Klimapolitische Begründung ordnungspolitisch fragwürdig

Im Einsetzungsbeschluss der Kohlekommission bekennt sich die Bundesregierung zu den national, europäisch und im Rahmen des globalen Klimaabkommens von Paris vereinbarten Klimaschutzzielen bis zum Jahr 2050 sowie zum hierfür wegweisenden Nationalen Klimaschutzplan der Bundesregierung aus dem Jahr 2016, der sektorale Emissions-Minderungsziele bis zum Jahr 2030 festgelegt hat. Anzumerken ist, dass die genannten sektoralen Ziele von der Bundesregierung selbst gesetzte, politische Zielsetzungen sind, die bislang keine Rechtsverbindlichkeit besitzen, sondern eben nur Teilzeile eines umfassenderen Plans sind. Weder das Abkommen von Paris, das keine Aussagen zu konkreten nationalen oder gar sektoralen Minderungen trifft, noch die Verpflichtungen im EU-Rahmen, bei denen es für die deutsche Kohleverstromung durch Integration in das EU-ETS längst einen (supranationalen) Automatismus der Zielerfüllung gibt, zwingen zu derartigen Vorgaben [4]. Auch steht ein staatlicher „Klimaschutzplan“ mit der zentralen Vorgabe von mengenmäßigen Lenkungszielen für die gesamte Volkswirtschaft an sich in scharfem Kontrast zur marktwirtschaftlichen Ordnung. „Externe Effekte“ wie CO2-Emissionen begründen ökonomisch gesehen noch lange kein Zentralplanverfahren, sondern die Implementierung von adäquateren internalisierenden Markt-Preis-Mechanismen (wie Emissionshandelssystemen oder Umweltsteuern/-subventionen).

Unabhängig davon lässt sich ein Ausstieg speziell aus der Kohlverstromung auch nur schwer mit Grundsätzen des Nationalen Klimaschutzplans selbst begründen, der explizit die „Kreativität der Marktwirtschaft“ und die „Kräfte des Wettbewerbs“ betont, dafür u. a. auf „Technologieneutralität“ und „Technologieoffenheit“ setzt und die „Klimaschutzziele gleichwertig mit den Zielen der ökonomischen und sozialen Entwicklung“ betrachtet [5]. Die Sektorziele für die Energiewirtschaft reihen sich zudem ein in das Konzert der Minderungsziele für alle anderen Sektoren (Gebäude, Verkehr usw.), auf die über 60 % der nationalen Treibhausgasemissionen entfallen und die gleichzeitig erfüllt werden müssten. Diese werden jedoch nicht mit Ausstiegsplänen für die dort eingesetzten fossilen Energieträger (vorwiegend Öl und Gas) verknüpft. Entgegen ihrer Ankündigung, dies „zeitlich parallel“ zu tun, hat die Bundesregierung bislang (Stand August) auch nicht vergleichbare Kommissionen für die Sektoren Bau und Verkehr eingesetzt, in denen anders als im Stromsektor die Emissionstrends z. T. noch nicht einmal rückläufig sind.

Das Vorhaben, die Kohleverstromung aus klimapolitischen Motiven zu beenden, stellt zugleich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und provoziert den Vergleich mit der „Nichtkohle“. Nach IEA-Angaben liegt der globale Anteil Deutschlands an den weltweiten fossilen CO2-Emissionen bei 2,2 %, der aus Kohle in Deutschland unter 1 % [6]. Betrachtet man die nationale Entwicklung der CO2-Emissionen nach Energieträgern von 1990 bis 2017 fällt ins Auge, dass die Braunkohle den mit Abstand größten Rückgang zu verzeichnen und die Steinkohle heute den kleinsten Anteil hat. Der Kohleanteil insgesamt liegt heute bei lediglich 39%, der Anteil der CO2-Emissionen von Erdöl und Erdgas zusammen bei 58 %. Während die CO2-Emissionen aus Kohle seit 1990 insgesamt um 47 % zurückgegangen sind, hat es bei den Emissionen der Kohlenwasserstoffe zusammengenommen überhaupt keinen Rückgang gegeben – die Minderung des CO2-Ausstoßes von Öl wurde durch Zuwächse von Gas voll kompensiert [7]. Die bei genauerer Analyse also ordnungspolitisch fragwürdige klimapolitische Begründung einer staatlich verfügten vorzeitigen Beendigung der Kohleverstromung impliziert schließlich eine umso stärkere staatliche Verantwortung für die dadurch verursachten Folgen. Das gilt zum einen für die Sozialverträglichkeit eines forcierten Personalabbaus in der Kohleindustrie sowie die Kompensation der wirtschaftlichen Schäden der betreffenden Unternehmen, deren Eigentumsrechte verletzt werden [8]. Zum anderen gilt es für die energie- und regionalökonomischen Konsequenzen, die hier nachfolgend in den Fokus gerückt werden.

Immense energiewirtschaftliche Herausforderungen 

Neben den zuvor skizzierten klimapolitischen Grundsatzfragen stellen sich immense energie-wirtschaftliche Herausforderungen einer Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland. Kohle war jahrzehntelang und bleibt vorerst eine tragende Säule der Stromerzeugung hierzulande wie auch weltweit. Denn sie ist stets Garant für eine sehr zuverlässige und preisgünstige Stromversorgung gewesen. 2017 war die Kohle (Braun- und Steinkohle zusammen) mit einem Anteil von 37 % noch immer die Nr. 1 im Energiemix der Stromerzeugung. 

Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die darlegen oder nachzuweisen versuchen, dass eine gesicherte Stromversorgung auch ohne Kohle möglich ist. Diese Studien sollen hier nicht erörtert werden. Fraglich ist nicht die technische Möglichkeit, sondern die energieökonomische Tragfähigkeit. Ersetzt werden müssten dann nicht nur der Beitrag der Kohlekraftwerke zur laufenden Stromproduktion, sondern auch ihre Rolle als Ausgleichs- und Reservekapazitäten bei Lastschwankungen oder besonderen Witterungslagen (Dunkelflauten). Wenn bestehende Kohlekapazitäten wegfallen, werden sehr viel größere regenerative Kapazitäten gebraucht, ebenso ein entsprechend umfassender Netzausbau und großtechnische Speicherkapazitäten oder aber viele zusätzliche Gaskraftwerke oder beträchtliche Stromimporte oder eine Kombination aus diesen Alternativen.

Keine dieser Alternativen ist heute sicher verfügbar oder absehbar. Selbst wenn sie realisiert werden, garantieren sie nicht das gleiche Niveau an Versorgungssicherheit und werfen u. U. zusätzliche Fragen in punkto Umweltverträglichkeit auf, vor allem wegen des enormen Flächenbedarfs. In jedem Fall erfordern sie erhebliche Mehrkosten, denn sonst würden sie die Kohle heute schon substituieren. Das würde jedoch noch höhere Strompreise bedeuten in einer Zeit, in der die deutschen Stromverbraucher schon die höchsten Strompreise in Europa zu tragen haben – eine besondere Bürde für die energieintensive Industrie in Deutschland [9]. Und wie ist auszuschließen, dass zu höheren Strompreisen künftig auch noch höhere Öl- und Gaspreise hinzukommen?

Die Bundesregierung hat die Kohlekommission vor eine mehr als schwierige bis unlösbare Aufgabe gestellt. Denn sie soll einen Kohle-Ausstiegsplan aufstellen, ohne die Vertretbarkeit, Rahmenbedingungen und Finanzierungsmöglichkeiten der dann zwangsläufig erforderlichen Alternativen vorher politisch klargestellt zu haben. Ähnliches gilt für die regionalökonomischen Konsequenzen, die hier mit den energiewirtschaftlichen Fragen sehr eng zusammenhängen.

2 / 4

Ähnliche Beiträge