue Geschäftsmodelle, Monetarisierungsstrategien und Kooperationsformen. Es geht um nicht weniger als um ein neues Paradigma: Ecosystem-to-Human (E2H), eine radikal nutzerzentrierte Perspektive, mit der es gelingt, grundlegende menschliche Bedürfnisse zu entdecken, zu adressieren und zu erfüllen. Versorger müssen sich nun strategisch richtig aufstellen, um mittel- und langfristig Antworten parat zu haben auf zentrale Fragen wie:

  • Wie lässt sich Wachstum in neuen Feldern und mit neuen Geschäftsmodellen erzielen? Welche Spielarten sind denkbar, um selbst Betreiber einer Plattform zu werden und über Lock-in-Effekte Kunden und Partner nachhaltig zu binden?
  • Welche Antworten haben wir auf Disruption durch branchenfremde Unternehmen? Und wie reagieren wir auf Marktteilnehmer, die über bestehenden Kundenzugang, Plattformen etc. etablierte Versorger im Kampf um die Hoheit der Kundenschnittstelle herausfordern?
  • Wie können wir aus einer radikalen Kundensicht integrierte Angebote entwickeln? Wie können wir gemeinsam das Ökosystem branchenübergreifend optimieren und in Kooperation mit anderen Unternehmen den größten Wert schaffen?

Wer Antworten auf diese Fragen finden will, muss ganzheitlich und damit auch branchenübergreifend denken – ein Ansatz, den traditionelle EVU noch zu selten verfolgen. Derjenige jedoch, der so handelt, wird gestärkt aus der Krise hervorgehen und sich vom reinen Produkt- und Servicelieferanten zum ­»Concierge des Lebens« weiterentwickeln. Eine konkrete, praxiserprobte Hilfestellung bietet Versorgern der Ecosystemizer-Ansatz. Mit ihm gelingt es ihnen, ihre Rolle in lukrativen Ökosystemen zu finden.

Alexander Rösch, Senior Manager, PwC Deutschland, Nürnberg; Christian Linden, Senior Manager, PwC Deutschland, Düsseldorf; Prof. Julian Kawohl, Gründer Ecosystemizer, Professor an der HTW Berlin, Düsseldorf; alex.roesch@pwc.com, www.pwc.com/de

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