Die Fernwärme
Der Fernwärme ist Art. 24 RED II gewidmet. Es wurde anerkannt, dass Fernwärme wegen der hohen Energieeffizienz und des Einsatzes erneuerbarer Energien ein großes Dekarbonisierungspotenzial aufweist. Notwendig ist aber, so der europäische Gesetzgeber, eine Brennstoff-umstellung auf erneuerbare Energiequellen zu ermöglichen.
Im Entwurf der Kommission waren zunächst ein Drittzugang und eine Durchleitungsverpflichtung zugunsten von Anbietern von erneuerbarer Wärme vorgesehen (third party access, TPA). Der Betreiber eines bestehenden Fernwärmenetzes hätte aus erneuerbaren Energien produzierte Wärme eines Dritten aufnehmen oder dem Dritten erlauben müssen, seine Kunden direkt zu beliefern. Der Fernwärmenetzbetreiber hätte den Zugang also zwingend gewähren müssen. Das wäre deutlich über den Drittzugang nach § 19 des Kartellgesetzes (GWB) hinausgegangen.
Zu begrüßen ist, dass der europäische Gesetzgeber die Argumente der Branche in Betracht gezogen und den Mitgliedstaaten stattdessen zwei Optionen zur Auswahl gegeben hat:
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Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien und Abwärme/-kälte um mindestens 1 Prozentpunkt/Jahr, berechnet im Durchschnitt jeweils für die Zeiträume 2021 – 2025 und 2026 – 2030 und ausgehend von dem im Jahr 2020 erreichten Niveau (Art. 24 Abs. 4 lit. a RED II),
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Verpflichtung der Fernwärmeunternehmen, die Anbieter von Energie aus erneuerbaren Energiequellen und von Abwärme und -kälte anzuschließen oder ihnen anzubieten, Wärme und Kälte aus erneuerbaren Energiequellen sowie Abwärme und Kälte von Drittanbietern auf der Grundlage nichtdiskriminierender Kriterien anzuschließen und zu kaufen (Art. 24 Abs. 4 lit. b RED II). Diese Kriterien sollen von einer kompetenten Behörde festgelegt werden.
Den Mitgliedstaaten es steht jedoch frei, beide Optionen zu übernehmen.
Der Drittzugang wurde also deutlich abgemildert. Vor allem gilt er nur dann, wenn
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neue Kunden angeschlossen werden,
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die bestehenden Wärme- und Kälteerzeugungskapazitäten ersetzt werden oder
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die bestehenden Wärme- und Kälteerzeugungskapazitäten erweitert werden.
Ferner wurden weitgehende Ausnahmen von diesem Modell eingeführt, in denen ein Fernwärmeunternehmen die Wärme von Dritten nicht abnehmen muss, wenn nämlich
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das System wegen Einspeisung von Abwärme oder Wärme aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) keine ausreichende Kapazität hat,
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die von dem Dritten gelieferte Wärme oder Kälte den technischen Parametern nicht entspricht,
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der Zugang Dritter zu übermäßigem Anstieg der Wärme- oder Kältekosten für die Endverbraucher verglichen mit den Kosten für die Nutzung der wichtigsten örtlichen Wärmeversorgung führen würde.
Der AGFW begrüßt, dass der Richtliniengeber die hohe Effizienz der KWK anerkannt hat. Das entspricht auch Art. 14 Energieeffizienzrichtlinie (EED), wonach die Mitgliedstaaten Kraft-Wärme-Kopplung vorantreiben sollen. Positiv ist außerdem, dass der europäische Gesetzgeber die Besonderheiten der Fernwärme (geschlossene Systeme, Anpassung der Erzeugungskapazitäten an Verbrauch, unterschiedliche Parameter der Netze usw.) berücksichtigt hat. In der Praxis können die genannten Ausnahmen zur deutlichen Beschränkung der Anwendung der Vorschrift führen. Der Betreiber eines Fernwärmesystems muss im Falle der Ablehnung des Anschlusses dem Dritten und der zuständigen Behörde die Gründe dafür nennen und auf Maßnahmen hinweisen, die der Dritte unternehmen kann, um Zugang zu erhalten.
Mitgliedstaaten, die sich für die Verpflichtung zur Aufnahme aus erneuerbaren Energien erzeugter Wärme von Dritten nach Art. 24 Abs. 4 lit. b RED II entscheiden, können solche Fernwärmesysteme davon ausnehmen, die effizient im Sinne des Art. 2 Nr. 41 EED sind oder bei denen hocheffiziente KWK im Sinne des Art. 2 Nr. 34 EED eingesetzt wird, ebenso Fernwärmesysteme, die effizient werden, und Fernwärmesysteme mit einer Gesamtwärmeleistung unter 20 MW.
Der AGFW geht davon aus, dass sich der deutsche Gesetzgeber für die erste Option entscheiden wird. Die 1 %-Erhöhung des Erneuerbare-Energien-Anteils muss nicht von den Fernwärmeunternehmen umgesetzt werden. Der Gesetzgeber muss das Ziel erreichen. In der Wahl seiner Mittel ist er frei. Er muss geeignete Maßnahmen ergreifen, um den Anteil der erneuerbaren Energien in den Fernwärmenetzen zu steigern. Der AGFW fordert, auf ordnungsrechtliche Vorgaben zu verzichten und den Erneuerbare-Energien-Einsatz zu fördern. Es könnten z.B. schon bestehende Maßnahmen (wie Förderprogramme) weiter intensiviert werden.
Art. 24 sieht außerdem eine Ausweitung der Verbraucherrechte vor. Sie sollen klar definiert und durchgesetzt werden. Die Endverbraucher sollen über die Energieeffizienz und den Anteil von erneuerbaren Energien in der Fernwärmeversorgung informiert werden.
Die RED II sieht keine Definition des Endverbrauchers vor, die EED definiert ihn aber als eine natürliche oder juristische Person, die Energie für den eigenen Endverbrauch kauft (Art. 2 Nr. 23 EED). Es ist nicht klar, wie das im Fall der Fernwärme geschehen soll, da der Betreiber eines Fernwärmenetzes in Deutschland i. d. R. keinen direkten Zugang zum Endverbraucher hat. Der europäische Gesetzgeber erlaubt aber, die Informationen in geeigneter Weise, also auch auf der Internetseite des Anbieters oder auf der Jahresabrechnung, bereitzustellen.
Darüber hinaus haben Kunden von Fernwärmesystemen, die keine effizienten Systeme im Sinne des Art. 2 Nr. 41 EED darstellen oder dies bis zum Jahr 2025 auch nicht werden, das Recht auf Kündigung oder Änderung des Vertrags, um Wärme aus erneuerbaren Quellen selbst zu produzieren. Diese Vorschrift entspricht teilweise dem schon geltenden § 3 S. 3 AVBFernwärmeV. Änderungen des nationalen Rechts sind also nur teilweise notwendig. Sofern die Kündigung mit der physischen Abkoppelung des Kunden vom Fernwärmenetz verbunden ist, sieht die RED II ferner die Möglichkeit einer Entschädigung des Fernwärmenetzbetreibers für die direkt mit der Abkoppelung verbundenen Kosten sowie der nichtabgeschriebenen Kosten vor, die mit der Lieferung der Wärme an diesen Kunden verbunden sind. Im Fall von Mehrfamilienhäusern kann die Kündigung oder Änderung des Vertrags nur für das ganze Gebäude ausgesprochen werden.
Die Stromnetzbetreiber werden dazu verpflichtet, mindestens alle vier Jahre in Zusammenarbeit mit den Fernwärmeunternehmen in ihrem jeweiligen Gebiet das Potenzial von Fernwärme- oder -kältesystemen zur Bereitstellung von Ausgleichs- und anderen Systemdienstleistungen einschließlich der Reaktion auf die Nachfrage und Speicherung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu bewerten (Art. 24 Abs. 8 RED II). Diese Vorschrift eröffnet die Möglichkeit zur Intensivierung des Einsatzes von Power-to-Heat-Anwendungen.
Die Mitgliedstaaten können sich schließlich dafür entscheiden, den größten Teil der Vorschriften des Art. 24 nicht anzuwenden, wenn der Anteil der Fernwärme auf dem Wärmemarkt lediglich 2 % beträgt, die Erhöhung dieses Anteils geplant wird oder die Systeme, die zur Ausnahme von Art. 24 Abs. 4 b RED II berechtigen, über 90 % aller Systeme ausmachen. Das betrifft aber nicht die Pflicht zur Kundeninformation (Art. 24 Abs. 10 RED II).