Herausforderungen der Offshore-Wind-Branche
Trotz der Aussicht auf einen intensiven Ausbau ist die globale Offshore-Windindustrie infolge der COVID-19-Pandemie, der stark gestiegenen Inflation, des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, Lieferkettenschwierigkeiten sowie steigenden Rohstoff- und Finanzierungskosten angeschlagen. Allein für das Jahr 2023 verweist die Finanzberatung Green Giraffe Advisory auf Offshore-Wind-CAPEX-Steigerungen zwischen 25 und 40 % [5]. Die Branche stand bereits zuvor unter hohem Kostendruck, weil sich Offshore-Wind-Ausschreibungen jahrelang auf niedrige oder gar negative Gebote gestützt hatten und Margen bei Herstellern und in der Lieferkette dadurch geschrumpft waren. Zeitweise fehlende Ausbauperspektiven durch politisch schwankende Unterstützung führten in Deutschland bereits zu einem Verlust von Wertschöpfungstiefe. Höhere Zinsen und weltweite Kostensteigerungen in Offshore-Wind-Projekten trafen die Branche entsprechend sensibel.
Für Kostensteigerungen in Offshore-Wind-Projekten ist maßgeblich die Turbine verantwortlich. Deren Kosten sind wiederum besonders vom Preis für Stahl abhängig, der zusammen mit Eisen rund 90 % des Gewichts einer Turbine ausmacht. Der Stahlpreis schnellte im Herbst 2021 von einem jahrelang recht konstanten Level von 600-800 €/t in die Höhe und erreichte im Frühjahr 2021 ein Niveau von über 1.800 €/t. Ein Abwärtstrend war erst ab Anfang 2023 wieder zu erkennen [6]. Auch andere Rohmaterialien, wie Kupfer, Nickel und Seltene Erden, verzeichneten starke Preissteigerungen. Die Kosten von Turbinen in Offshore-Wind-Projekten stiegen 2021 und 2022 um 38 % [7].
Für Entwickler und Hersteller bergen solche Kostensteigerungen gleichermaßen Risiken. Das liegt insbesondere an den langen Vorlaufzeiten von Offshore-Wind-Projekten (Abb. 3). Zwischen dem Zuschlag in einer Ausschreibung, durch den ein Entwickler ein Offshore-Wind-Projekt gewinnt, der finalen Investitionsentscheidung (FID) eines Projekts und der Lieferung der Komponenten liegen jeweils einige Jahre. Werden Projekte auf der Grundlage veralteter Annahmen entwickelt oder Verträge auf historischen Preisen basiert, können ganze Business Cases in Krisenzeiten obsolet werden. In der Vergangenheit war es in der Windindustrie etwa üblich, Verträge ohne Preisgleitklauseln abzuschließen, sodass die Hersteller in dieser Zeit das Risiko möglicher Preisschwankungen allein trugen. In den Jahren der Pandemie und seit Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs offenbarte sich die Tragweite dieser Entscheidung. Die Praxis wurde von Herstellern infolgedessen beendet. Heute setzen sie auf indexierte Preise, um sich abzusichern.
Neben dem Preisrisiko kristallisierte sich in der Offshore-Wind-Branche in den letzten Jahren zunehmend auch ein Mengenrisiko heraus. Ihr eigenes Wachstum stellt die Industrie vor Herausforderungen bei Produktions-, Schiffs- und Hafenkapazitäten. Gegenwärtig kann die europäische Offshore-Windindustrie die für den geplanten Ausbau und die Erfüllung aller nationalen Ausbauziele notwendigen Komponenten nicht vollständig liefern. Treten Ausbautempo und -volumen wie prognostiziert ein, ist mit Engpässen zu rechnen (Abb. 4).
Von diesen könnte ein Akteur maßgeblich profitieren: China. Die Volksrepublik hat für die globale Energiewende eine herausragende Bedeutung und ist nicht nur der mit Abstand größte Markt für Wind- und Solartechnik, sondern auch einer der wichtigsten Lieferanten für Vorprodukte. Insgesamt sind heute bereits 64 % der globalen Windenergie-Lieferkette in China verortet [8]. Sollten europäische Komponentenhersteller nicht liefern können, ist davon auszugehen, dass chinesische Hersteller diese Lücke zu füllen versuchen. Das Risiko solcher Importabhängigkeiten von einem einzigen Land wurde durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die darauffolgende Gaskrise zuletzt stark verdeutlicht. Im Fall der Offshore-Windenergie käme der Faktor der kritischen Infrastruktur verstärkend hinzu – hier werden insbesondere Sorgen zur Cyber- und Datensicherheit sowie zur Manipulierbarkeit von außer-europäischen Turbinen diskutiert [9].
Von Engpässen betroffen sind auch Häfen und Schiffe. In diesem Zusammenhang ist nicht nur problematisch, dass die Anzahl der umzusetzenden Projekte steigt, sondern auch die Größe der Komponenten: Weil Offshore-Turbinen und damit auch andere Komponenten immer größer werden, steigt der Bedarf an dafür geeigneten Hafenflächen und schwerlastfähigen Kaikanten. In Deutschland wurde der Hafenausbau in den letzten Jahren vernachlässigt, während der Fokus auf anderen Geschäftsfeldern wie etwa verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) lag. Deutsche Offshore-Wind-Projekte werden primär über ausländische Häfen in den Niederlanden und Dänemark versorgt, die industriepolitisch unterstützt und in welche entsprechend investiert wurde. Allerdings reichen die ausländischen Kapazitäten ab voraussichtlich 2027 nicht mehr aus, um neben dem dortigen nationalen Offshore-Ausbau auch den deutschen mit zu bedienen.
Die Branche muss trotz der aktuell wirtschaftlich schwierigen Lage die Weichen für die Zukunft stellen und Kapazitäten auf nahezu allen Ebenen der Wertschöpfungskette auf- und ausbauen (Abb. 3). Um eine unabhängige Energieversorgung zu sichern und die politisch vorgegebenen Ausbauziele zu erreichen, wäre in Europa zudem eine industriepolitische Strategie vorteilhaft, die den Offshore-Wind-Ausbau flankiert und Rahmenbedingungen für Planungssicherheit, Kapazitätsausbau und auch wirtschaftliche Nachhaltigkeit setzt. Internationale Abstimmungen und Vereinheitlichungen, z. B. beim Netzausbau oder bei Zertifizierungen, die Förderung von Investitionen in Produktionskapazitäten und Infrastruktur und die Entwicklung von Ausschreibungen weg von einem reinen Preisfokus hin zu qualitativen Kriterien sind mögliche Ansatzpunkte.