Eine volkswirtschaftlich sinnvolle Maßnahme lohnt sich für den Entscheider betriebswirtschaftlich nicht zwangsläufig
Abb. 2 Der Nettostromverbrauch steigt im 95 %-Pfad spürbar an (Bildquelle: BDI)
Eine solche volkswirtschaftlich kosteneffiziente Erreichung der Klimapfade bedeutet allerdings nicht, dass sich die technischen Maßnahmen aus betriebswirtschaftlicher Sicht für den individuellen Entscheider rechnen. 80 % der technischen Maßnahmen rechnen sich nicht und müssen daher angereizt werden. Aufgabe der Politik ist es folglich, die Lücke zur Rentabilität zu schließen, damit die notwendigen Investitionen durch Unternehmen und Privatpersonen getätigt werden.
Erfolgreiche Klimaschutzbemühungen wären mit einer umfangreichen Erneuerung aller Sektoren der deutschen Volkswirtschaft verbunden und könnten deutschen Exporteuren weitere Chancen in wachsenden „Klimaschutzmärkten“ eröffnen. Studien erwarten, dass das Weltmarkt-volumen der wichtigsten Klimatechnologien bis 2030 auf 1 bis 2 Bio. € pro Jahr wachsen wird. Deutsche Unternehmen können für diesen globalen Wachstumsmarkt ihre Technologieposition stärken.
Ohne Vollelektrifizierung kann der Strombedarf in den Griff bekommen werden
Im Vergleich zu anderen Studien zeigt die BDI-Studie, dass infolge der verstärkten Sektorkopplung die Elektrifizierung nicht zu einer dramatischen Erhöhung der Stromnachfrage insgesamt führen muss. Im optimierten 80 %-Pfad wird der wachsende Strombedarf neuer Nachfrager wie von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen weitgehend ausbalanciert durch die Hebung vorhandener Effizienzpotentiale in allen anderen Bereichen. Hinzu kommt eine stärkere Verlagerung der national verfügbaren Biomasse in die industrielle Wärmeerzeugung (Prozesse < 500 Grad Celsius). Biomasse kann in der industriellen Wärmeerzeugung wesentlich (kosten-)effizienter eingesetzt werden, als beispielsweise Stromheizer, Induktionsöfen oder Power-to-Gas. Im 95 %-Pfad kommt es hingegen zu einer deutlichen Steigerung der Stromerzeugung (715 TWh p.a.) und Stromnachfrage (626 TWh p.a.). Die Effizienzpotentiale sind bereits im 80 %-Pfad weitgehend ausgeschöpft. Die Kompensation der zusätzlichen Stromnachfrage neuer Verbraucher kann folglich nur noch in geringem Maße durch weitere Effizienzsteigerungen abgefedert werden. Der zusätzliche Bedarf an 7 Mio. Elektroautos, die kostenintensive PtX-Herstellung sowie der Einsatz von CCS steigern den Strombedarf um rund 100 TWh pro Jahr (Abb. 2).
Bei der Betrachtung des Stromverbrauches fällt auf, dass traditionelle Stromverbraucher Neuen weichen [6]. Der Zuwachs bei den notwendigen 14-16 Mio. Wärmepumpen in 2050 entspricht mit 51- 54 TWh p.a. gut 10 % unseres heutigen Strombedarfs, im 80 % Szenario stehen Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Fernwärme für mehr als ein Viertel des Stromverbrauchs.
Beim Ausbau der erneuerbaren Energien gelangt Deutschland an seine Kapazitätsgrenzen
Zur Sicherstellung der Stromversorgung wird die installierte Leistung erneuerbarer Energien bis 2050 verdreifacht werden müssen [7]. Im 80 % Szenario läuft die Stromproduktion aus Kohlekraftwerken bis Ende der 2040er Jahre aus [8]. Der BDI geht davon aus, dass diese durch die beschlossene Reform des EU-Emissionshandels unterstützt werden, sodass weitergehende Maßnahmen im Stromsektor nicht notwendig sind. Zusammen mit dem Auslaufen der Stromerzeugung durch Kernenergie entsteht in den 2020ern eine Kapazitätslücke gesicherter Leistung. Diese wird durch den Zubau von Gaskraftwerken geschlossen werden müssen.
Die Kosten des gesamten Stromsystems steigen im 80 %-Szenario von heute 70 Mrd. € auf 86 Mrd. € in 2030 und stabilisieren sich bis 2050 bei 82 Mrd. €. Während zu Beginn vor allem die steigenden Kosten des Zubaus erneuerbarer Energien dafür ursächlich sind, steigen über den gesamten Zeitraum besonders die Netzkosten deutlich und machen 2050 rund 40 % der Strom-systemkosten (heute 29 %) aus.
Damit die erheblichen Investitionen in Klimaschutztechnologien getätigt werden, ist die Politik gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen und langfristige Planungssicherheit zu gewährleisten. Denn jede über den Referenzpfad (61 %) hinausgehende CO2-Minderung ist für den jeweiligen Entscheider – ob Hausbesitzer oder Unternehmer – betriebswirtschaftlich nicht ausreichend attraktiv und wird daher nicht von allein realisiert werden. Entsprechende Weichenstellungen sind erforderlich, um die volkswirtschaftlichen Mehrkosten unter Kontrolle zu bekommen und die Akzeptanz der deutschen Klimapolitik nicht zu gefährden.
Klimapfade sind kein Selbstläufer
Eine volkswirtschaftlich kosteneffiziente Gestaltung der Klimapfade setzt die richtigen politischen Entscheidungen zur richtigen Zeit voraus. Im Verkehrssektor ist das Technologierennen in vielen Segmenten noch offen, die Kosten der konkurrierenden jungen Technologien liegen nah beieinander. Neben der Elektromobilität sind Hybride oder Wasserstofffahrzeuge mögliche Alternativen [9].
Der erste Schritt zuerst: Die energetische Gebäudesanierung voranbringen
Anders sieht es im Gebäudebereich aus. Dort spielt die energetische Gebäudesanierung eine zentrale Rolle. Nicht nur in der Studie wird eine fokussierte Förderung empfohlen, auch über die politischen Parteien hinweg ist man sich der Notwendigkeit seit Jahren bewusst. Im Koalitionsvertrag ist davon jedoch nicht viel übriggeblieben. Der Gebäudesektor ist zwei zentralen Restriktionen unterworfen. Zum einen handelt es sich bei Gebäudeinvestitionen um langlebige Investitionen. Im Gegensatz zum Kauf eines Autos findet eine energetische Gebäudesanierung deutlich seltener statt. Zum zweiten ist der Emissionsreduktionspfad im Gebäudesektor linear. Er wird vor allem durch Handwerkerkapazitäten determiniert. Versäumnisse heute können in späteren Jahren kaum wieder aufgeholt werden. Daher besteht hier sofortiger Handlungsbedarf, um die Sanierungsquote um mindestens 50 % im Vergleich zu 2015 zu steigern. Andernfalls kann die Lücke zu den politischen Zielen nicht geschlossen werden.
Bei den aufgeführten Investitionen handelt es sich um volkswirtschaftliche Mehrinvestitionen. Einmal getätigt können diese auch zu Einsparungen führen, sodass die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Mehrkosten unterhalb der Mehrinvestitionen liegen. Diese Mehrkosten hängen in hohem Maße von den Annahmen zu Brennstoffpreisen ab. Bleibt der Ölpreis auf dem Niveau von 2015 (ca. 50$/bbl) bestehen, führt das zu einem Anstieg der volkswirtschaftlichen Mehrkosten auf 820 Mrd. € im 80%-Pfad (470 Mrd. € bei 115$/bbl) bzw. auf 1.420 Mrd. € im 95%-Pfad (960 Mrd. € bei 115$/bbl). Globaler Klimaschutz wirkt sich im Gegensatz zu nationalen Alleingängen immer mehrkostensenkend aus, auch bei niedrigen Brennstoffpreisen. In einer Simulation der gesamtwirtschaftlichen Folgeeffekte (z.B. Multiplikatoreffekte zusätzlicher Investitionstätigkeit) konnte schließlich ermittelt werden, dass ein 80 % Szenario unter den beschriebenen Annahmen volkswirtschaftlich sogar ohne Wachstumseinbußen beim Bruttoinlandsprodukt („schwarze Null“) gestaltbar ist.
Das Gebot der Stunde lautet: Mind The Gap!
Eine zentrale Botschaft der Studie ist daher, international Klimapolitik zu fördern. Deutschland kann mit seinen internationalen Partnern für eine intensivere Vernetzung der nationalen und regionalen Klimaschutzanstrengungen werben. Insbesondere im globalen Verbund, zumindest aber auf G20-Ebene bietet Klimapolitik auch wirtschaftliche Chancen. Zugleich muss nationaler Klimaschutz ambitioniert, aber technisch und ökonomisch machbar sein. Beschränkungen durch den Ausschluss einzelner Technologien oder enge Detailziele für einzelne Sektoren erschweren Klimaschutz und machen ihn nur teurer. Es gilt, einen klugen Rahmen politischer Instrumente zu verabreden, der klimapolitisch sinnvolle Investitionen auch betriebswirtschaftlich attraktiv macht, dabei technologieoffen vorgeht und Unterschiede in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit adressiert. Zur Ehrlichkeit gehört, dass dabei auch eine Lücke zwischen politischen Zielen und dafür notwendigen Instrumenten geschlossen werden muss. Mind the Gap!