Ursachen der übertriebenen Medienberichterstattung

Abb. 5: Einfluss der Kollegen auf die Verantwortung der Journalisten

Abb. 5: Einfluss der Kollegen auf die Verantwortung der Journalisten

Wie kann man diesen Tunnelblick der Journalisten erklären? Eine der Ursachen ist ihre extrem intensive Kollegen-Orientierung. Deren Problematik zeigt sich bei der Entscheidung über die Veröffentlichung von Beiträgen, die unbeabsichtigte negative Folgen besitzen können. So muss der einzige Arzt eines kleinen Ortes möglicherweise seine Praxis aufgeben, falls eine Lokalzeitung über einen schweren Behandlungsfehler berichtet. Dann gibt es an dem Ort keinen Arzt mehr. Falls die Lokalzeitung nicht darüber berichtet, begeht er möglicherweise erneut einen schweren Fehler. Dann leidet ein Patient – ein Dilemma.

Sind Journalisten aus Sicht ihrer Kollegen für solche Nebenfolgen moralisch mitverantwortlich? Das hängt davon ab, ob sie im Einklang oder im Widerspruch zu ihnen handeln. Entscheidet sich ein Journalist im Widerspruch zu seinen Kollegen für oder gegen eine Veröffentlichung, ist er nach Meinung der meisten Kollegen für negative Folgen moralisch mitverantwortlich (55 %). Entscheidet er sich im Einklang mit ihnen, ist er dafür nur nach Meinung einer Minderheit mitverantwortlich (35 %). Die Mehrheit spricht ihn dann davon frei [8]. Anpassung an die im Kollegenkreis herrschende Meinung entlastet von Verantwortung und fördert Opportunismus (Abb. 5).

Schon 1983 waren zwei Drittel der deutschen Journalisten der Meinung, der Umweltschutz solle „Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben.“ Vermutlich sind es heute noch mehr. Das Einvernehmen mit den Kollegen ist vermutlich eine Ursache der unkritischen Berichterstattung über Klimamodelle und des Verzichts auf Informationen über die ungeklärte Aussagekraft vieler Befunde in IPCC-Berichten. Das geschieht auch durch Übertreibungen [9].

Ein Viertel der deutschen Journalisten hält es für vertretbar, „Probleme gelegentlich überspitzter darzustellen, als sie nüchtern betrachtet sind“. Ihnen stehen jedoch fast genauso viele gegenüber, für die Übertreibungen nicht vertretbar sind. Allerdings meinen die meisten, überspitzte Darstellungen seien „im Ausnahmefall … vertretbar“. Was können das sein? Der „Reiz einer starken Geschichte“ oder die „Zwänge des Wettbewerbs um Leser“ sind es nicht. Das meinen nur wenige.

Dagegen rechtfertigt nach Meinung von 88 % der Unentschiedenen „die Beseitigung eines Missstandes“ eine übertriebene Darstellung. Das trifft auf eine Klimakatastrophe offenbar zu. Demnach rechtfertigen in solchen Fällen insgesamt über 70 % aller Journalisten Übertreibungen. Angesichts einer möglichen Klimakatastrophe sind übertriebene Darstellungen von warnenden Modellrechnungen für viele Journalisten vermutlich nicht nur vertretbar, sondern eine moralische Pflicht.

Bewusstseinsbildung im Journalismus

Der Tunnelblick auf den Klimawandel und Klimamodelle kommt nicht aus dem Nichts. Gedacht als Weg zur Professionalisierung des Journalismus fördern einige der neuen Studiengänge inzwischen eher politisch relevante Geisteshaltungen. Für Gerd Michelsen, Mitbegründer des Öko-Instituts und seit 1995 Professor am „Institut für Umweltkommunikation“ in Lüneburg, geht es „um grundsätzliche Fragen wie nach Belastungsgrenzen auf der Erde, nach Gerechtigkeit und Partizipation und nach dem guten Leben“ [10].

An mehreren Hochschulen gibt es thematische Angebote wie „Umweltjournalismus“, „Umwelt und Nachhaltigkeit“ und „Nachhaltigkeit und Lebensqualität“ [11]. Die Deutsche Welle veranstaltete 2010 unter dem Titel „The Heat is on – Klimawandel und die Medien“ einen Argumentationskurs für Journalisten [12]. In der Ankündigung hieß es: „Eine ´neutrale´ Position einzunehmen bedeutet, den Skeptikern in die Karten zu spielen“. Ein Kurs beantwortete die Frage: „Wie gehen wir professionell mit dem Klimaskeptizismus um?“. Sein Ziel war nach Aussage des Moderators, Bernhard Pötter von der taz, Hilfestellung „für Chefredakteure, Autoren und andere Journalisten, wie man sich am besten verhalte bei einer unverhofften Konfrontation mit einem ‚Klimaskeptiker‘“. Die Referentin, eine amerikanische Geologin, empfahl gedankenlenkende Sprachregeln. Den Begriff „Klimaskeptiker“ sollte man nicht verwenden, weil „Skeptiker“ positiv besetzt sei. Stattdessen sollte man von „Gegnern“ sprechen. Auch den Begriff „Klimadebatte“ sollte man vermeiden, weil er den Eindruck erwecke, darüber gebe es „in der Wissenschaft noch unterschiedliche Ansichten“.

Einen Schritt in die Zukunft wagte 2018 das Bundesumweltamt mit dem Symposium „Impact Journalism“ [13]. Im Anschreiben warb das Amt für „eine Ergänzung des bisherigen Journalismus … . Neu ist, dass die Journalist*innen, die bisher nur Content produzieren, sich künftig auch um die Verbreitung ihrer Produkte (Dissemination) wie auch um ihre Wirkung (Impact) kümmern müssen“. Grundlage war ein Positionspapier von Manfred Ronzheimer [14].

Impact-Journalisten verschicken ihre Beiträge über ein aktuelles „Transformationsprojekt“ wie die „Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende usw.“ an einflussreiche Personen in „Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen“, verbunden mit der Bitte um eine Stellungnahme zu relevanten Aktivitäten und Vorhaben. Rückmeldungen werden an Aktivisten weitergeleitet, die sie in „Impact-Aktionen ummünzen“, etwa die Sammlung von „Unterschriften für eine Sondersitzung des Parlaments“. Falls die Adressaten der Erstkontakte nicht auf die Bitte eingehen, „werden in einer nächsten Berichts-Schleife die Gründe der Blockade thematisiert“. Die Beiträge der Impact-Journalisten über Reaktionen, Blockaden und Aktionen sollen dann in „einem öffentlichen Medium erscheinen, um gesellschaftliche Öffentlichkeit … zu dem Thema zu erzeugen“.

Institutionelle Relevanz

Der Tunnelblick der meisten Medien und weiter Teile der Bevölkerung ist ein effektiver Resonanzboden für politische Veränderungen. Der Verweis auf Erfordernisse des Klimaschutzes erhöht die Chance auf die Durchsetzung alter Anliegen – etwa nach

  • einem schnellen Ende der Kohleförderung und Verstromung;
  • einem generellen Tempolimit auf Autobahnen;
  • einem Autofahrverbot in Innenstädten;
  • einer CO2-Steuer.

Noch tiefgreifender sind Forderungen nach institutionellen Änderungen. Dazu gehören:

  • die Feststellung eines Klimanotstandes mit der vorrangigen Prüfung aller Maßnahmen auf ihre Klimaverträglichkeit;
  • der Vorschlag der früheren Umweltminister Klaus Töpfer, Jürgen Trittin und Barbara Hendricks, dem Umweltressort ein Vetorecht gegen alle klimapolitischen Entscheidungen der Bundesregierung einzuräumen [15];
  • der Vorschlag von Barbara Hendricks nach einem Initiativrecht des Umweltministeriums. Das Ministerium könnte dann Gesetze einbringen, die in die Zuständigkeit anderer Ministerien fallen [16];
  • die Überlegungen von Christian Calliess zur Änderung des Grundgesetzes durch Einführung eines Artikels 20a [17]: „Die Erfordernisse des Klimaschutzes werden in einem Leitgesetz festgelegt. Dessen Vorgaben müssen bei der Festlegung und Durchführung aller staatlichen Politiken und Maßnahmen einbezogen werden. Insoweit haben Bund und Länder geeignete organisatorische und institutionelle Vorkehrungen zu treffen“.

Schlussfolgerungen

Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun aus dem hier Dargelegten ziehen?

  • Berechnungen anhand von Klimamodellen deuten auf eine gefährliche Erhöhung des Weltklimas, und die Aussagen der deutschen Klimaforscher bestätigen das. Daraus kann man die Forderung nach einer deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen ableiten. Das wäre auch dann berechtigt, wenn die Modellrechnungen und Vorhersagen fehlerhaft sein sollten, weil eine vermeidbare Ausbeutung natürlicher Ressourcen ohnehin verantwortungslos ist.
  • Der Glaube an die Effektivität und Gerechtigkeit staatlicher Planwirtschaft ist mit dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht verschwunden. Er hat in der Erderwärmung als Folge der Industrialisierung ein Meta-Thema gefunden, das mit der Verelendung der Massen als Folge der Industrialisierung vergleichbar ist.  Deshalb geht es um zwei Forderungen – die Rettung des Weltklimas und die Etablierung von Planwirtschaft.
  • Die Rechtfertigung politischer Entscheidungen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Theorien ist gefährlich wie die Geschichte des Darwinismus gezeigt hat, weil sie notwendig erscheinende Ermächtigungen fördert. Mit Verweis darauf kann man unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Erkenntnisse extreme Partikularinteressen durchsetzen, die mit den wissenschaftlichen Theorien und Ergebnissen weder sachlich, noch moralisch vereinbar sind.
4 / 5

Ähnliche Beiträge