Kein klares und belastbares regionalpolitisches Konzept

Arbeitslosenquoten deutscher Kohlereviere im Vergleich

Abb. Arbeitslosenquoten deutscher Kohlereviere im Vergleich (Juni 2018)

In der Einleitung des Einsetzungsbeschlusses heißt es sozusagen als Richtschnur: „Die Politik der Bundesregierung dient der Schaffung von Vollbeschäftigung und gleichwertigen Lebensverhältnissen in ganz Deutschland. Um dies zu erreichen, ist es erforderlich, den in vielen Bereichen stattfindenden Strukturwandel aktiv und umfassend zu begleiten, um so Wachstum und Beschäftigung insbesondere in den betroffenen Regionen zu stärken …. Mit der Umsetzung des Klimaschutzplans wird sich der Strukturwandel in vielen Regionen und Wirtschaftsbereichen beschleunigen, insbesondere im Sektor der Energieerzeugung. Die damit einhergehenden Veränderungen dürfen nicht einseitig zu Lasten der kohlestromerzeugenden Regionen gehen, müssen vielmehr Chancen für eine nachhaltige wirtschaftliche Dynamik mit qualitativ hochwertiger Beschäftigung eröffnen. Diese wollen wir aktiv nutzen und so Strukturbrüche sowie Einschränkungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit vermeiden.“

Oberflächlich klingt das recht positiv und konstruktiv. Doch die Bundesregierung abstrahiert dabei von den konkreten Gegebenheiten der Kohleregionen und dem Umstand, dass sie selbst mit dem Kohle-Ausstiegsziel für diese den Strukturbruch einleitet. Von Vollbeschäftigung und gleichwertigen Lebensverhältnissen sind gerade die Kohleregionen schon heute mehr oder weniger weit entfernt. Im Juni 2018 lag die Arbeitslosenquote in allen deutschen Kohlerevieren über dem Durchschnitt des Bundes (siehe Abb.). Die einzige Ausnahme ist das Steinkohlenrevier in Ibbenbüren, dessen seit über 150 Jahren kontinuierlicher Bergwerksbetrieb gerade endet.

Klar ist, dass der geplante Ausstieg aus der Kohleverstromung den Kohleregionen je nach heutigem Gewicht des Kohlesektors und wirtschaftlichem Diversifizierungsgrad regional-ökonomisch einen schweren Schlag versetzt, der cet. par. restriktiv wirken wird. Denn diesen Regionen werden ihre bisherige „Exportbasis“, der Kohlestrom, und ihr natürlicher Standortvorteil, Zugang zu Kohleressourcen, genommen. Dort gewachsene Industriecluster mit verwandten und unterstützenden Branchen rund um die Kohle werden praktisch entkernt. Jeglicher brancheninterner Wettbewerb, in dem effizientere Konkurrenten niedergehende Unternehmen ersetzen oder diese sich durch Innovationen neue Marktchancen verschaffen, verpufft, da die ganze Branche ihren Markt verliert. Der aus der Wirtschaftslehre bekannte „Portersche Diamant“ der Standortentwicklung wird praktisch an allen vier Ecken eingeschliffen. Nach Porter können dann nur noch zwei Faktoren helfen, der „Zufall“ oder der „Staat“ [10]. Zufall heißt, die Regionen haben großes Glück und bestehende oder neu angesiedelte Unternehmen aus anderen Branchen entwickeln sich durch günstige Umstände zu neuen Wachstums- und Beschäftigungsmotoren. „Staat“ heißt, dieser hilft mit seinen regionalpolitischen Instrumenten dem Glück nach.

Staatliche Unterstützung kann z. T. auch in Hilfe zur Selbsthilfe bestehen, indem vor Ort genügend Zeit zur Entwicklung anderer vorhandener Potenziale der Regionen gegeben wird. Etwa, damit ansässige Kohleunternehmen ihr energiewirtschaftliches Know-How auf neue Felder ausrichten oder z.B. Flächen und Infrastrukturen anderweitig vermarkten können. Ein zu schneller Kohleausstieg würde allerdings solche Bemühungen untergraben. Zu berücksichtigen sind die zwangsläufigen Wertschöpfungs- und Beschäftigungsverluste sowie eventuelle Belastungen durch umweltbezogene Bergbaufolgen, welche die finanziellen Spielräume der Akteure und auch der lokalen öffentlichen Haushalte dabei einschränken. Die Ansiedlung neuer Industrien oder von Start-ups in den Kohleregionen steht zudem in Konkurrenz zu allen anderen potenziellen Standorten. Insofern verwundert es nicht, dass Bundesarbeitsminister Heil den Kohleausstieg als „gewaltige Herausforderung“ für die regionale Wirtschaftsförderung einstuft und einen „nationalen Kraftakt“ für nötig hält. Er schlägt deswegen einen 6-Punkte-Plan vor:

1. Gezielte, zügige Verbesserung der regionalen Infrastrukturen (evtl. durch SonderBundesverkehrswegeplan);

2. Stärkere Verbindung der Wirtschaftsförderung mit den regionalen Qualifizierungspotenzialen und FuE-Einrichtungen;

3. Besondere Förderbedingungen für Kohleregionen, dies in Abstimmung mit der EU;

4. gezielte Ansiedlung von Bundes- und Landeseinrichtungen vor allem in den ostdeutschen Braunkohlerevieren;

5. Schaffung agilerer, leistungsfähigerer regionaler Agenturen zur Wirtschaftsförderung;

6. Gespräche von Bund und Ländern mit der Industrie über Standortentscheidungen in Zukunfts-branchen zugunsten der Kohleregionen [11].

Alle angeführten Punkte können hilfreiche Voraussetzungen für eine gedeihlichere Wirtschaftsentwicklung in den Kohleregionen sein, aber sie lassen sich nicht einfach politisch verfügen. Sie bieten außerdem keine Gewähr für einen regionalen Wiederaufschwung. Neben gesamtwirtschaftlich nachhaltig günstigen Bedingungen bedarf es dazu der Etablierung expansiver Aktivitäten von Unternehmen mit hoher Produktivität und Beschäftigungspotenzial. Leider kennen Theorie und Praxis der Regionalökonomie dafür keine Patentrezepte. Die OECD etwa warnt in einer neuen globalen Vergleichsstudie über regionale ökonomische Entwicklungen vor diversen regionalpolitischen Schnellschüssen [12].

Hinzuweisen ist ferner darauf, dass nicht nur die ostdeutschen Braunkohlereviere, sondern auch die westdeutschen Steinkohleregionen Strukturförderung brauchen. So benötigt das Ruhrgebiet für neue Beschäftigungsimpulse u. a. die Überwindung von Infrastruktureng-pässen, neue Industrieflächen und verstärkte Firmengründungen. Hier, wo ein Strukturwandel weg von der Kohle schon seit 60 Jahren stattgefunden hat, der 2018 mit der Stilllegung des letzten Bergwerks nun seinen Abschluss findet, zeigt sich, wie langwierig der Umbau von Kohleregionen sein kann. Dabei weist das Ruhrgebiet als urbaner Ballungsraum sogar Agglomerationsvorteile auf, die manche der Braunkohleregionen mit eher Hinterlandcharakter nicht haben.

Dadurch war hier ein enormer Strukturwandel möglich, hin zur Region mit der heute größten regionalen Hochschuldichte oder zum führenden Standort im Gesundheitssektor. Auch die Industrie sowie die besondere kohlegeprägte Industriekultur (als Tourismusmagnet) spielen im wirtschaftlichen Standortprofil des Ruhrgebiets weiter eine wichtige Rolle. Dennoch ist die Arbeitslosenquote doppelt so hoch wie im Bundesschnitt, soziale Problemlagen und kommunale Finanznöte sind vielerorts groß [13]. Das Ruhrgebiet musste im Zuge des Niedergangs des einst prägenden Montansektors immer wieder neue strukturpolitische Rückschläge auch in anderen, z.T. bereits als Folge-Industrien angesiedelten Branchen erleiden. Die Energiewende stellt das Ruhrgebiet als Energiezentrum unter einen zusätzlichen Stresstest. Strukturwandel ist ein evolutionärer Prozess, in dem neue private Aktivitäten und auch strukturpolitische Pläne des Staates auch immer wieder scheitern.

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