Zusammenspiel der relevanten Player vor Ort

Dr. Dieter Steinkamp, Vorstandsvorsitzender, RheinEnergie AG, Köln

Dr. Dieter Steinkamp, Vorstandsvorsitzender, RheinEnergie AG, Köln (Quelle: RheinEnergie AG)

Marion Sett, Geschäftsführerin, Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH, Köln

Marion Sett, Geschäftsführerin, Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH, Köln (Quelle: RheinEnergie AG)

Sektorenkopplung I: Energie- und Gebäudesektor

„et“: Die Ziele und großen Anstrengungen in Ihren Unternehmen sind in der Diskussion deutlich geworden. Gibt es schon gemeinsame Projekte, die über die Sektorengrenzen hinauszugehen?

Sett: Die Stegerwaldsiedlung in Köln-Mülheim mit insgesamt 1.500 Wohnungen war im Rahmen des EU-Projektes Grow Smarter für uns ein typisches Reallabor, in dem wir 600 Wohnungen und 33.000 m² Wohnfläche nachhaltig entwickelt haben.  In Kooperation mit der RheinEnergie, aber auch mit anderen Partnern haben wir die Bereiche Energie und Mobilität intelligent miteinander vernetzt – mit großem Erfolg. Sie ist als größte Klimaschutzsiedlung in NRW – und zwar als Bestandssiedlung – prämiert worden. Das Projekt hat also eine hohe Strahlkraft.

Wir als Eigentümer haben die energetischen Modernisierungen durchgeführt, Gebäudehülle, Dächer und Fenster etc. ertüchtigt. Dabei wurden in Kooperation mit der RheinEnergie die Dächer mit 6.000 m2 Photovoltaik ausgestattet. 41 Luft/Wasserwärmepumpen wurden eingerichtet sowie 16 Batteriespeicher installiert. Das Besondere daran war, dass ein intelligentes Siedlungsmanagement über eine eigens entwickelte Software geschaffen wurde.

Steinkamp: Wir als Partner haben uns dabei nicht nur das Energieangebot, sondern auch die Nachfrage auf Wohnungsebene angeschaut. Die individuelle Verbrauchssituation ist über Sensorik vernetzt worden mit der Erzeugung und daraus ist dann ein komplettes Energiemanagementsystem geworden. Mit dazu gehören auch die Prognosen für die Situation in den nächsten 48 Stunden: wie viel Energie können wir selbst produzieren, wie viel müssen wir kontrahieren? Über Künstliche Intelligenz ist daraus ein selbstlernendes System entstanden, das alle Parameter, Wetter, individuellen Stromverbrauch, Heiz- und Duschverhalten etc. mit der aktuellen Erzeugungssituation zusammenbringt. Je länger das System läuft, desto mehr „lernt“ es über die Nutzer, und desto genauer kann es den Energiebedarf steuern.

Sett: Wir konnten dann feststellen, dass die Siedlung tatsächlich auch hohe CO2-Einsparungen generiert, nämlich 72 % im Vergleich zu vorher – ein Megaschritt. Wir haben dabei eine ganze Menge gelernt, auch im Miteinander mit unseren Kooperationspartnern. Was ist maximal möglich, wo sind die Grenzen? Wir können das als Blaupause benutzen, um diesen Gedanken in die Fläche zu bringen.

Sektorenkopplung II: Energie- und Industriesektor

„et“: Mit dem beschriebenen Projekt liegt zweifellos ein Leuchtturm für die Sektorenkopplung Energie/Gebäude vor. Gibt es weitere konkrete Schritte der Vernetzung zwischen weiteren Sektoren?

Schulte: Unsere Anwendungen sind generell von den Leistungsanforderungen her sehr unterschiedlich. Daher müssen wir technologieoffen agieren, um die optimale Lösung für den jeweiligen Kundenbedarf anbieten zu können. Ein Beispiel ist unserer innovativer Wasserstoffmotor, der auf der Basis des 7,8 l Dieselmotors entwickelt worden ist. Für diesen Motor sind viele Anwendungsmöglichkeiten denkbar. Ob als grüner Erzeuger in der Industrie oder in einem Rechenzentrum oder als mobiler Stromerzeuger bei Openair-Festivals. Wir sehen auch Möglichkeiten zum Einsatz in Regionalzügen oder in Mobilanwendungen wie Baumaschinen etc. Und natürlich auch als Baustein eines klimaneutralen Quartiers.

Gemeinsam mit der RheinEnergie setzen wir ihn in einem GenSet, einem mobilen Stromerzeugungsgerät, ein. Wir machen gerade letzte Tests und wollen ihn im zweiten Quartal an die RheinEnergie übergeben und gemeinsam in den stationären Betrieb nehmen. Der stationäre Einsatz erlaubt eine planbare Betankung mit Wasserstoff und wir können die Technologie vor Ort evaluieren und optimieren.

Steinkamp: Diese kompakte Anlage lässt sich als dezentrale Energieversorgung für klimagerechte Gebäude oder Quartiere ideal nutzen, vielleicht auch an Einsatzstellen, die bislang nicht an ein Strom- oder Wärmenetz angeschlossen sind. An unserem Kraftwerksstandort Niehl wollen wir gemeinsam mit den Experten von DEUTZ Erfahrungswerte im stationären Betrieb dieses Motors mit dem angeschlossenen Generator gewinnen und investieren dafür zusammen. In einem ersten Testzyklus geht es rein um die Stromerzeugung. Nach einem halben Jahr soll sich eine zweite, ebenfalls mehrmonatige Phase anschließen, in der in Form der Kraft-Wärme-Kopplung auch die Nutzung der Abwärme aus dem Aggregat erfolgt. Die Beschaffung des Wasserstoffs haben wir bereits gesichert. Im Mittelpunkt steht, wie sich diese Maschinen bei Dauerlast verhalten. Und natürlich geht es dabei auch um die Kosten, also um eine betriebswirtschaftliche Bewertung.
 
Wir sind bei der RheinEnergie auch im Groß-KWK-Bereich unterwegs und arbeiten beispielsweise mit der Wien Energie zusammen, die eine baugleiche gasbetriebene 400-MW-Turbine hat wie wir in unserem Kraftwerk Niehl, bei der wir einen wachsenden Wasserstoffeinsatz ausprobieren. An einem anderen Standort im Kölner Norden sind wir dabei, unseren letzten Braunkohlekessel durch eine ertüchtigte bestehende GuD-Anlage einerseits zu ersetzen, die für die Zukunft wasserstofffähig sein muss. Ein anderer Teil wird aus Klärschlamm kommen, der über ein innovatives System via Druckleitung aus dem Kölner Großklärwerk direkt zum Standort Merkenich gepumpt wird, das erspart pro Jahr fast 5.000 Lkw-Bewegungen durch Köln.

„Bereits Mitte der 1980er-Jahre haben wir ein erstes Klimaschutzkonzept für Köln vorgelegt, das konkrete Ziele für die Luftreinhaltung in unserem Einflussbereich benannte. Maßgebend war auch unser Einstieg in die Windkraft im größeren Umfang schon vor 15 Jahren, wichtig ist aber auch die Kraft-Wärmekopplung, die historisch im Unternehmen immer schon eine Rolle gespielt hat. Was die jüngere Vergangenheit betrifft, so haben wir konzeptionell-strategische Pläne für eine umfassende Dekarbonisierung aufgelegt – deutlich weitergehend als bisher für den Wärmemarkt. Wir haben uns dann verpflichtet, bis 2035 unser gesamtes Geschäft klimaneutral auszugestalten. Ursprünglich war das bis 2040 geplant.“

Dr. Dieter Steinkamp, Vorstandsvorsitzender, RheinEnergie AG, Köln

 

Hürden überwinden

„et“: Was sind die größten Hürden auf dem Dekarbonisierungsweg, die sich Ihnen stellen?

Sett: Die größte Hürde gleich vorneweg: Für die Wohnungswirtschaft ist Klimaneutralität kurzfristig kaum machbar. Wir brauchen uns hier nur die jährliche Sanierungsrate im Bestand anzuschauen, die derzeit zwischen 1-1,5 % liegt. Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu schaffen, müsste diese auf 4 % gesteigert werden. Und das unter Berücksichtigung der begrenzten Handwerkerkapazitäten, der Materiallieferengpässe und der enormen Baukostensteigerungen. Was wir dringend benötigen, ist Stabilität bei den Förderprogrammen. Die Branche war sehr irritiert, als Klimaschutzminister Habeck am 24.01.2022 die KfW-Programme für Neubau und Bestandssanierung von einem Tag auf den anderen gestoppt hat. Wir waren dann sehr erleichtert, als die Bestandsförderung einen Monat später wieder freigegeben wurde. Dennoch bleibt das ein Schock, von dem sich die Branche noch nicht vollständig erholt hat. Wir sind jetzt sehr vorsichtig geworden.

Anderes Beispiel: Wir brauchen flexiblere steuerliche und ordnungsbehördliche Rahmenbedingungen. Wenn wir mittels Photovoltaik Energie erzeugen ist das gewerbesteuerunschädlich, wenn wir ein BHKW zur Energieerzeugung selbst betreiben, ist das immer noch ein gewerbesteuerschädlicher Vorgang. Da würden wir uns wünschen, dass diese Blockade fällt, damit wir mit Quartierlösungen vorankommen.  Nahwärmenetze sind für die Klimawende sehr wichtig. Wenn wir jedoch mit unseren Versorgungsleitungen öffentliche Straßen unterqueren müssen, bekommen wir dafür nur mit großen Schwierigkeiten eine Genehmigung. Das ist ein großes Hindernis für die dezentrale Energieerzeugung im Quartier.

Steinkamp: Für uns ist das aufs Eis gelegte Mieterstromgesetz immer noch ein Negativbeispiel. Wenn weder Vermieter noch Mieter einen Nutzen von der PV-Nutzung generieren können, fällt es schwer, Photovoltaik weiter breit auszubauen. Dass wir seit drei bis vier Jahren um einen Rahmen ringen, der dies gewährleistet, finde ich einen Skandal.

Was wir zur Dekarbonisierung und für die Sektorenkopplung brauchen, ist eine Beschleunigung profitabler Wasserstoffproduktion. Wir werden nicht schnell genug die grünen Wasserstoffmengen haben, um unsere bestehende Gaslastigkeit und die Abhängigkeit von Russland zu ersetzen. Deshalb ist es für mich vertretbar, über den blauen Wasserstoff in Stufen zum grünen Wasserstoff zu kommen.

Schulte: Letzterem kann ich mich nur anschließen. Ein Hauptproblem der Energiewende sehen wir darin, dass auch in der Industrie die notwendigen Wasserstoffmengen nicht sofort in grüner Form zur Verfügung stehen. Es ist wichtig, zunächst einmal überhaupt den Wasserstoff in das System hineinzubringen und dann Jahr für Jahr grüner zu werden.

Was Förderungen anbelangt, würden wir uns freuen, wenn es vergleichbar dem Elektro-Pkw-Bereich eine gewisse Beanreizung gäbe, sei es als Prämie oder über Vorgaben für Nullemmissionen in bestimmten Bereichen wie innerstädtischen Baustellen. Natürlich gibt es Förderprogramme in der Technologieentwicklung. Was aber fehlt, sind finanzielle Anreize für unsere Kunden, sich für klimaneutrale Produkte zu entscheiden.

„Die Stegerwaldsiedlung in Köln war für uns ein typisches Reallabor. Dort haben wir in Kooperation mit der RheinEnergie, aber auch mit anderen Partnern die Bereiche Energie und Mobilität intelligent miteinander vernetzt. Im Ergebnis ist aus der Liegenschaft eine Klimaschutzsiedlung entstanden. Das Besondere daran war, dass ein intelligentes Siedlungsmanagement über eine eigens entwickelte Software geschaffen wurde, die Energieerzeugung und –bedarf optimal zusammenführt. Wir konnten dann feststellen, dass die Siedlung tatsächlich hohe CO2-Einsparungen generiert, nämlich 72 % im Vergleich zu vorher − ein Megaschritt. Wir haben in dem Projekt eine ganze Menge gelernt, auch im Miteinander mit unseren Kooperationspartnern.“

Marion Sett, Geschäftsführerin, Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH, Köln

 

2 / 3

Ähnliche Beiträge