Wachsender Bedarf

Abb. 1 Wasserstoff wird sich in Europa in Phasen etablieren

Abb. 1 Wasserstoff wird sich in Europa in Phasen etablieren (Quelle: Adaptiert von Hydrogen Roadmap Europe, Fuel Cells and Hydrogen 2 Joint Undertaking)

Wasserstoff wird zum begehrten Gut – das spiegelt sich auch in der europäischen Nachfrageentwicklung wider. Derzeit werden in der EU jährlich rund 10 Mio. t Wasserstoff für stoffliche Anwendungen wie z.B. die Produktion von Ammoniak genutzt. Dieser Bedarf wird nahezu vollständig aus fossilen Quellen gedeckt, während CO2-freier Wasserstoff noch ein Nischenmarkt ist. Bis 2030 wird der Wasserstoffbedarf auf geschätzte 14 bis 20 Mio. t ansteigen – mit wachsendem Anteil von grünem und blauem Wasserstoff.

Bis 2050 könnte sich der Bedarf auf fast 70 Mio. t in Europa erhöhen, hauptsächlich getrieben durch den Verkehrs- und Wärmesektor mit ca. 20 bzw. 17 Mio. t sowie durch Verwendung von Wasserstoff als Ausgangsmaterial für stoffliche Prozesse (rund 20 Mio. t) – vorausgesetzt, die Pläne zur Dekarbonisierung werden ambitioniert umgesetzt und CO2-freier Wasserstoff spielt hierbei eine wesentliche Rolle. 70 Mio. t Wasserstoff entsprächen nach Berechnungen der Forschungsinitiative FCH JU fast einem Viertel (24 %) der gesamten Energienachfrage in der EU.

Wasserstoff-Arten und ihre CO2-Bilanz

Grauer Wasserstoff, der aktuell den fast ausschließlichen Anteil der Wasserstoffproduktion ausmacht, wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Bei seiner Herstellung wird in der Regel Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) aufgespalten. Das CO2 wird anschließend in die Atmosphäre abgegeben und ist damit klimaschädlich. Blauer Wasserstoff wird ebenfalls aus fossilen Brennstoffen gewonnen, das entstehende CO2 jedoch nicht emittiert, sondern abgeschieden und gespeichert, weshalb diese Produktionsweise als CO2-arm gilt. Grüner Wasserstoff wird bei der Elektrolyse von Wasser gewonnen. Um wirklich „grün“ sein zu können, muss der Strom für die Elektrolyse ausschließlich aus CO2-freien Energiequellen stammen.

Kein Durchbruch über Nacht

Die Idee, Wasserstoff im großen Stil energiewirtschaftlich zu nutzen, ist nicht neu. Bereits um die Jahrtausendwende erfuhren einige Wasserstoffaktien ungeahnte Höhenflüge, konnten jedoch in den Folgejahren den hohen Erwartungen nicht gerecht werden und stürzten so steil ab, wie sie geklettert waren. Weitere Wellen der Wasserstoffeuphorie folgten – mit ähnlich enttäuschenden Ergebnissen.

Heute, 20 Jahre später, stehen die Börsenbewertungen wieder auf Rekordhöhe und die Chancen für einen Durchbruch besser – aus drei Gründen: Erstens ist grüne Wasserstoffproduktion dank gesunkener Stromerzeugungskosten bei Erneuerbaren inzwischen günstiger geworden, so dass sich der Einsatz zumindest in einzelnen Anwendungsfällen kommerziell rechnet (z.B. bei Gabelstaplern und der Produktion von Ammoniak). Zweitens gibt es konkrete Zusagen von Staaten, CO2-freien Wasserstoff zu subventionieren und so erste Skalierungen zu ermöglichen. Drittens rückt durch verschärfte EU-Dekarbonisierungsziele die Nutzung von klimaneutralem Wasserstoff vor allem im Industrie-, Verkehrs- und Wärmesektor in den Fokus. Wasserstoff ist damit zu einem Kernbestandteil der Energiewende avanciert.

Bislang allerdings nur auf dem Papier. Denn ebenso wie auf internationaler Ebene werden auch die deutschen und europäischen Pläne noch Jahre brauchen, bis sie vollständig umgesetzt sind. Wasserstoff als Energieträger wird sich in Etappen etablieren, abhängig von sektorspezifischen Regulierungen und davon, wie sich die dafür erforderlichen Technologien weiterentwickeln (Abb. 1):

Industrie. Im ersten Schritt dürfte CO2-freier Wasserstoff für die Herstellung von Ammoniak genutzt werden und den bisher verwendeten grauen sukzessive ersetzen. Ähnlich verläuft die Umstellung bei Raffinerien. Auch bei der Stahlproduktion wird Wasserstoff im sog. Direktreduktionverfahren früh zum Einsatz kommen – wobei sich dort die Frage nach der Wirtschaftlichkeit wegen des Drucks auf die deutsche Stahlindustrie ganz besonders stellt.

Verkehr. Im Schwerlastverkehr ist die Wasserstofftechnologie gegenüber Batterielösungen im Vorteil. Mit der Markteinführung von Wasserstoff-Trucks wird in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts gerechnet. Auch bei Zügen, in der Schifffahrt und im Flugverkehr wird die neue Technologie eine Rolle spielen. Im Personenverkehr eignen sich Wasserstoffantriebe vor allem für Taxis oder ÖPNV-Busse, die längere Strecken zurücklegen müssen und auf kürzere Ladezyklen angewiesen sind. Umsetzungen gibt es bereits in Städten wie Köln und Wuppertal, die 2020 Wasserstoffbusse in die Flotten der Verkehrsbetriebe aufgenommen haben. Berufspendler hingegen, die ihre Autos nur morgens und abends nutzen, mit längeren Pausen zum Laden über Nacht und während der Arbeitszeit, werden voraussichtlich eher auf batteriebetriebene Fahrzeuge umsteigen.

Wärme. Wasserstoff könnte auch im Wärmesektor zur Dekarbonisierung beitragen. Eine Einspeisung in das existierende Erdgasnetz bis zu einem Grenzwert von 2 % bis 10 % des Gasvolumens ist bereits heute möglich, abhängig von den spezifischen Einspeisebedingungen. Eine Beimischung von 10 % würde etwa 800.000 t Wasserstoff pro Jahr in Deutschland erforderlich machen, was einer Erzeugungskapazität von etwa 9 GW entspräche – bereits deutlich mehr als in den 2030 Ausbauzielen der Bundesregierung vorgesehen.

Der Stromsektor wird aufgrund zu hoher Kosten einer der letzten Bereiche sein, in dem Wasserstoff zur Anwendung kommt, etwa in Gaskraftwerken oder als längerfristiger Energiespeicher. Hier finden zunächst andere Dekarbonisierungshebel Anwendung, beispielsweise der weitere Ausbau von Erneuerbaren und die Flexibilisierung auf der Bedarfseite.

Eine Schlüsselrolle bei der Einführung von Wasserstoff wird die Infrastruktur spielen – nicht nur für die Erzeugung, sondern auch für Transport, Verteilung und Speicherung. Wichtiger Ausgangspunkt hierfür ist der Netzentwicklungsplan Gas. Darin skizzieren die Fernnetzbetreiber Pläne für ein 1.200 km Wasserstoffnetz bis 2030, für das größtenteils bereits existierende Erdgaspipelines mit einem Investitionsvolumen von 660 Mio. € umgerüstet werden sollen. Langfristig soll das Wasserstoffnetz auf 5.900 km ausgebaut werden. Die Rhein-Ruhr Region steht dabei wegen ihrer Netztopografie und Industrielandschaft als zentraler Knotenpunkt im Fokus. Allein schon die Größenordnung des Gasfernleitungsausbaus verdeutlicht, welche Herkulesaufgabe bei der Schaffung einer Wasserstoffinfrastruktur noch bevorsteht.

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