Stellung des Erdgases in 2050

Primärenergieverbrauch Erdgas in Deutschland (PJ)

Abbildung 2: Primärenergieverbrauch Erdgas in Deutschland (PJ) (Bildquelle: Dr. Knut Kübler)

An dieser Stelle ist auch ein kurzer Hinweis auf die mögliche Stellung des Erdgases in 2050 von Interesse. Oben haben wir ja gelernt, dass Erdgas bei einem CO2-Minderungsziel von 80 % gegenüber heute noch um einiges zulegen muss, damit der vorgesehene Energiebedarf gedeckt werden kann. Bei einem CO2-Minderungsziel von 95 % sieht die Welt anders aus. Durch den klimapolitisch notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht mehr so viel Erdgas benötigt. Die Konsequenz wären drastische Absatzverluste (Abb. 2). Nach dieser Beispielrechnung ist gut zu verstehen, dass es für die Gasindustrie einen Riesenunterschied machen wird, ob die Bundesregierung in der Klimaschutzpolitik mit einem 80 %- oder mit 95 %-Reduktionsziel antritt.

Was lehrt uns diese kleine Erweiterungslektion? Eine Erhöhung des CO2-Reduktionsziels für 2050 auf 95%, wie es der Entwurf des „Bundes-Klimaschutzgesetzes“ vorsieht, würde das Fundament des Energiekonzepts 2010 ins Rutschen bringen. Um eine Reduktion der CO2-Emissionen in dieser Höhe sicherzustellen, müsste die Politik das Ausbauziel für die erneuerbaren Energien deutlich höher setzen oder den Energieverbrauch weit über die bisherige Vorgabe einer Halbierung des Primärenergieverbrauchs hinaus absenken.

Genau genommen deutet sich hier die Notwendigkeit für ein grundlegend überarbeitetes Energieprogramm an. Zudem zeigen die Berechnungen, dass ein Verzicht auf Kernenergie, auf Kohle, auf Mineralöl und zum Teil auch auf Erdgas mehr bedeutet als nur ein Umbau der Energieversorgung. Immer deutlicher zu erkennen ist, dass der Klimaschutz grundlegende und weit reichende Veränderungen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems notwendig macht. Wer hierzu mehr erfahren will, kann das in einer dazu für das BMWi erstellten Studie nachlesen [9]. Bemerkenswert ist hier vor allem das Ergebnis, zu dem die Autoren in ihrer Schlussabwägung von Kosten und Nutzen einer solchen Klimaschutzpolitik kommen: „Für eine 95 %-Reduktion von Treibhausgasemissionen ist ein gemeinsames europäisches, letztlich weltweites Vorgehen zwingend notwendig“.

Was also bleibt zum Schluss an Erkenntnissen?

Die hier vorgeführten Systemrechnungen sind im Grunde simpel, aber eben doch abstrakt und nicht so einfach nachvollziehbar. Vernünftigerweise wird man kaum erwarten können, dass die „große Politik“ von solchen Rechenübungen Kenntnis nehmen wird. Auch das Interesse der „breiten Öffentlichkeit“ dürfte begrenzt sein. Und wer kein Vertrauen in die Versprechungen der Politik hat, wird den Text vermutlich ohnehin als bedeutungslos zur Seite legen. Was also bleibt zum Schluss an Erkenntnissen?

Zunächst muss man akzeptieren, dass die Politik sich in den letzten Jahren daran gewöhnt hat, ihre Vorstellungen zur Zukunft der Energieversorgung durch quantitative Vorgaben deutlich zu machen. Sie folgte damit dem Zeitgeist. Allerdings, auch wenn die Ziele wieder und wieder beschworen wurden, so waren sie doch letztlich immer unverbindlich. Nun weiß jeder, der die Energiegeschichte Deutschlands kennt, dass nahezu alle quantitativen Vorgaben der Bundesregierung zur Energiezukunft Deutschlands mehr oder weniger deutlich verfehlt wurden, nicht nur in den letzten zehn Jahren, sondern in den letzten 40 (!) Jahren. Das gilt für die Vorgaben zur Kernenergie, für die Plandaten zur Förderung und Absatz der heimischen Steinkohle, für die Ziele bei Energieeffizienz und Energieeinsparung, für eine Begrenzung von Strompreissteigerungen, für den Ausbau der Elektromobilität und natürlich auch für die Reduktion von Treibhausgasemissionen.

Einzig auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien wurden die politisch gesetzten Ziele erreicht bzw. sogar übertroffen. Dieser Erfolg liegt aber weniger an einer glücklichen Hand bei der Festlegung von Zielen sondern in entscheidender Weise an dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und dem damit verbundenen Einsatz von gewaltigen Finanzmitteln. Das EEG ist wohl das überzeugendste Beispiel, was man alles erreichen kann, wenn man viel Geld in die Hand nimmt [10].

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und Erfahrungen bekommt man ein besseres Verständnis für neue Überlegungen und Ansätze in der Energiepolitik. Denn es wird ja immer deutlicher, dass die von der Bundesregierung über Jahre vorgetragene und in der  Öffentlichkeit mehr oder minder tief verankerte „große politische Vision einer Energiewende“ nicht so richtig mit dem Alltag in Übereinstimmung gebracht werden kann. Genauer gesagt: Viele wollen die Energiewende, aber nicht die Konsequenzen, von dem, was sie wollen! Da die Politik mit der Vorgabe unverbindlicher Ziele mehr oder minder gescheitert ist, erscheint es nur konsequent, wenn jetzt daran gedacht wird, Klimaschutzziele mit rechtlich verbindlichen Auflagen zu verbinden. Viele hoffen, dass es mit Gesetzen möglich wird, der Energiewende in Deutschland neue Impulse zu geben.

Chancen und Risiken verbindlicher Klimaschutzziele

Die Debatte dazu steht sicher noch ganz am Anfang. Gleichwohl kann man schon einige Überlegungen zu Chancen und Risiken eines  solchen Vorhabens anstellen. Wo liegen die Chancen? Die Chancen bestehen darin, dass man sich jetzt nicht mehr lange mit dem Wirrwarr einer Vielzahl von Zielen für einzelne Teilbereiche des Energiesystems aufhalten muss (und den sich daraus oft zwangsläufig ergebenden Konflikten mit der Mathematik), sondern sich ganz auf den Schutz der Erdatmosphäre und die dazu notwendigen Maßnahmen konzentrieren kann. Der Zwang, sich der „Ordnung des Rechts“ zu beugen, wird vermutlich auch dazu führen, dass die Politik sich noch sehr viel mehr als bisher darum bemühen wird, pragmatische und kosteneffiziente Lösungen zu finden, etwa in Gestalt einer finanziellen Belastung der Verbrennung von Kohlenstoff. Darin liegt auch eine gewisse Hoffnung für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung, die im Zuge des Umbaus der Energieversorgung kaum zu vermeidenden Einschränkungen und Belastungen hinzunehmen.

Wo liegen die Risiken? Das Hauptrisiko besteht wohl darin, dass die Politik am Ende auch mit einem Ansatz rechtlich verbindlicher Ziele scheitert. Dass die Bundesregierung unverbindliche Versprechungen nicht einhält, daran hat sich die Bevölkerung in Deutschland gewöhnt. Das stört heute keinen großen Geist. Wenn aber Gesetze zum Schutz der Erdatmosphäre nicht eingehalten werden, besteht die Gefahr, dass das Vertrauen der Bürger in das Recht und seine Institutionen ganz grundsätzlich erschüttert wird. Das hätte kaum zu übersehende Konsequenzen. Diese Perspektive erinnert an eine Beobachtung des Schriftstellers und Kinderbuchautors Erich Kästner, der einmal gesagt hat: „Je üppiger die Pläne blühen, umso verzwickter wird die Tat. Man nimmt sich vor, sich zu bemühen, und schließlich hat man den Salat“. Kurzum: Erbringt das Gesetz nicht das, was für den Schutz der Erdatmosphäre notwendig ist und was alle von ihm erwarten, ja – dann hat man den Salat.

Anmerkungen

[1] BMWi, BMU: Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, Berlin 28.09.2010.

[2] Kübler, K.: Der lange Schatten des Energiekonzepts und die nächste Etappe der Energiewende, in: et, 68. Jg. (2018), Heft 11, S. 31-35.

[3] BMU: Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, Berlin 2016.

[4] BMWi: Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“; Abschlussbericht, Berlin, Januar 2019.

[5] Der Bruttoendenergieverbrauch ist eine Größe, die außerhalb der traditionellen Energiestatistik bereitgestellt wird. Ihr Ausweis erfolgt auf der Basis von Vorgaben einer EU-Richtlinie. Im System der Energiebilanz erfasst der Bruttoendenergieverbrauch den herkömmlichen Endenergieverbrauch plus den in der Energiewirtschaft anfallenden Eigenverbrauch sowie die bei Verteilung und Übertragung anfallenden Transport- und Leitungsverluste. Eine Übertragung des Zielwertes für den Anteil der erneuerbaren Energien am  Bruttoendenergieverbrauch in 2050 von 60 % auf den korrespondierenden Anteil am Primärenergieverbrauch setzt zahlreiche Annahmen voraus. Der hier gewählte Wert von 51 % ist als plausible Setzung zu verstehen.

[6] Bundesumweltamt: CO2-Emissionsfaktoren für fossile Brennstoffe, 2016.

[7] Wer nachrechnen will, nutze folgende Gleichungen: (1) PEVÖl + PEVGas = 3.523 PJ; (2) CO2Öl + CO2- Gas = 197,2 Mio. t ; (3) CO2Öl = 0,0733 * PEVÖl ; (4) CO2Gas= 0,0559 * PEVGas.

[8] BMU: Referentenentwurf Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), Berlin 2019.

[9] Fraunhofer ISI u.a.: Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland, Modul 10a: Reduktion der Treibhausgasemissionen Deutschlands um 95 % bis 2050, Studie im Auftrag des BMWi, Karlsruhe 2017.

[10] Nicht immer wird in der öffentlichen Debatte klar, dass sich die Belastungen der Stromverbraucher durch das EEG von 2000 bis 2017 auf einen Betrag von rd. 141 Mrd. € belaufen (Quelle: BMWi: EEG in Zahlen: Vergütungen, Differenzkosten und EEG-Umlage 2000 bis 2019, Berlin 2018).

Knut Kübler

Beitrag als PDF downloaden


Aktuelle Zukunftsfragen Archiv Zukunftsfragen

4 / 4

Ähnliche Beiträge