Konsequenzen und sofortige individuelle Vorkehrungen

Im Fall der (vorzeitigen) Reduktion der L-Gas Verfügbarkeit muss, entlang der Lieferkette für Erdgas innerhalb Deutschlands, unterschieden werden zwischen den Konsequenzen für Erdgasimporteure, regionale Ferngasgesellschaften und regionale Versorger, Stadtwerke und Endkunden sowie für Transportnetz-, Distributionsnetz- und Speicherbetreiber.

Ungeachtet der skizzierten technischen Maßnahmen ergeben sich Konsequenzen, vor allem vertraglicher Natur. So haben z. B. Erdgasimporteure grundsätzlich aufgrund der langfristigen Bezugsverträge einen Anspruch auf Lieferung von L-Gas durch die niederländischen Erdgasexporteure, allen voran GasTerra B.V. Analog haben Ferngas-gesellschaften, Regionalverteiler und Stadtwerke einen Anspruch gegenüber ihren Lieferanten [4]. Sollte aber dennoch eine Einstellung der Produktion in den Niederlanden erfolgen,

  • stünde (trivialerweise) kurzfristig nicht genügend L-Gas zur Versorgung der Kunden in Nordwesteuropa zur Verfügung. Da in den Niederlanden aber nur beschränkte Möglichkeiten bestehen, die Umstellung durchzuführen, ist davon auszugehen, dass primär die niederländischen Exporte – auch nach Deutschland – reduziert werden.
  • könnte von den Produzenten und in der Konsequenz auch von den Unternehmen der jeweils vorgelagerten, d. h. liefernden Handelsstufe versucht werden die Höhere Gewalt-Klausel [5] als Grund zur Beendigung oder Einstellung der Verträge bzw. einer Änderung der Vertragsbedingungen (z.B. Mengenreduzierung oder ggf. Umstellung in eine H-Gas-Lieferverpflichtung) heranzuziehen. Sollte es zu einer derartigen (vorzeitigen) Reduktion von L-Gas auf allen Stufen kommen folgte u. a.
    • Reduktion der im Markt verfügbaren Erdgasmengen,
    • Preisanstieg insbesondere von L-Gas,
    • Anstieg der Konvertierungsentgelte weit über die üblichen Größenordnungen,
    • Reduktion/Gefährdung der Versorgungs-sicherheit [6] sowie
    • ein zu erwartender Imageverlust für Erdgas als Energieträger im Allgemeinen.

Ungeachtet dessen ist aber davon auszugehen, dass selbst wenn von den Produzenten „Höhere Gewalt“ in Anspruch genommen werden würde und diese von den Importeuren bestritten würde (oder in Analogie hierzu auf den nachgelagerten Stufen), die diesbezüglichen Verhandlungen bzw. Verfahren langwierig sein werden.

  • würde die im Markt verfügbare Flexibilität reduziert. Durch die Einstellung der flexiblen L-Gas-Produktion in Groningen könnte es auch zu einer Reduktion der Flexibilitätsverfügbarkeit in Deutschland kommen. Dies könnte zur Konsequenz haben, dass
    • (zumindest kurzfristig) H-Gas-Speicher zu L-Gas Speichern konvertiert werden (müssten) (allerdings nur, wenn überhaupt noch genügend L-Gas verfügbar ist) und
    • der Wert der Flexibilität und somit der Speicher in Deutschland anstiege.
  • müssten Erdgasmengen (H-Gas) aus anderen Quellen beschafft werden.
  • könnten Engpässe bei Transportkapazitäten auftreten und in lokaler L-Gas Knappheit münden.
  • müssten ggfs. die Verträge mit Unternehmen der nachgelagerten Stufen umgestellt werden (Qualität, Mengen, Flexibilität, Messung, Abrechnung).
  • müssten Transportverträge zwischen Händlern und Netzbetreibern umgestellt werden, denn das in den jeweiligen Teilnetzen transportierte Erdgas entspräche ggfs. nicht den bisherigen vertraglichen Anforderungen.
  • erhöhte sich die Anzahl der Restriktionen für die Portfoliooptimierung der Händler und ein Anstieg der Erdgaspreise, auch jener für H-Gas wäre nicht unwahrscheinlich.

Schließlich würde sich bei einer möglichen L-Gas Versorgungskrise die Frage stellen, wer letztlich welche Verantwortung trägt, insbesondere dafür, dass keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen wurden.

Als Konsequenz des oben Gesagten ist den Marktteilnehmern auf allen Stufen anzuraten, ihre individuelle Risikoposition in Bezug auf die hier dargelegten Herausforderungen systematisch zu identifizieren und zu analysieren und daraus geeignete Maßnahmen insbesondere technischer und vertraglicher Natur abzuleiten und umzusetzen (Bestandsaufnahme, Ausfallszenarien, Risikoanalyse Netz sowie Gaseinkaufs- und -verkaufsverträge, Identifikation und Bewertung Handlungsoptionen, Maßnahmenplanung und Umsetzung).

Urteil des höchsten niederländischen Verwaltungsgerichts

Am 15.11.2017 erging das Urteil des höchsten niederländischen Verwaltungsgerichts gegen das niederländische Wirtschafts- und Klimaministerium (WKM) in Sachen Groningen Gasproduktion. Geklagt hatten rd. 20 verschiedene Parteien, die u.a. eine vollständige Einstellung der Groningen L-Gas Produktion gefordert hatten.

Die Entscheidungen des WKM vom September 2016 und die Ergänzungsentscheidung vom Mai 2017 wurden aufgehoben. Diese Entscheidung gestattete NAM in einem Normaljahr 21,6 Mrd. m³ L-Gas aus dem Groningen Feld in den nächsten fünf Jahren zu fördern. Das WKM wurde zu einer neuen Entscheidung zur Förderhöhe in Groningen verpflichtet. Diese muss hinreichend gut in Hinblick auf die Erdbebenrisiken und die Erfordernisse zur Versorgungssicherheit begründet sein. Dafür wurde dem WKM eine Frist von einem Jahr eingeräumt. Bis zu einer Entscheidung hat das Gericht die derzeitige Fördermenge von 21,6 Mrd. m³/a übergangsweise festgelegt.

Aus kommerzieller und strategischer Sicht ist hervorzuheben, dass das Gericht die Notwendigkeit der Versorgungssicherheit akzeptiert, allerdings ist diese in Relation zu den Risiken und der Laufzeit der Entscheidung zu bewerten. In diesem Zusammenhang stellt das Gericht die Frage, unter welchen Umständen weniger L-Gas gefördert werden sollte, als diejenigen Mengen, die für die Versorgungssicherheit erforderlich sind, bzw. welche Möglichkeiten bestehen, um die Mengen für die Versorgungssicherheit zu reduzieren. Zu diesen Optionen zählen beispielsweise die von den Klägern vorgetragenen vorzeitigen Umstellungen, Wechsel des Energieträgers, niedriger Bedarf durch Energieeffizienz und Absatzrückgang, sowie Aussagen von Engie, dass Frankreich weniger L-Gas benötige, während die Exporte von L-Gas nach Deutschland von GTS zuletzt um 1,5 Mrd. m³/a höher erwartet werden. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Urteil des Gerichtes für den deutschen Markt?

  • Die L-Gas Verfügbarkeit in den Niederlanden und für Deutschland dürfte für das Jahr 2017/18 gesichert sein.
  • Ab dem Jahr 2018/19 ist das Produktionslimit in Groningen und die L-Gas Verfügbarkeit für den deutschen Markt aber offen.

Der Kelch einer gerichtlichen Produktions- und daraus folgend Liefereinschränkung ist am 15.11.2017 an uns zunächst vorbeigegangen; die grundsätzlichen Risiken bleiben jedoch bestehen.

3 / 4

Ähnliche Beiträge