Bruttoinlandsprodukt: Absturz und Erholung

Abbildung 3 zum Thema Corona-Krise und Energiepolitik

Abb. 3 Wachstumsrate des realen BIP in % | Quelle: [11]

Abbildung 4 zum Thema Corona-Krise und Energiepolitik

Abb. 4 Energiebedingte CO2-Emissionen in Mio. t | Quelle: eigene Darstellung

Anders ist die Situation beim Bruttoinlandsprodukt (BIP). Auf diesem Feld sind in den letzten Wochen einige Abschätzungen zu den gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise vorgelegt worden ([6] bis [11]). Hier wird mit aktuellen Daten gearbeitet. Die Prognosen gehen von unterschiedlichen Annahmen aus. Die gängigste Erwartung ist für 2020 ein mehr oder weniger starker Einbruch und dann in 2021 eine deutliche Gegenbewegung (V-förmige Entwicklung). Die Bandbreite der Prognosen für den Rückgang des BIP in 2020 ist beachtlich und reicht von minus 2,8 % bis minus 20,6 %. Diese Zahlen belegen die große Unsicherheit in der Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Zukunft (Tab. 1).

Tab. 1: Prognosen für die Wachstumsrate des BIP 2020 und 2021

Institution

Annahme/Szenario

BIP 2020

BIP 2021

Ifo-Institut
(22.03.2020)

Ein Monat Shutdown
Zwei Monate Shutdown
Drei Monate Shutdown

- 5,1 / - 5,7 %
- 7,2 / - 11,9 %
- 10,0 / - 20,6 %

 

Sachverständigenrat
(22.03.2020)

Basisszenario
Risikoszenario ausgeprägtes U
Risikoszenario langes U

- 2,8 %
- 5,4 %
- 4,5 %

+ 3,7 %
+ 4,9 %
+ 1,0 %

Institut der Deutschen
Wirtschaft
(26.03.2020)

Positivszenario
Negativszenario

- 5,0 %
- 10,0 %

 

Gemeinschaftsdiagnose
(8.04.2020)

Frühjahrsprognose

- 4,6 %

+ 5,8 %

Internationaler
Währungsfonds

(14.04.2020)

World Economic Outlook

- 7,0 %

+ 5,2 %

Bundesregierung
(29.04.2020)

Frühjahrsprojektion

- 6,3 %

+ 5,2 %

Für unsere Berechnungen bietet es sich an, die letzte und damit aktuellste Analyse zu den gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise zu nutzen. Die Bundesregierung erwartet in ihrer Frühjahrsprojektion für das Jahr 2020 einen Rückgang des BIP um 6,3 % und in 2021 eine Erholung um 5,2 % (Abb. 3). Danach wäre der Einbruch durch die Corona-Krise etwas stärker als in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 (BIP 2009: minus 5,7 %). Andererseits erwartet die Bundesregierung eine Erholung, die deutlicher ausfällt, als man sie nach der Wirtschafts- und Finanzkrise beobachten konnte.

Wie sich das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland jenseits des Jahres 2022 – also in der „Nach-Corona-Zeit“ – entwickeln wird, dazu gibt es noch keine belastbaren Einschätzungen. Wir wollen für unsere Berechnungen in Anlehnung an das Prognos-Gutachten eine mittel-fristige jährliche Wachstumsrate des BIP von 1,1 % annehmen. Damit würde Deutschland schon in 2023 wieder das BIP-Niveau von 2019 erreichen. Es ist klar, dass wir es hier mit einer punktuellen Einschätzung zu tun haben. Im Laufe der nächsten Wochen und Monate wird es neue Prognosen geben, mit dem Ergebnis, dass sich das Lagebild ständig verschiebt und die Berechnungen entsprechend angepasst werden müssten.

CO2-Emissionen liegen auf der Ziellinie

An dieser Stelle kommt die „Goldene Gleichung“ ins Spiel. Sie ist die Basis zur Berechnung der künftigen CO2-Emissionen (siehe dazu auch Tab. 2). Für 2020 ergibt sich ein Emissionsniveau von 586 Mio. t CO2 (der guten Ordnung halber noch einmal der Hinweis, dass in diesem Beitrag immer nur von den energiebedingten CO2-Emissionen die Rede ist).

Tab. 2: Annahmen und Ergebnisse der Berechnungen

 

2010

2019

2030

2019/30

Bruttoinlandsprodukt
(Mrd.€2015)

2.780

3.242

3.526

+ 9 %

Spezifischer Energieverbrauch
(PJ/Mrd. €2015)

5,114

3,953

2,778

- 30 %

Kohlenstoffintensität
(Mio. t CO2/PJ)

0,0552

0,0510

0,0445

- 13 %

CO2-Emissionen
(Mio. t CO2)

784

654

436

- 33 %

Dieses Ergebnis würde bedeuten, dass Deutschland sein CO2-Minderungsziel aus dem Energiekonzept des Jahres 2010, das die Bundesregierung eigentlich schon aufgegeben hatte, doch noch erreichen würde. Seinerzeit war im Energiekonzept versprochen worden, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 % gegenüber dem Basisjahr 1990 zu vermindern. Wenn man die hier unterstellten Annahmen akzeptiert, könnte Deutschland bis 2020 mit einer Minderung der Emissionen gegenüber 1990 um 41 % rechnen (1990 betrugen die energie-bedingten CO2-Emissionen 989 Mio. t).

Zu welchem Emissionsniveau führen unsere Annahmen über die künftigen Entwicklungen des spezifischen Energieverbrauchs, der Kohlenstoffintensität und des Bruttoinlandsproduktes für 2030? Die Berechnungen ergeben einen Emissionswert von 436 Mio. t CO2. Deutschland würde seine Emissionen bis 2030 gegenüber dem Basisjahr 1990 um 56 % vermindern und damit seine Vorgabe einer Reduktion um 55 % einhalten (Abb. 4). Genaugenommen ist das kein so überraschendes Ergebnis, wie vielleicht manche vermuten. So hat das zu dieser Analyse herangezogene „Prognos-Gutachten“ für 2030 einen absehbaren Rückgang der CO2-Emissionen um 52 % errechnet, ohne dabei Effekte der Corona-Krise zu berücksichtigen.

Gleichwohl sind einige Hinweise zur Bewertung dieser Abschätzung von größter Wichtigkeit. An erster Stelle: Die Berechnungen in diesem Beitrag sollen der Illustration dienen und zur Diskussion anregen. Daher wird hier auch bewusst nicht von einer „Prognose“ gesprochen. Gewählt wird ein sehr viel bescheidenerer Begriff. Mit der neudeutschen Bezeichnung „Educated Guess“ soll das zum Ausdruck gebracht werden.

Weiter ist klar, dass das hier genutzte Modell extrem einfach ist. So bleiben alle Systemzusammenhänge im Dunkeln. Das ist eine Einschränkung. Andererseits hat der Ansatz auch Vorteile. Die Rechnung ist für Laien gut nachvollziehbar. Und es gilt, von der alten Erfahrung zu profitieren: „Wer rechnet, sieht doppelt gut“.

Schließlich können Leser, die andere Annahmen für wahrscheinlicher halten, ohne große Mühe eigene Rechnungen durchführen und zur Diskussion stellen. So werden manche vielleicht einen noch stärkeren wirtschaftlichen Einbruch in 2020 erwarten. In diesem Fall käme man zu einem noch niedrigeren Emissionsniveau. Unterstellt man dagegen für die kommenden Jahre eine geringere Dynamik bei den Bemühungen auf dem Feld der Energie-einsparung oder Verzögerungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien landet man bei höheren CO2-Emissionen. Hier sind die unterschiedlichsten Varianten möglich, die man gegenüberstellen und in ihren jeweiligen politischen Konsequenzen bewerten kann.

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