Höherer Strombedarf erfordert schnelleren EE-Ausbau …
Die Bundesregierung hat ambitionierte Pläne – mehr und schneller lautet die Devise. Das neu ausgegebene Ziel, den Ökostromanteil bis 2030 auf 80 % zu erhöhen, setzt die EE-Ausbauvorhaben doppelt unter Druck. Gilt es doch, die wachsende Stromnachfrage zu bedienen und zugleich den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung massiv zu steigern. Vier Fünftel Ökostrom bedeuten konkret: In bereits acht Jahren müssen rund 570 TWh vor allem aus Wind und Sonne gewonnen werden. Zum Vergleich: Die Bemühungen bis 2020 resultierten in 250 TWh Erzeugung aus Erneuerbaren. Die Produktion muss sich also mehr als verdoppeln.
Das ambitionierte Ökostromziel erfordert in erster Linie den Bau zusätzlicher Solar- und Windkraftanlagen – und zwar in deutlich höherer Zahl als bisher:
Solar: Aktuell sind Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von rund 59 GW installiert. 2020 war im Rahmen der EEG-Novelle noch eine Verdoppelung auf 100 GW anvisiert. Die neue Bundesregierung strebt nun eine Vervierfachung auf 200 GW bis 2030 an. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten ab jetzt pro Jahr über 15 GW Solarkapazität ausgebaut werden. In den vergangenen zehn Jahren waren es im Durchschnitt etwa 4 GW – kaum mehr als ein Viertel. Vor allem die Installation auf Hausdächern gilt es zu forcieren, denn sie bildet eine wichtige Säule im Solarausbau. Das Gesamtpotenzial für häusliche Solaranlagen in Deutschland wird auf ungefähr 240 GW geschätzt. Prinzipiell umsetzbar wäre das ambitionierte Solarausbauziel demnach schon – jedoch nur, wenn das Solarpotenzial der Privathäuser wesentlich stärker als bisher ausgeschöpft wird und zugleich auch bislang ungenutzte Gewerbe- und Freiflächen einbezogen werden.
Offshore-Windkraft: Derzeit sind vor Deutschlands Küsten Windanlagen mit rund 8 GW Kapazität im Betrieb. Bis 2030, so kündigte die alte Bundesregierung an, sollten es 20 GW werden. Auch hier nimmt sich die Ampelkoalition mehr vor: 30 GW lautet das neue Ziel. Um es zu realisieren, müsste sich der bisherige Zubau von 1 GW pro Jahr auf 2 GW mehr als verdoppeln. Geht man von einem etwa fünfjährigen Vorlauf pro Windpark aus, wird deutlich, wie knapp das Zeitfenster für den Ausbau bemessen ist. Damit der Offshore-Strom auch bei den Verbrauchern ankommt, sind zudem die Übertragungsnetze massiv auszubauen – hier blieb Deutschland in den letzten Jahren ebenfalls deutlich hinter den Zielen zurück.
Onshore-Windkraft: Aktuell betreibt Deutschland Windkraftanlagen an Land mit einer Kapazität von 56 GW. Für 2030 sind 100 GW vorgesehen. Dafür müsste die jährliche Ausbaurate auf 4 bis 5 GW verdoppelt werden. Hinzu kommt ein Ersatzbedarf für alte Windparks in Höhe von 1 bis 2 GW pro Jahr. Größte Hürde für den Neubau ist die Verfügbarkeit von Flächen. Momentan sind laut Bundeswirtschaftsministerium 0,8 % der Gesamtfläche Deutschlands zur Nutzung ausgewiesen. Tatsächlich nutzbar sind jedoch nur 0,5 % – hauptsächlich aufgrund von genehmigungsrechtlichen Hindernissen wie Mindestabstandsgeboten. Um das Ausbauziel der Bundesregierung zu erreichen, sollen die Länder in Summe 2 % der bundesweiten Fläche ausweisen. Pro km2 lassen sich Windanlagen mit einer Leistung von bis zu 30 MW installieren. Für das Ziel von 100 GW in 2030 wären demnach rund 3.500 km2 erforderlich – das entspricht der Landesfläche des Saarlands und Berlins zusammen.
… und den Bau flexibler Kraftwerke
Wachsende Strommengen aus erneuerbaren Energien zu integrieren, stellt neue Herausforderungen an das gesamte Energiesystem, denn die Erzeugung aus Solar- und Windanlagen ist volatil und nur bedingt steuerbar. Derzeit garantieren rund 100 GW konventionelle und Biomassekraftwerke, die bei Bedarf flexibel herauf- und heruntergefahren werden können, dass auch zu Spitzenlastzeiten ausreichend Strom zur Verfügung steht. Im Zuge von Atom- und Kohleausstieg könnten bis 2030 allerdings bis zu 52 GW Kraftwerkskapazität vom Netz gehen. Die neu angekündigten Erdgaskraftwerke verfügen dagegen lediglich über eine Kapazität von rund 2 GW. Das bedeutet: Bliebe die Spitzenlast beim aktuellen Wert von 82 GW, stünden dieser dann 50 GW disponible Leistung und 330 GW erneuerbare Kapazität gegenüber. Ein typischer Spitzenlastzeitpunkt wäre laut den deutschen Übertragungsnetzbetreibern ein kalter Februarabend, an dem kein Solarstrom ins Netz eingespeist würde. Falls gleichzeitig die Produktion aus Windenergie nur gering ausfallen sollte (1 bis 10 GWh), entstünde eine Kapazitätslücke von 22 bis 31 GW. Hierbei sind weitere Instrumente zur Flexibilisierung des Stromsystems (z.B. Lastmanagement) noch nicht berücksichtigt. Die künftige Kapazitätslücke könnte insbesondere durch die netzdienliche Steuerung von Elektroautos und Wärmepumpen weiter geschlossen werden.
Die notwendige Konsequenz: Neben Maßnahmen zur Nachfragesteuerung müssten alternative Stromlieferanten wie Großbatterieanlagen und Wasserstoffkraftwerke an die Stelle konventioneller Kraftwerke treten und deren Rolle bei der Sicherstellung der Versorgung übernehmen. Der Großteil der flexiblen Leistung aber wird auf absehbare Zeit noch von Gaskraftwerken erbracht werden müssen. Nach McKinsey-Analysen sind hier bis 2030 Kapazitäten von mindestens 13 GW zu errichten – bei 450 MW Leistung pro Gaskraftwerk also rund 30 neue Anlagen – sowie 10 GW Batteriespeicher. Die Analyse geht allerdings davon aus, dass zusätzlich Kraftwerke vor allem aus Frankreich, Dänemark, der Schweiz und Österreich die Versorgung in Deutschland stabilisieren. Doch auch in den Nachbarländern sinkt die installierte steuerbare Leistung von aktuell 215 GW auf 200 GW in 2030. Müsste Deutschland den Versorgungsengpass selbst überbrücken, wären zum Ende des Jahrzehnts sogar 33 GW neue Gaskraftwerke sowie 21 GW Batterien erforderlich. Das käme einer Verdopplung der heutigen Gaskraftwerkskapazität gleich und entspricht ungefähr 70 neuen Großkraftwerken.
Die Hürden für den Bau neuer Gaskraftwerke sind jedoch hoch. Wie schwierig sich solche Projekte in der Praxis gestalten, zeigen die Beispiele Haiming und Leipheim in Bayern, deren Planungen wegen unsicherer Ertragsaussichten und mangelnder regulatorischer Klarheit aufgegeben wurden. Vor allem drei Fragen gilt es beim Neubau von Gaskraftwerken zu klären: Mit welchem Energieträger sollen sie betrieben werden? Wer finanziert sie? Und wo sollen sie stehen?
Energieträger: Nach der aktuell diskutierten EU-Taxonomie ist die Anerkennung neuer Gaskraftwerke an strikte Kriterien geknüpft. Um als nachhaltig zu gelten, sollen sie ab 2026 zu 30 % mit Wasserstoff und nur noch zu maximal 70 % (45 % ab 2030) mit fossilem Erdgas betrieben werden. Das heißt: Würden die oben genannten 13 GW neuen Gaskraftwerke rund 1.000 Stunden im Jahr Strom produzieren, müssten hierfür 6 bis 8 TWh Wasserstoff in 2026 bereitgestellt werden – das entspricht in etwa einer Viertelmillion Tonnen. Fraglich bleibt, ob in vier Jahren bereits so viel grüner Wasserstoff verfügbar sein wird, zumal andere Industrien wie die Stahlbranche den begehrten Stoff ebenfalls dringend zur Dekarbonisierung ihrer Produktion benötigen.
Finanzierung: Viele Stadtwerke lassen inzwischen die Hände von Investitionen in fossile Kraftwerke – zu lebendig sind noch die Erinnerungen an die Zeiten, als Anlagen wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit stillstanden und tiefrote Zahlen schrieben: Bis 2010 erreichten die Gaskraftwerke in Deutschland noch Betriebszeiten von mehr als 3.000 Stunden pro Jahr. In der Folgezeit aber liefen viele Anlagen aufgrund des gestiegenen Anteils von Erneuerbaren und günstiger Braunkohle nur noch mit sehr geringen Auslastungen oder wurden ganz stillgelegt. Für potenzielle Geldgeber kein attraktives Investitionsobjekt – andere Technologien wären mit deutlich weniger Unsicherheiten belastet. Das zeigt sich auch in den Finanzierungskosten, die für fossile Unternehmungen leicht 30 % höher liegen können als für Projekte mit guter Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewertung.
Standortfrage: Die bestehende Stromnetzanbindung würde es nahelegen, alte Kohlekraftwerke durch neue Gaskraftwerke zu ersetzen. Allerdings kommen dann in Deutschland weniger als 50 Standorte in Betracht. Und selbst diese eignen sich nicht immer, weil etwa der Anschluss ans Gasnetz fehlt. Auch geografisch gibt es Einschränkungen: In Bayern, wo das Versorgungsproblem historisch mit am größten ist, existieren lediglich zwei Standorte von Kohlegroßkraftwerken – Zolling und Unterföhrung in Südbayern.
Selbst wenn die Standortsuche gelingt: Die alten Kraftwerke müssten erst stillgelegt und zurückgebaut werden, was Jahre in Anspruch nehmen kann. Hinzu kommen weitere vier bis sieben Jahre für Genehmigung, Planung und Bau der neuen Anlagen. Es könnte also noch weit über das Jahr 2030 hinaus dauern, bis Gaskraftwerke in größerer Zahl in Betrieb gehen.