Zukunftsmodell hochgranulare Verbrauchsdaten

Energieversorger sitzen auf einer Goldmine, nutzen jedoch das wertvolle Gut nicht – nämlich die Verbrauchsdaten ihrer Kunden. Haben Unternehmen Zugriff auf diese Daten in ausreichender Auflösung, lassen sich damit zahllose digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Das Ergebnis sind eine höhere Kundenzufriedenheit und -bindung. Als Nebeneffekt werden zudem die eigenen Ablese- und Abrechnungsprozesse optimiert.

Entscheidend ist hier die Reihenfolge. Nicht eine (weitere) Verbesserung der oft bereits effizienten Ableseprozesse sollte die Triebfeder für ein digitales Geschäftsmodell sein, sondern die Schaffung neuer Mehrwerte. Der reine Fokus auf das Thema Ablesung greift zu kurz. Hier stehen Grenzkosten und Grenznutzen oft in keinem guten Verhältnis, und die Amortisation eines Digitalisierungsprojekts zieht sich so über Jahre.

Die Krux bei der Digitalisierung: Die in den meisten Haushalten heute noch installierten analogen Stromzähler lassen bis auf den Gesamtverbrauch keine weiteren Rückschlüsse auf die individuellen Nutzungsgewohnheiten der Verbraucher zu. Für Ablesung und Rechnungsstellung auf Basis eines einfachen Volumentarifs reicht dies in der Regel aus. Bei den mittlerweile geringen Preisunterschieden für Tag- und Nachtstrom ist der Vorteil komplexerer Tarifmodelle auch nur noch für wenige Kunden wirtschaftlich interessant. Der dazugehörende Prozess der Ablesung und Abrechnung ist zwar mitunter nicht mehr zeitgemäß, aber für das Standardgeschäft nach wie vor ausreichend.

Reiner Stromverkauf wird zur Nebensache

Künftig wird die reine Belieferung von Strom jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle einnehmen. Viel interessanter ist, wie die Kunden den Strom nutzen. Anhand dieser Verbrauchsinformationen lassen sich viele neue Geschäftsmodelle entwickeln. Dabei spielt die Datengranularität eine entscheidende Rolle. Je genauer die Verbrauchsdaten erfasst werden können, desto besser lassen sie sich analysieren und monetarisieren – gut für den Stromanbieter, aber auch ein echter Mehrwert für den Kunden.

Algorithmen offenbaren Nutzerverhalten und erkennen Geräte

Jedes im Haushalt genutzte Gerät weist beim Stromverbrauch ein individuelles Muster auf. Eine Lastkurve, die für den Stromverbrauch über einen gewissen Zeitraum typisch ist. Das Lastprofil eines Wasserkochers, der mit einer Leistung von rund 1 500 bis 2 000 Watt über einen kurzen Zeitraum ein Liter Wasser zum Kochen bringt, zeigt eine ganz andere Charakteristik als das Profil einer Waschmaschine, die über einen viel längeren Zeitraum mit verschiedenen Waschprogrammen und Aufheizphasen arbeitet. Kühlschrank, Fernseher, Radio, Haartrockner – sie alle hinterlassen einen spezifischen Fingerabdruck im Stromnetz. Mit einem digitalen Stromzähler lassen sich diese Lastkurven erfassen. Je kürzer die Messintervalle, desto genauer die Datengrundlage und desto besser können einzelne Geräte voneinander unterschieden werden. Die Technologie dahinter heißt Non-intrusive Load Monitoring (NILM). Sie ermöglicht eine Leistungsmessung, ohne dass an jedem einzelnen Endgerät im Haushalt weitere Messgeräte – Sub-Meter – zum Beispiel durch einen Zwischenstecker installiert werden müssen.

Vom Stromversorger zum Servicedienstleister im Haushalt

Der naheliegendste Einsatz ist die individuelle Verbrauchserkennung einzelner Geräte. Stromkunden können sich damit den Verbrauch einzelner Endgeräte grafisch aufbereitet anzeigen lassen und haben so ihren Stromverbrauch jederzeit im Griff – und dies ohne zusätzliche Messgeräte.

Predictive Maintenance

Predictive Maintenance zielt darauf ab, defekte Geräte vor dem Totalausfall bereits durch Unregelmäßigkeiten in ihrer Lastkurve erkennen zu können – zum Beispiel durch eine gestört oder verzögerte Leistungsaufnahme. So können Verbraucher frühzeitig gewarnt und womöglich sogar Hausbrände durch defekte Geräte verhindert werden.

Ambient Assisted Living

Nicht nur jedes Endgerät, auch jeder Haushalt als Ganzes ist in der Regel durch ein typisches, wiederkehrendes Verbrauchsverhalten charakterisiert. Das lässt sich nutzen – zum Beispiel beim Ambient Assisted Living. Dabei werden älteren oder benachteiligten Menschen Hilfen angeboten, damit sie auch ohne ständige externe Unterstützung ihren Alltag selbstständig meistern können. So lässt sich die automatische Erkennung von Geräten im Haushalt dazu verwenden, den Nutzer daran zu erinnern, den Herd abzuschalten, oder auch externe Personen oder Einrichtungen zu informieren, sollten im Vergleich zum üblichen Tagesverlauf auffällige Abweichungen auftreten.

App-Plattform für weitere Geschäftsideen

Energieversorger könnten Drittanbietern über eine Programmierschnittstelle und mit Zustimmung der Kunden den Zugang zu ihrer Datenplattform ermöglichen. Diese entwickeln dann Apps für ihre Kunden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass unabhängige Programmierer durch ihren Ideenreichtum schon manchem Produkt zu einer großen Marktmacht verholfen haben. So zum Beispiel das Smartphone-Betriebssystem Android mit dem Google-Play-Store, der sich heute durch tausende Apps von Drittanbietern auszeichnet, oder das Unternehmen Amazon, das bei dem digitalen Sprachassistenten Echo auf eine offene Programmierschnittstelle setzt.

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